Die Fürsten und Herren des Ostseeraums gelten in der Perspektive der Erforschung des spätmittelalterlichen Reichs als schwach und in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Dagegen steht jedoch das Beispiel Albrechts II. von Mecklenburg, der es durch eine geschickte dynastische Politik vermochte, seinen jüngeren Sohn Albrecht III. zum König von Schweden erheben zu lassen und so zu einem Mitspieler um die Vormacht im Ostseeraum aufzusteigen. Albrecht bildet auch den Ausgangspunkt für den vorliegenden Band, einer an der Universität Greifswald vorgelegten Habilitationsschrift. In einer Kombination von politischen, dynastischen, wirtschafts-, verfassungs- und vorstellungsgeschichtlichen Ansatzpunkten wird nach den Handlungsspielräumen dieser Fürsten gefragt, in bewusster Absetzung von der stärker durch den "socio-cultural turn" geprägten jüngeren Forschung. Trotz dieser Anknüpfung an traditionelle Fragen ist der methodische Ansatz der vorliegenden Arbeit durchaus modern und vielversprechend.
Das Untersuchungsgebiet bilden die Fürstentümer und Herrschaftsgebiete Mecklenburg, Pommern, Rügen und Werle-Wenden, d.h. der südwestliche Ostseeraum. Der Untersuchungszeitraum schließt die Zeit vom 12. Jahrhundert bis in die Reformationszeit ein. Grundlage der Untersuchung sind umfangreiche ungedruckte Materialien aus dem Landesarchiv in Schwerin, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien und weiteren Archiven. Weiter sind die großen regionalen Urkundenbucheditionen, Quellen zur Reichsgeschichte und ein weites Spektrum weiterer Quellen herangezogen. Unter den "Handlungsspielräumen" versteht der Verfasser allgemein die Möglichkeiten der Fürsten, auf Herausforderungen an ihre Landesherrschaft zu reagieren. Dies wird in der Arbeit für fünf, allerdings unterschiedlich gewichtete, Fragekomplexe untersucht: für die räumlichen Beziehungen, die finanzielle Situation, die Rolle von Familie und Dynastie, die verfassungsrechtliche Stellung sowie das Selbstverständnis und die Repräsentation.
Die Überlegungen zur Integration oder Überwindung des Raumes fallen am ausführlichsten aus. Nach einführenden Überlegungen stehen dabei wiederum fünf Aspekte im Vordergrund: die Rolle der Vasallität, die Bündnisse und Verträge, die Ausnutzung von langwierigen Konflikten und Dynastiewechseln in Nachbarterritorien, die Bemühungen um eine regionale Vormachtstellung sowie die innere Konsolidierung. So erlaubte es insbesondere die Einbeziehung Dänemarks und Polens, durch einen Wechsel der Vasallität oder auch durch Mehrfachvasallitäten Optionen für eine eigenständige Politik zu gewinnen. Obwohl dies auch zu Fehlschlägen führen konnte, war der Umgang mit den Lehnsbindungen in der Regel pragmatisch und führte auch im Fall sich widersprechender Verpflichtungen selten zum Konflikt. Eine ähnliche Flexibilität zeigt sich auch in der Bündnispolitik, für die der Verfasser rund 300 Verträge untersucht hat (auch umgesetzt in sechs Karten). Die Bündnisse konzentrierten sich naturgemäß auf den südlichen Ostseeraum, bezogen aber zunächst auch Dänemark und Polen, dann später zunehmend Sachsen, Braunschweig, Brandenburg und Böhmen mit ein, ab 1480 auch Territorien im Süden und Westen des Reiches. Sie waren wesentlich auf die Stärkung der eigenen Position ausgerichtet, so dass es rasche Wechsel gab, die auch zeitweilig isolierten Fürsten einen raschen Wiedereinstieg in das Bündnissystem erlaubten.
