Die Architektur des Historismus hat in der deutschen Öffentlichkeit und der Kunstwissenschaft seit den 1970er-Jahren eine deutliche Aufwertung erfahren. Offensichtlich wird dies am Beispiel der neugotischen Drachenburg, die erstmals 1979 Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrachtung war. [1] Die Drachenburg darf als eines der bedeutendsten Zeugnisse des Späthistorismus im Rheinland und einer der letzten großen Bauten der Burgenromantik am Rhein gelten. Sie entstand 1882-1885 für den Börsenspekulanten, Investor und Wirtschaftsanalysten Stephan von Sarter und spiegelte seinen Aufstieg wieder, der 1881 in der Verleihung des persönlichen Adelstitels gipfelte.
In herausragender Lage auf einer Höhe unterhalb der mittelalterlichen Burg Drachenfels gelegen, bildet der vieltürmige, malerisch gruppierte Bau eine markante Staffage im Landschaftsbild vor dem Hintergrund des Siebengebirges. Und als künstlerische Aufwertung für diese Landschaft war die Burg auch konzipiert. Wie viele Bauten des Historismus erfuhr aber auch dieser Bau nach dem Zweiten Weltkrieg Ablehnung, stand ungenutzt und leer und verkam mehr und mehr zur Ruine. Das Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem die Anlage damals gehörte, war der Idee, die im Krieg durch Artilleriebeschuss stark beschädigte Burg abzubrechen, nicht abgeneigt. Ihre Rettung verdankt die Drachenburg dem Textilkaufmann Paul Spinat, der sich mit dem Kauf der ruinösen Burg 1971 einen Jugendtraum erfüllte. 1988 verkaufte er das Anwesen.
Die Ansichten über die Drachenburg, der man noch in den 1960er-Jahren keinerlei künstlerischen Wert beimessen wollte, hatten sich inzwischen gewandelt, das Land Nordrhein-Westfalen machte glücklicher Weise von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch, die Drachenburg ging in den Besitz der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege über. In den folgenden 22 Jahren folgte eine umfassende Instandsetzung und Restaurierung der Anlage, die von intensiven Recherchen zur Bau- und Nutzungsgeschichte begleitet wurden. Im Sommer 2010 konnte die Drachenburg als Museum der Öffentlichkeit übergeben werden. Der Hauptbau spiegelt dabei quasi als Originaldokument Lebenswelt, Kunstauffassungen und Architektur einer Epoche wider, die gemeinhin unter dem Namen "Gründerzeit" firmiert. Die Vorburg ist zu einem Museum eingerichtet, das der Geschichte des Naturschutzes gewidmet ist.
Das Ergebnis der Bemühungen um Erhalt und eine neue Nutzung der Drachenburg liegt nun dokumentiert in einem prachtvollen Band vor, der in zwölf Großkapiteln mit zahlreichen Aufsätzen diverse Aspekte der Burg, ihrer Geschichte und ihrer aufwändigen Instandsetzung behandelt. Die Einleitung bildet ein Aufsatz von Elmar Scheuren zum Mythos Drachenfels (15-33), der die ideengeschichtlichen Voraussetzungen für den Bau der Drachenburg im Kontext der Rheinromantik des 18. und 19. Jahrhunderts darstellt und so dem Leser ermöglicht, den Bau der Drachenburg in den zeithistorisch-kulturellen Hintergrund einzuordnen. In anschaulicher Weise wird dabei die Entdeckung der Burgruine Drachenfels und ihre Entwicklung zum beliebten Ausflugsziel und zum politischen Symbol nachgezeichnet.
Der Autor hebt hervor, wie Sage und historische Realität im Drachenfels als einem Geschichtssymbol für das Rheinland verschmolzen und ihr Eigenleben entwickelten. So wird in der lokalen Überlieferung der Drachenfels als Schauplatz des Kampfes zwischen Siegfried und Fafnir identifiziert. Die Bedeutung des Drachenfels' für die Rheinromantik belegen eindrucksvoll die in eigenen Kästen präsentierten Gedichte Byrons, Heines und Freiligraths. Vor diesem Hintergrund wird der Bau der Drachenburg in seiner komplexen Ikonografie verständlich. Ihrem Bauherrn, Stephan von Sarter, ist durch Stefan Weiß ein aufschlussreiches eigenes Hauptkapitel gewidmet (35-47). Es zeichnet den geradezu idealtypischen Aufstieg eines Mannes der Gründerzeit aus kleinen Verhältnissen zum einflussreichen Geschäftsmann und Unternehmer nach. Am Ende der Karriere stand 1881 die Erhebung in den Freiherrenstand durch den Herzog von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, dem von Sarter durch den Bau einer eigenen Burg gerecht werden wollte und musste, um den gesellschaftlichen Konventionen zu genügen und seinen Aufstieg zu dokumentieren. Weiß zeigt in beispielhafter Weise die Mechanismen des Aufstiegs eines Kleinbürgers zum homo novus und bietet zugleich ein eindrucksvolles Kapitel gründerzeitlicher Wirtschaftsgeschichte. Interessant ist, dass von Sarter seine Burg nie bewohnte, sie gleichsam zu einem Denkmal seiner selbst wurde, wie die Aufsätze des folgenden Großkapitels III zeigen.
