Auf dem Gebiet der Forschung zu hochkarätigen Kunst- und Wunderkammerobjekten ist Georg Laue wahrlich kein Unbekannter. Nun präsentiert er im Band VIII seiner Katalogreihe zu ausgewählten Genres von Kunst- und Wunderkammerobjekten in gewohnt hervorragender und überzeugender Manier kostbare Bestecke und Tafelgeräte von hoher künstlerischer Qualität. Inwiefern Tafelgeschirr der Renaissance und des Barock weitaus mehr als nur Nutz- und Hilfsmittel zur Speisenbearbeitung und Nahrungsaufnahme waren, wird in den beiden dem Katalog vorangestellten Aufsätzen näher erläutert.
Mit Barbara Grotkamp-Schepers hat Laue eine Expertin auf dem Fachgebiet der Bestecke gewinnen können. Die Direktorin des Deutschen Klingenmuseums in Solingen bespricht in ihrem Essay die Entwicklung der Anwendung von Bestecken und die soziale Bedeutung
der Tischkultur in Renaissance und Barock. Anhand des Bestecks kann auf die gesellschaftliche und finanzielle Stellung der Nutzer geschlossen werden. Der Löffel fand sich überwiegend am bäuerlichen Tisch: Damit wurde Suppe oder Brei aufgenommen, Speisen also, die für eine höfische Tafel keineswegs repräsentativ waren. Kostspielige Fleischgerichte hingegen gehörten unmittelbar zur adligen Esskultur und erforderten spezielles Tafelgerät. Dabei lag das Augenmerk nicht allein auf der Zerlegung und dem Verzehr der Speisen, sondern spiegelte vielmehr zivilisiertes Benehmen, Etikette und gesellschaftliche Konventionen wider. Als neuartiges und distinguiertes 'Werkzeug' hielt die Gabel sukzessive Einzug bei europäischen Banketten und löste allmählich das eher unästhetische Schlemmen ab, bei dem mit bloßen Händen gegessen wurde. Grotkamp-Schepers weist darauf hin, dass die Tisch- und Besteckkultur keineswegs nur einen funktionalen Wert, sondern eine weiterreichende Bedeutung inne hatte. Sie diente der Repräsentation des Gastgebers und hob sowohl dessen erlesenen Geschmack als auch seine literarische und religiöse Bildung hervor.
Virginie Spenlé, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunstkammer Georg Laue und Spezialistin für Kunst- und Wunderkammern, bespricht die höfischen Tischsitten und erhellt deren symbolische Bedeutung. Anhand von historischen Abhandlungen und Quellen zur Tafelkultur des 15. und 16. Jahrhunderts erläutert sie Sitzordnungen und Tischzeremoniell, die darin zum Ausdruck kommende soziale Hierarchie sowie die Verwendung der Servier- und Essgeräte. Spenlé legt dar, dass es eine klare Komposition der Tafel und einen kodierten Ablauf des Tischzeremoniells gab. Die Bestecke, die tatsächlich der Nahrungsaufnahme dienten, trug der Edelmann des 16. Jahrhunderts bei sich, entweder im Köcher am Gurt oder im Etui in der Tasche. Andere Bestecke waren so kunstvoll verarbeitet, dass sie nicht als reines Speisewerkzeug zu verwenden waren. Vielmehr handelt es sich um Artificialia, die ähnlich wie Pokale und Preziosen, aus hochwertigen und exquisiten Materialien wie Elfenbein, Koralle, Bernstein, Glas oder Muschelschale hergestellt wurden. Die edlen Werkstoffe, die hohe Kunstfertigkeit der Verarbeitung und die Dekoration mit aufwändigen Bildprogrammen, etwa an den Griffen, bezeugen, dass diese Gerätschaften zu Sammlungsobjekten avancierten. Spenlé unterstreicht, dass manche Materialien aufgrund der ihnen zugesprochenen giftabwehrenden Kräfte vermehrt eingesetzt wurden. Die zubereiteten Speisen wurden vor dem Verzehr mittels des Bestecks geprüft, um vor Vergiftungen zu schützen. So finden sich vielfach Pokale aus Kokosnüssen, Schalen aus Rhinozeroshorn sowie Korallen an kostbaren Bestecken.
Die Herstellung von Prunkbestecken erforderte die Kunstfertigkeit vieler verschiedener Handwerker und Künstler. Neben den Heftemachern waren gleichermaßen Klingenschmiede, Messerer und Bildhauer beteiligt. Das literarische oder religiöse Bildprogramm, mit dem die Bestecke verziert waren, ging vielfach auf Entwürfe bekannter Kupferstecher wie Heinrich Aldegrever, Albrecht Dürer oder Crispin de Passe d.Ä. zurück. Die Aufwertung und Würdigung der Bestecke als Sammelobjekte für die Kunst- und Wunderkammern hing allerdings weniger mit den materiellen oder künstlerischen Eigenschaften der Werke zusammen als vielmehr mit der symbolischen Aussagekraft des figürlichen Schmucks der Stücke. Spenlé resümiert, dass "[...] dabei das Tafelzeremoniell beinahe religiöse Züge annahm. An der Hoftafel wurde dem Fürst wie Gott in der Kirche Reverenz erwiesen. [...] Man verhielt sich also zu den Tafelgeräten, als seien sie der Fürst in Person. [...] Die Majestät des Regenten wohnte sozusagen den Objekten inne, die seiner Repräsentation dienten. Das Besteck des Fürsten galt somit als Inkarnation seiner Macht." (33)
Im Katalogteil wird einerseits sichtbar, welch differenzierte Funktionen Tafelgerät erfüllte. Andererseits wird deutlich, weshalb Bestecke als kostbare Sammlungsobjekte Einzug in die berühmtesten Kunst- und Wunderkammern hielten. Laue hat eine breite Palette unterschiedlichster Stücke zusammengetragen. Hochzeits- und Reisebestecke finden sich ebenso wie Jagdgarnituren, Dolche, Tranchiermesser bis hin zu Nähbestecken. Unter den Katalognummern werden Künstler, Werkstätten und Entstehungszeiträume diskutiert sowie Vergleichsobjekte und weiterführende Literatur benannt. Die Objektbesprechungen gehen auf Formenschatz, Motivvielfalt, unterschiedlich verwendete Materialien und künstlerische Entwicklungen ein.
Mit diesem Band darf Laue für sich in Anspruch nehmen, erneut ein überzeugendes Kompendium zu einem speziellen Sammlungsbestand der Frühen Neuzeit vorgelegt zu haben. Exzellente Abbildungen mit dem Fokus auf außergewöhnliche Details, wie beispielsweise den Klingenmarken, gewähren einen faszinierenden Einblick in die Welt der Tafelgeräte. Nicht zuletzt durch die Zweisprachigkeit ist diese Publikation sowohl für den Laien als auch für das Fachpublikum zu einem gewinnbringenden Handbuch geworden.
Georg Laue (Hg.): Kostbare Bestecke für die Kunstkammern Europas, München: Kunstkammer Georg Laue 2010, 249 S., ISBN 978-3-00-030189-6, EUR 60,00
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