Mit diesem Band legt die Ernst-Herzfeld-Gesellschaft Rechenschaft über ihre neuesten wissenschaftlichen Aktivitäten ab. Im Jahr 2005 gegründet, folgte 2008 ein erster Band, in dem die Ergebnisse der ersten beiden Kolloquien vorgelegt wurden. Mit der Schaffung eines Reihentitels, der dank der Unterstützung durch mehrere Förderer möglich geworden ist, erhielt die deutschsprachige Forschungslandschaft wieder eine gewichtige Zeitschrift für alle Perioden und Bereiche islamischer Kunst und Archäologie einschließlich ihrer vielfältigen Querverbindungen nach Europa.
Zu den wesentlichen Veränderungen gegenüber dem ersten Band gehören die veränderte Aufmachung in gebundener Form, vor allem aber die Aufnahme von Farbtafeln. Begrüßenswert sind die den Aufsätzen vorangestellten Kurzfassungen in englischer Sprache. Man sollte überlegen, ob nicht englischsprachige Aufsätze zusätzlich mit einer deutschen Kurzfassung eingeleitet werden sollten. Zu empfehlen wäre auch die Aufnahme kurzer Daten zu den Autoren, da sie einen schnelleren Überblick über deren jeweilige Herkunft in der Forschungslandschaft ermöglichen würden.
Der Band umfasst Aufsätze der Kolloquien in Wien 2007 ("Die Darstellung von Herrschaft und Repräsentation in der islamischen Kunst") und Bamberg 2008 (ohne thematische Festlegung). Gerne hätte man manche der auf diesen Kolloquien vorgetragenen Referate auch in diesem Band versammelt gesehen, aber nicht alle Referate wurden eingereicht. Immerhin ermöglicht ein Anhang an das Vorwort der Herausgeber die Rekonstruktion der Kolloquien. So enthält der Band insgesamt 12 Aufsätze, die sich in klar strukturierter Form präsentieren und von der frühislamischen Zeit bis in das 20. Jahrhundert reichen.
Von den 12 Beiträgen befassen sich vier mit al-Andalus in islamischer und christlicher Zeit. Vier weitere Themen sind der iranischen Welt gewidmet, und bei den letzten vier Themen steht die Beziehung zwischen der islamischen Welt und Europa im Vordergrund.
Antonio Peña gibt einen wichtigen Überblick über das Thema der Verwendung von römischen oder spätantiken Spolien in der Großen Moschee von Córdoba. Am Baubefund wird geklärt, dass die Prinzipien von Parität und Symmetrie bei der Wiederverwendung von Säulen im Vordergrund stehen, während Basen, Kämpfer und Kapitelle als deutlich weniger wichtig angesehen wurden (11). Wie schon die römischen Kaiser übernahmen die umaiyadischen Kalifen in Spanien als Monarchen das Privileg der Verwendung von Spolien als Zeichen ihrer Herrschaft und untermauerten damit ihren Machtanspruch. Durch die Farbtafeln werden nicht nur die Gesteinsarten deutlich, sondern die farbliche Markierung der verwendeten Spolien in den Grundrissen erlaubt es, die Wiederverwendung eindeutig nachzuvollziehen.
Magdalena Valor bietet einen sehr hilfreichen Überblick über die Bautätigkeit der Almohaden in Sevilla (26-36) und Tobias Rütenik stellt die Fortführung eines bereits im ersten Band der Zeitschrift vorgestellten Projektes vor, das die Umwidmung von Moscheen zu Kirchen mitsamt deren baulichen Veränderungen zum Thema hat. Seine Untersuchungen im Rahmen eines Promotionsvorhabens betreffen nunmehr Toledo und sollen später auf andere Städte ausgedehnt werden. Der Beitrag spricht ein wichtiges Thema an und ist nicht nur in architektonischer Hinsicht, etwa durch die Rekonstruktion der Vorgängermoscheen, bedeutsam, sondern auch aus kulturhistorischer Sicht interessant (38-58). Dies trifft auch auf die Untersuchung von Klaus Graf zu, der über die sorgfältige Analyse der Keramik der Stadtwüstung in Cuncos südwestlich von Badajoz hinausgehend eine Einordnung in die Geschichte des südwestlichen al-Andalus vornimmt (59-80).