Hier nun wird die Drachenburg als Gesamtkunstwerk des Historismus gewürdigt, in dem Architektur, Ausstattung und der umgebende Landschaftspark zusammen wirken, wobei Gerd Bermbach in seinem Aufsatz zum Landschaftspark (49-57) hervorhebt, dass dieser vor allem dazu dient, die Drachenburg in das Landschaftsbild einzubetten und zugleich als Monument herauszuheben. Was man in diesem Großkapitel vermisst, ist eine detaillierte Baugeschichte, auf die offenbar verzichtet werden musste, weil sich keinerlei Archivalien in Form von Bauverträgen etc. erhalten haben (60). Stattdessen geht Tanja Wagner auf die Architekten der Drachenburg ein, das seinerzeit renommierte Architekturbüro Tyshaus & von Abbema, das auch andere Schlossbauten, so Totis in Ungarn, ausführte, und Wilhelm Hoffmann (60-63). Interessant wäre sicher eine Verortung von deren Schaffen im Kontext der Neugotik in der zweiten Jahrhunderthälfte gewesen, gerade im Hinblick auf die Zeitgenossen Viollet-le-Duc, Konrad Wilhelm Hase oder Edwin Oppler, die hier leider unterbleibt, ebenso wie eine Einordnung der Drachenburg in den zeitgenössischen Schlossbau, gerade im Vergleich zu anderen Burgen von bürgerlichen Aufsteigern, wie z. B. das schon 1854-1858 ausgebaute Schloss in Sinzig, das der Kölner Bankier G. Bunge über den Resten einer älteren Anlage errichten ließ. [2] Dafür wird der Leser mit der detaillierten Aufschlüsselung des Bildprogramms der Skulpturen am Außenbau wie der Reste der Ausmalung im Innern entschädigt, mit denen sich Angelika Schyma bzw. Tanja Wagner beschäftigt haben (64-109). Sie verdeutlichen das Bestreben des Bauherrn, ein Bauwerk zu schaffen, das in seinem Programm als Denkmalbau zu werten ist, mit dem sowohl die Kunst, insbesondere die deutsche Kunst, wie auch das neue deutsche Kaiserreich verherrlicht werden sollte. Symbolisiert wird beides durch die Figuren deutscher Künstler, selbstredend darunter der Kunstheros der Epoche schlechthin: Albrecht Dürer.
Schyma spricht in diesem Zusammenhang von einem "bürgerlichen Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts" (64), ein Begriff, der die Geisteshaltung des Bauherrn sicher trifft, der sich als homo novus umfassend gebildet und patriotisch zu präsentieren beabsichtigte. Sehr deutlich wird dabei der gesuchte Bezug zum Mittelalter als heroisch verklärter Epoche der deutschen Geschichte, an die das preußisch-deutsche Kaiserreich anzuknüpfen suchte. In den Kaiserfiguren reicht das Bildprogramm sogar noch bis in die Antike zurück, indem an der Fassade Julius Cäsar - bemerkenswerter Weise in mittelalterlicher Kleidung - erscheint. Über Friedrich Barbarossa wird dann eine Kontinuitätslinie bis zu Wilhelm I, den man damals versuchte als "den Großen" zu etablieren, gezogen. Diese vielfältigen Bezüge auf Geschichte und Kunst kennzeichneten auch das Innere der Drachenburg, dessen Ausmalung starke Bezüge zur lokalen Historie und Sagenwelt herstellte.
