Immer wieder begegnet man der Annahme, figürliche Bilder tauchten in islamischen Kontexten wenn überhaupt nur in säkularen Zusammenhängen auf. Christiane J. Grubers Buch "The Timurid 'Book of Ascension'" widerlegt diese Behauptung einmal mehr: Ihre Untersuchung des illustrierten Manuskriptes einer Schilderung der Himmelfahrt Mohammeds, das heute unter der Signatur Suppl. Turc. 190 in der Bibliothèque Nationale de France in Paris aufbewahrt wird, verdeutlicht, dass Fragen nach dem Umgang mit Bildern nicht essentialistisch und ahistorisch in Bezug auf 'den Islam' zu beantworten sind, sondern in spezifischen historischen und lokalen Kontexten, in denen sie entschieden wurden - und werden.
Nachdem Gruber in einem einleitenden Kapitel die verschiedenen Traditionen der Himmelfahrtserzählung aufgewiesen hat, folgt deshalb im ersten Kapitel eine Analyse des Entstehungszusammenhangs dieses Manuskriptes, das 1436-1437 am Hof des timuridischen Herrschers Shahrukh in Herat gefertigt wurde. Durch diese Kontextualisierung werden die Spezifika der vorliegenden Textversion und die Abweichungen von ihren Vorlagen verständlich, die Gruber im zweiten Kapitel differenziert herausarbeitet. So kehrt Mohammed in diesem Text beispielsweise am Ende seiner Himmelfahrt nicht wie bei den anderen Versionen nach Mekka zurück, um seine Landsmänner zu bekehren, sondern er besucht den mystischen Berg Qaf, um ein Volk zu missionieren, das einer anderen Quelle zufolge in einer Gegend jenseits von China lebt. Verständlich wird dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Manuskript von einem Herrscher in Auftrag gegeben wurde, der die missionarische Ausbreitung des sunnitischen Islam in Richtung Ostasien finanziell, logistisch und persönlich - beispielsweise in Form eines Briefes an den Ming-Kaiser Yongle - stark unterstützte. Allerdings wurde das Manuskript wohl weniger, wie möglicherweise seine Vorgänger, direkt zu missionarischen Zwecken eingesetzt, sondern diente am Hof selbst der Erbauung, Indoktrination sowie der Legitimation von Shahrukhs "religiöser Autorität und Machtpolitik zu Hochzeiten der Beziehungen zwischen Timuriden und Ming-Dynastie" (285). Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das Buch auch chinesischen Gesandten gezeigt wurde.
In den folgenden zwei Kapiteln verortet die Autorin das Bildprogramm sowohl im historischen Kontext der spezifisch persischen Bildgeschichte als auch in seinem transkulturellen Bezug auf die zentralasiatische buddhistische Bildkultur. Dass die Trennlinie zwischen den Kulturen dabei nur auf dem Papier existiert, macht die Verwendung des Chaghatai-Türkischen und der uighurischen Schrift umso deutlicher, die nicht nur auf eine Verständigung mit den östlichen Nachbarn abzielt, sondern auch als Verweis auf das mongolische Erbe der Timuriden selbst zu verstehen ist. Angesichts solcher kultureller Untrennbarkeiten ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Manuskript biblische Motive in buddhistischer Formensprache wiedergibt oder dass Schilderungen von Höllenqualen, wie sie dieses Manuskript präsentiert, in buddhistischen Kontexten zu ähnlichen erzieherischen Zwecken einsetzt wurden.
In den Analysen der formalen Charakteristika des Bildprogramms wird auch deutlich, dass im interkulturellen Vergleich oft zitierte Unterscheidungen, wie beispielsweise jene zwischen einer narrativ-illustrativen und einer ikonischen Bildkunst, die nicht zuletzt von Hans Belting [1] wieder ins Feld geführt wurde, nicht haltbar sind. Denn das Manuskript arbeitet mit einem Wechsel zwischen verschiedenen Bildformaten: Während die narrativeren Szenen als Querformate in den Text eingeschoben sind, die in der Tradition der historischen Illustrationen stehen, haben die Szenen, die den Propheten in Momenten der Kontemplation zeigen, eine fast vollformatige Dimension, die den Leser zwingt, im Lesen einen Moment innezuhalten und den Propheten bei der Anbetung zu betrachten. So bekommen diese Bilder "fast ikonischen Status, der visuelles Denken erfordert" (307).
Dass das Buch seine Wirkung nicht verfehlte, weist Gruber in einem abschließenden Kapitel zu dessen Rezeptionsgeschichte an den timuridischen, safavidischen und osmanischen Höfen nach, in deren Besitz das Manuskript im Laufe der Zeit gelangte. Ergänzt wird diese Perspektivierung durch den kurzen Abriss von Annie Berthier am Ende des Buches, der die anschließende Rezeption in Frankreich skizziert. Zudem stellt das Buch in mehreren Appendizes Übersetzungen des Chaghatai-Textes und der nachträglichen osmanischen Beschriftungen zur Verfügung, sowie einen Katalog der Illustrationen.
Das Buch begleitet mit einer spanischen und einer englischen Version des Textes die Faksimile-Edition des Manuskriptes im Patrimonio-Verlag. Dass es dennoch viele farbige Abbildungen enthält, ist angesichts der realiter oft mangelnden Verfügbarkeit des Faksimiles sehr erfreulich, und so mag man die erstaunlich schlechte Qualität einzelner Abbildungen im Abbildungsteil jenseits des Katalogs verzeihen.
Wehmütiger denkt man an jene Teile des auf Mikrofiche vorliegenden Dissertationsmanuskriptes der Autorin zurück, die zwischen die Stühle der beiden Bücher gefallen sind, die sie aus dieser Arbeit gemacht hat: Denn neben diesem Band hat sie dieses Jahr zwar noch eine Edition und englische Übersetzung eines ilkhanidischen Miʿrajnama-Manuskriptes von 1286, heute in der Süleymaniye Library in Istanbul, mit einem ausführlichen Kommentar herausgebracht. [2] Die Vielschichtigkeit der historischen Verschiebungen, Transformationen und Adaptionen, die die Autorin in ihrer Dissertation zwischen den verschiedenen Manuskripten aufzeigt und in denen sie das Wechselspiel von Tradierung und Aktualisierung in Text und Bild subtil vorführt, kann leider auch die Einordnung des timuridischen Manuskriptes in seine historischen Kontexte im vorliegenden Buch nicht wiedergeben. So bedauert man am Ende bei allem, was dieses Buch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht, etwas, dass die Werkorientiertheit der Kunstgeschichte einmal mehr ihren Tribut gefordert hat.
Anmerkungen:
[1] Hans Belting: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, München 2009. Rezensionen von Wolfgang G. Schwanitz in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/02/14408.html und Lorenz Korn in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 11 [15.11.2010] URL: http://www.sehepunkte.de/2010/11/17750.html
[2] Christiane J. Gruber: The Ilkhanid Book of Ascension. A Persian-Sunni Devotional Tale, London / New York 2010.
Christiane J. Gruber: El Libro de la Ascensión Miʿrajnama Timúrida. The Timurid Book of Ascension (Miʿrajnama). A Study of Text and Image in a Pan-Asian Context, Valencia: Patrimonio Ediciones 2008, 432 S., ISBN 978-84-95061-29-4, EUR 150,00
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