Die Fürsten konnten von langwierigen Konflikten zwischen Nachbarn profitieren, wie das etwa für Pommern in den Kämpfen zwischen dem Deutschen Orden und Polen zu beobachten ist. Sie suchten aber auch, nicht immer erfolgreich, die dynastischen Zufälle zu nutzen, die das Aussterben der brandenburgischen Askanier sowie der Fürsten von Rügen und Werle-Wenden mit sich brachte. Die Hegemonialbestrebungen Albrechts II. von Mecklenburg und Erichs von Pommern, der allerdings stärker von Dänemark aus agierte, scheiterten am Ende aufgrund dynastischer Zufälle und eigener Schwäche. Erfolgreicher war dagegen langfristig die innere Konsolidierung im Wechselspiel mit Adel und Städten. Die Fürsten konnten die Gegensätze zwischen den Ständen ausnutzen, um ihre Ressourcen stärker heranzuziehen und den Adel in eine Verwaltungselite umzugestalten, auch wenn die Städte ihre Selbstverwaltung weitgehend behaupten konnten. Wesentlich war zudem der Ausbau der Infrastrukturen, insbesondere der Aufbau von Residenzen und die Gründung von Universitäten.
Die folgenden Kapitel fallen durchweg knapper aus. Für die fürstlichen Finanzen ergibt sich noch bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eine weitgehend desolate Lage. Erst ab 1480 gelang hier durch gewisse Sparbemühungen, regelmäßigere Erhebung von Zöllen und Steuern, erste eigene Unternehmungen und eine gezielte Währungspolitik eine deutliche Verbesserung, die trotz höherer Ausgaben über Schuldenabbau und Auslösung von Pfändern auch die landesherrliche Stellung stärkte. Schon zuvor wurde versucht, durch Familienordnungen, Erbverbrüderungen u.ä. einer Zersplitterung des Familienbesitzes entgegenzuwirken, oft vergeblich. Ein wesentlicher Faktor waren dafür vielmehr die Heiratsverbindungen, die über die Mitgift um 1500 auch finanzielle Vorteile bringen konnten. Ähnlich wie in der Bündnispolitik verloren Skandinavien und Polen nach dem 14. Jahrhundert an Bedeutung, während die Beziehungen zu den Reichsfürsten auch im Süden und Westen stärker wurden, wie die Analyse von rund 200 geplanten oder tatsächlichen Heiratsverbindungen ergibt.
Verfassungsrechtlich stiegen insbesondere die mecklenburgischen und pommerschen Fürsten von regionalen Herren zu Reichsfürsten auf, was Pflichten wie den Besuch der Reichstage und den Königsdienst nach sich zog, aber auch durch die wachsende, insbesondere nach 1480 verdichtete Einbeziehung in den Reichsfürstenstand neue Chancen eröffnete. Die damit verbundenen Gefahren und Möglichkeiten werden am Beispiel zweier pommerscher Fürsten, Barnims III. von Pommern-Stettin und Bogislaws X., verdeutlicht. Der höhere Rang der Fürsten fand zugleich in einem gesteigerten Selbstbewusstsein und entsprechender Repräsentation seinen Ausdruck. Die Anfänge der Dynastie, die stärker mit dem Land identifiziert wurde, wurden zurückverlegt, der Kampf für die Christenheit wurde betont.
Der Verfasser kann die Verflechtung der verschiedenen Faktoren deutlich machen und diese auch in Karten und Schaubildern abbilden. Es gelingt ihm, an die Forschungen von Peter Moraw anzuknüpfen. So bestätigt er dessen These von der Verdichtung des spätmittelalterlichen Deutschen Reiches, hebt aber auch gegen ihn die von den Fürsten des südwestlichen Ostseeraums teilweise aggressiv genutzten Handlungsspielräume hervor, die durchaus Erfolge ermöglichten. Die quellennahe und methodisch sorgfältig gearbeitete Untersuchung leistet daher einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der Struktur des mittelalterlichen Reiches. Insbesondere werden die Erfolge und das Scheitern fürstlicher Politik im späteren Mittelalter besser erklärbar, ohne dass der Begriff der Handlungsspielräume überdehnt würde. Der Band ist durch umfangreiches Material ergänzt und durch ein Personen- und Orts-, leider nicht durch ein Sachregister erschlossen.
Oliver Auge: Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 28), Ostfildern: Thorbecke 2009, XIV + 543 S., ISBN 978-3-7995-4279-1, EUR 79,00
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