Das wechselvolle Schicksal der Drachenburg und ihrer von Sarter nachfolgenden Besitzer beleuchtet das folgende Großkapitel IV. Es verdeutlicht, wie sich das Baudenkmal weiter entwickelte und nimmt dabei die vielfältigen Veränderungen in den Blick, denen Burg und Park unterworfen waren - mal als Touristenattraktion, dann als katholisches Jungeninternat, als Adolf-Hitler-Schule bis zum Verfall. Sehr konsequent ist dem Kapitel zur Rettung der Drachenburg durch den Textilunternehmer Spinat ein Aufsatz von Wolfgang Brönner voran gestellt (137-147), der die "Rehabilitation des Historismus" im Laufe des 20. Jahrhunderts bis heute nachzeichnet und ganz richtig herausstellt, dass trotz einer seit den 1970er-Jahren erfolgten Neubewertung des Historismus dieser immer noch eine "distanzierende Beschäftigung" mit dem Historismus gegenüber steht (145). Zu Recht betont Brönner, dass es zwar in den letzten Jahren eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen zu Architekten und Architektur des Historismus gab, aber die Forschungsergebnisse bisher zu wenig einer breiten Öffentlichkeit offensiv vermittelt wurden, die nach wie vor in bestimmten Vorurteilen über das 19. Jahrhundert und die Gründerzeit befangen ist (146). Tatsächlich ist aber auch in der deutschen Kunstwissenschaft zu beobachten, dass die Architektur des 19. Jahrhunderts meistenteils unter dem Aspekt früher Denkmalpflegebestrebungen und vor allem der Stilfrage behandelt wird. Versuche, die Bauten in funktionale und gesellschaftshistorische Kontexte einzuordnen, bilden bisher nach Ansicht des Rezensenten immer noch die Ausnahme.
Äußerst lesenswert ist das locker und unterhaltsam geschriebene, nichts desto weniger aber sehr fundierte Großkapitel VI von Helga Stoverock über Paul Spinat und die Drachenburg (149-171), der die Anlage nicht nur ab 1971 vor dem endgültigen Verfall und dem drohenden Abbruch bewahrte, sondern auch in sehr eigenwilliger Weise restaurierte. Analogien zum Bauherrn von Sarter drängen sich auf: Ein Mann aus kleinen Verhältnissen schafft den Aufstieg, zu seiner Repräsentation erwirbt er ein Schloss und schmückt sich auch noch, wenn auch auf dem Umweg der Heirat, mit einem falschen Adelstitel. Stoverocks Aufsatz bietet neben den fachlichen Informationen zur Restaurierungsgeschichte und der Ausstattung unter Spinat damit zugleich ein lebendiges Stück bundesrepublikanischer Kulturgeschichte.
Den übrigen Teil des Buches nehmen Aufsätze zu denkmalpflegerischen und restauratorischen Fachfragen ein. Sie legen das Vorgehen während der langen Instandsetzungsarbeiten dar und zeigen die kontroversen Diskussionen um den Erhalt, die Nutzung und die richtigen Restaurierungskonzepte. Das ist verdienstvoll, weil damit nicht nur der Fachmann über die diffizilen denkmalpflegerischen Fragen und das restauratorische Vorgehen informiert wird, sondern auch die breite Öffentlichkeit, an die sich dieses Buch ohne Zweifel als eine Art Festschrift zur Wiedereröffnung wendet. Nicht umsonst sind die beiden letzten Großkapitel der NRW-Stiftung als Trägerin der Instandsetzung und der Drachenburg gewidmet und stellen diese vor.
Abschließend ist zu bemerken, dass das Buch neben der Fülle fundierter Beiträge nicht zuletzt durch die äußerst qualitätsvolle, opulente Bebilderung mit aktuellen Aufnahmen, Bildern von den Restaurierungsarbeiten und vielen historischen Fotos besticht. Gerade die zahlreichen brillanten Detailfotos stellen die Qualitäten des Gesamtkunstwerkes Drachenburg deutlich heraus und machen aus dem fachlich informativen Werk zugleich einen Augenschmaus, der anregt, dieses Objekt des späten Historismus selbst zu besuchen.
Anmerkungen:
[1] Angelika Leyendecker: Schloss Drachenburg (= Landeskonservator Rheinland; Arbeitsheft 36), Köln 1979.
[2] Vgl. hierzu z.B. Michael Losse: Das Schloß zu Sinzig. Zur Geschichte eines bürgerlichen Schloßbaues im Rheinland des 19. Jahrhunderts, in: Rheinische Heimatpflege NF 29 (1992), Heft 1, 19-27.
Nordrhein-Westfalen-Stiftung (Hg.): Schloss Drachenburg. Historistische Burgenromantik am Rhein, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 320 S., ISBN 978-3-422-02241-6, EUR 28,90
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.