Im Zentrum des Bandes stehen vier Aufsätze aus dem iranischen Bereich. Lorenz Korn stellt die seldschukische Masğid-Gunbad (Kuppelmoschee) in dem Ort Sangān-i Pāʾīn bei Ḫvāf in Ḫurāsān/Iran (leider ohne Karte) monografisch vor. Diese Untersuchung setzt Architektur und Baudekor in den Zusammenhang der ostiranischen Kunstlandschaft bis nach Marw, also weit über die heutigen Grenzen, vor. Grundriss, Architektur des Kuppelraumes, Ziegel- und Stuckdekor, besonders aber die Inschriften werden mustergültig abgehandelt. Herausgehoben wird der Stil der Inschrift, die Korn als Handschrift eines einzelnen Künstlers herausstellt. Es ist zu hoffen, dass der Autor weitere monografische Beiträge zu Einzelbauten vorstellen kann.
Der Beitrag von Markus Ritter widmet sich einem wahrscheinlich in Tabrīz hergestellten, repräsentativen Seidenstoff, dessen Inschrift den ilchanidischen Herrscher Abū Saʿīd (reg. 1316-35) nennt und der nicht lange nach der Herstellung bereits als Grabgewand für Herzog Rudolf IV. (st. 1365) in Wien verwendet wurde. Der Beitrag ist nur der erste, überaus ausführliche Teil der Ergebnisse und behandelt Beschreibung und Rekonstruktion sowie einen Vergleich mit anderen Seidenstoffen (105-135). In einem zweiten Aufsatz sollen Fragen der Motive, der Schrift, die technischen Analysen und Erkenntnisse zur späteren Verwendung als Grabgewand publiziert werden. Begrüßenswert ist der zugehörige Beitrag von Marta Jaro über die Technologie der Metallfäden des Stoffes und ihre visuelle Präsentation (136-142). Angesichts der Bedeutung dieses Objekts wäre die Publikation einer Monografie, in der dann alle Aspekte zusammengefasst werden, empfehlenswert.
Die weiteren Aufsätze widmen sich Fragen des kulturellen Transfers durch Kunstwerke und betreffen die Darstellung einer timuridischen Flagge in einem katalanischen Atlas, Einflüsse des Barock im safawidischen und späteren Iran sowie mamlukische 'Spuren' in der ungarischen Kunst. Zudem berichtet Barbara Karl über drei perlmuttdekorierte Kunstwerke, ihre Herstellung in Gujarat in West-Indien, ihren Weg nach Europa und ihre Verwendung als höfische Repräsentationskunst. Außer Moghulfürsten faszinierten diese Objekte auch osmanische Sultane und im 16.-17. Jahrhundert besonders Mitglieder europäischer Fürstenhäuser (163-177). Dankbar liest man den Beitrag von Martin Gussone, der über die Architektur der Wünsdorfer Moschee berichtet, die 1915 eingeweiht wurde und den muslimischen Kriegsgefangenen im Halbmondlager bei Berlin als Gebetsstätte diente. Erstmals werden auch die konstruktiven Seiten des Bauwerkes erörtert und der Zusammenhang mit islamischen Moscheebauten hergestellt, so dass dieser 1930 abgerissene, aber immerhin fotografisch dokumentierte Bau nunmehr wesentlich klarer eingeordnet werden kann (204-231).
Die unterschiedlichen Beiträge des neuen Bandes geben einen guten Überblick über die Vielfalt der Themen in der aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf dem Gebiet der islamischen Kunst und Archäologie. Besonders begrüßenswert ist der schnelle Erscheinungszeitpunkt, so dass eine wünschenswerte Aktualität gewährleistet bleibt. Es ist zu hoffen, dass diese Zeitschrift den erreichten Qualitätsstand beibehalten kann und auch weiterhin ein Sprachrohr für etablierte Wissenschaftler, vor allem aber ein Forum für den wissenschaftlichen Nachwuchs darstellen wird.
Lorenz Korn / Markus Ritter (Red.): Beiträge zur islamischen Kunst und Archäologie Band 2 (= Jahrbuch der Ernst-Herzfeld-Gesellschaft e.V.; 2), Wiesbaden: Reichert Verlag 2010, 246 S., 48 Farb-, 99 s/w-Abb., 15 Karten, 3 Tabellen, ISBN 978-3-89500-766-8, EUR 69,00
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