Von der Masse an "fliegenden" Publikationen, die während der Frühen Neuzeit immer deutlicher zum medialen Alltag von ländlichen und urbanen Sozialgemeinschaften avancierten, hat die interdisziplinär betriebene Forschung zur frühneuzeitlichen Epoche bisher lediglich konturenhafte Vorstellungen. Innerhalb der Bemühungen, neben den periodisch-seriellen Publikationen wie Zeitungen und Zeitschriften auch die wesentlich umfangreichere anlassgebundene Flugpublizistik gebührend zu berücksichtigen, ist einem Segment der Flugpublizistik, nämlich den illustrierten Flugblättern, mit das größte Interesse entgegengebracht worden. Besonders in den letzten drei Jahrzehnten wurde die systematische Erschließung, Bibliografierung und Editierung jener zumeist im Hochformat erschienenen illustrierten Einblattdrucke vorangetrieben: die mit den Namen der Herausgeber (Wolfgang Harms, Michael Schilling und John Roger Paas) verbundenen Editionsreihen "Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts" (Harms/Schilling) und "The German Political Broadsheet 1600-1700" (Paas) fehlen in keiner Überblicksdarstellung zum frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Diese Vorbemerkungen zur kunsthistorischen Dissertation von Michael Niemetz (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt 2007) sind wichtig, da sie den Quellenzugriff und die Analysehöhe der Studie erklären. Für die gestellte Grundfrage nach der historischen Dimension des Antijesuitismus nutzt Niemetz nämlich die in katalogisierender Kärrnerarbeit zusammengetragenen Einblattdruckeditionen, um der kontroversen Darstellung und Thematisierung der Societas Jesu nachzugehen und um die zeitgenössische breitenrezeptive Bildpublizistik fernab von pauschalisierenden Propaganda-Einschätzungen zu betrachten. Für die Zeit von der Approbation des Jesuitenordens (1540) bis zur frühneuzeitlichen Aufhebung des Ordens (1773) richtet die Studie ihr Augenmerk auf insgesamt 169 illustrierte Flugblätter mit antijesuitischen Tendenzen, die von vereinzelten Flugschriften mit Grafiken und Medaillen/Münzen ergänzt werden und sich allesamt verkleinert im Anhang in einem hochwertigen Druckbild finden.
Die Analyse ist von Niemetz multiperspektivisch ausgerichtet und umgeht eine etwaige Absolutsetzung der Bildpublizistik durch die Beachtung des kulturellen Kontextes, der insbesondere politische, konfessionelle und ideologische Aspekte umfasst. Niemetz unterscheidet grundlegend zwischen einer "zeitgenössischen Bedingtheit" der Bildpublizistik (9), also Publizistik, die auf bestimmte Ereignisse wie den Kriegseintritt des protestantischen Schwedenkönigs Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg rekurrierte, und bestimmten antijesuitischen Druckgrafiken, die ohne konkrete Auseinandersetzungen entstanden. In chronologischer Reihung präsentiert der Autor vier ausgewählte Kommunikationsphasen, in denen antijesuitischer Bildpublizistik eine besondere Rolle und Funktion zukam (1568-1618; 1618-1624; 1630-1633 und 1636-1785). In jedem der vier Kapitel werden Flugblätter auf "religiöse Satire" sowie "politische Satire" hin sortiert und ausgewertet, wobei Niemetz der Betrachtung der Entstehungskontexte einen großen Rahmen einräumt. Nach diesem viergliedrigen, die Bildquellen bzw. Grafiken kontextualisierenden Analyseteil folgen ein Kapitel zur Ikonografie sowie ein abschließendes zur Ikonologie der antijesuitistischen Bildpublizistik. Hierin kann aufgezeigt werden, dass die ablehnende Thematisierung der neuen katholischen Elite in Flugblättern ikonografisch mittels metaphorischer Bild- und Wortspiele aus dem Dunstkreis der Endzeitvorstellungen vor 1700 umgesetzt worden ist. Solche und ähnliche mittels Bildpublizistik massenhaft rezipierten Dämonisierungsstrategien, zumeist aus protestantischer Provenienz, führten laut Niemetz zu einer Mythisierung der Societas Jesu. Dass diese medialen Konstrukte auch dialektisch mit dem politischen Raum verbunden waren, wird an vielen Stellen der Studie deutlich. Zudem ist nach der Lektüre der Dissertation klar erkennbar, dass die antijesuitische Bildpublizistik breitenrezeptiv wohl nur bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges mentalitätsprägend oder zumindest -beeinflussend gewesen ist. Nach 1648 hielt die kontrovers geführte (und publizierte) Thematisierung des Ordens zwischen überwiegend Lutheranern und Jesuiten zwar an, wurde aber fast ausschließlich nur noch textlich umgesetzt. Dass antijesuitische Flugblätter im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts nur noch marginal auftraten, korreliert zur generellen Marginalisierung des illustrierten Einblattdruckes im Medienverbund der Frühen Neuzeit in exakt jenem Zeitfenster. Übergeordnet verweist die Dissertation somit auf die Dynamiken innerhalb der "Gutenberg-Galaxis", deren zunehmende (druck-)mediale Polyphonie auch zu Konsequenzen auf Rezipientenebene führte: die den Medienverbund und ihre Lebenswelt beobachtenden Zeitgenossen verlangten zunehmend seltener nach bildrhetorischen Argumentationsangeboten.
Michael Niemetz gelingt mit der Studie insgesamt ein gewichtiger Beitrag zur Historisierung des Antijesuitismus. Die Qualität der Analyse liegt hierbei nicht in der Formulierung einer spektakulären These oder radikalen Revidierung des älteren Forschungsstandes zum frühneuzeitlichen Antijesuitismus, sondern vielmehr in der empirischen, das heißt publizistik- und kommunikationshistorischen Fundierung des betrachteten Phänomens. Zugleich darf auch nicht verschwiegen werden, dass die Betrachtung der Entstehungskontexte jener Drucke mindestens zwei weitere Ebenen nötig gehabt hätte. Zum einen werden die intertextuellen, -medialen und -dependenten Momenta der frühneuzeitlichen Publizistik nur angedeutet und nicht ausführlich behandelt. Die untersuchten Flugblätter bestehen großteils aus einer Text-Bild-Kombination, die aufeinander bezogen ist und Illiterate ebenso anspricht wie Literate. So kann Niemetz zwar aufzeigen, dass Verfasser wie Johann Fischart thematisch einschlägige (illustrierte) Flugblätter, (textbasierte) Flugschriften und umfangreiche Bücher als regelrechte Patchwork-Produkte publizierten, doch bleibt die Folgerung aus, die an verschiedenen Stellen des gedruckten Medienensembles veröffentlichten Verweise eines Verfassers auch als Gesamtkunstwerk zu betrachten. Die kompilierende und kopierende Praxis der frühneuzeitlichen Verfasser, die thematische, textliche und bildliche Adaptionen, Zitate und Variationen umfasste, sowie die multimediale komplementäre Wahrnehmungshaltung seitens der zeitgenössischen Rezipienten erschließt sich jedoch nur über eine breitere Publizistikanalyse, wessen sich Niemetz aber auch bewusst ist. In seiner Studie werden zwar nicht immer alle Verweise erkennbar, aber den Kontext der thematisch geeinten antijesuitischen Flugblätter vermag der Autor dennoch in exemplarischen Zuschnitten zu einzelnen Ereignissen und deren Publizistik überzeugend anzudeuten. Das zweite Manko der Studie umfasst den unbeachteten Faktor der Ökonomie von antijesuitischer Publizität; während die überwiegend protestantische Provenienz auf ideologisch-konfessioneller Ebene der Verfasser angeleuchtet wird, wird ausgeblendet, dass sich die Kommunikatoren (Verleger, Drucker, Kolporteure) auch zu solchen Titeln geneigt fühlten, weil eine Nachfrage auf Rezipientenebene bestand oder man eine solche Nachfrage vermutete.
Michael Niemetz: Antijesuitische Bildpublizistik in der Frühen Neuzeit. Geschichte, Ikonographie und Ikonologie (= Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum; Bd. 13), Regensburg: Schnell & Steiner 2008, 459 S., 202 Abb., ISBN 978-3-7954-1932-5, EUR 69,00
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