Die Erkenntnis, dass sich die italienische Renaissance nicht auf die bekannten Hochburgen Florenz, Venedig und Rom beschränkt, gehört längst zum kunsthistorischen Allgemeingut. Es ist unbestritten, dass auch die Fürstenhöfe Norditaliens sowie Neapels einen entscheidenden Beitrag zur Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts in Italien leisteten. Allerdings konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Forschung meist auf die berühmten Künstlerpersönlichkeiten, die an den Höfen der Gonzaga in Mantua, der Este in Ferrara, der Visconti und der Sforza in Mailand, der Malatesta in Rimini sowie der Montefeltre in Urbino tätig waren: Pisanello, Andrea Mantegna, Piero della Francesca, Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci, Donato Bramante, Tizian, Raffael und Giulio Romano. In den letzten Jahrzehnten wurden unsere Kenntnisse der norditalienischen Renaissance durch zahlreiche neue Einzelstudien weiter vertieft, die methodisch meist der Themenstellung "Kunstpatronage" oder "Fürstenhof" verpflichtet sind. Ein umfassendes Überblickswerk zur Kunstproduktion der norditalienischen Fürstenhöfe fehlte aber bislang.
Diese Lücke schließt der von Charles Rosenberg im Rahmen der Reihe "Artistic Centers of the Italian Renaissance" herausgegebene Band, der sechs Beiträge von verschiedenen Autoren zu Mailand, Piacenza und Parma, Mantua, Ferrara, Bologna sowie Urbino, Pesaro und Rimini versammelt.
Wie der Titel des Buchs schon suggeriert, war das Kunstgeschehen in diesen Städten weitgehend vom regierenden Fürsten, seiner Familie und seiner höfischen Entourage bestimmt und daher durch eine gewisse Zentralisierung gekennzeichnet. Die Herrschaft der Souveräne, die sich aus den Signorien der mittelalterlichen Kommunen entwickelt hatte, war allerdings oft bedroht, sei es wegen der Machtansprüche ihrer kaiserlichen oder päpstlichen Lehensherren, sei es wegen Rivalitäten in den Reihen der eigenen Familie. Umso mehr setzten die Fürsten Norditaliens Bildende Kunst, Architektur, Kunstgewerbe, Musik, Literatur, Feste und Hofhaltung zur Legitimierung von Rang und Macht sowie zur Verherrlichung ihrer Dynastie ein. Auch die Konkurrenz untereinander war ein entscheidendes Movens, Unsummen für Kunst auszugeben.
Charakteristisch für das Kunstpatronat der italienischen Fürsten ist, dass - im Unterschied zu Venedig, Florenz und Rom - neben der neuen Orientierung an der römischen Antike die Tradition des mittelalterlichen Rittertums nach dem Vorbild nordeuropäischer Höfe weiterlebte. Da sich viele Fürsten ihr Geld als Söldnerführer verdienten, spielte zudem eine gewisse militärische Gesinnung eine Rolle. Diese spezifisch höfische Renaissancekultur Norditaliens manifestiert sich in der Ikonografie der Bilder, in den Turnieren und in den zumindest ästhetisch nach fortifikatorischen Gesichtspunkten angelegten Residenzen in der Stadt.
Alle Autorinnen und Autoren sind dem methodischen Ansatz der Kunstpatronageforschung verpflichtet und stellen einen engen Zusammenhang zwischen Kunst, historischen Ereignissen und Politik her. Aber obwohl sie von den Auftraggeberpersönlichkeiten der herrschenden Dynastien ausgehen, bleiben sie meist stark objektorientiert. Da für den langen Zeitraum von 1350-1600 eine große Anzahl von Bau- und Kunstwerken vorgestellt und interpretiert wird, geraten die Essays stellenweise zu sehr zu Aneinanderreihungen von Objekten. Weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen.
Natürlich interessiert den Leser am Ende, inwieweit sich Charakteristiken im Kunstschaffen der verschiedenen Herrscher und ihrer Dynastien ausmachen lassen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Molly Bourne macht als Hauptmerkmale der Patronage der Gonzaga in Mantua ihre Selbstdarstellung als fromme Krieger und Gelehrte sowie die ungewöhnlich hohe Bedeutung der Kunstsammlung als Mittel der Statussicherung aus. Giuseppe Bertini arbeitet heraus, dass Piacenza und Parma im 15. Jahrhundert dem kulturellen Modell Mailand als Zeichen (tatsächlicher) politischer Zugehörigkeit verpflichtet waren, während die neu installierte Dynastie der Farnese ab 1545 eine am päpstlichen Hof in Rom, an den Medici-Herzögen in Florenz und an den Niederlanden orientierte visuelle Kultur pflegte. Insgesamt bleiben die Interpretationen des fürstlichen Kunstpatronats bei allen Autoren und Autorinnen aber recht vordergründig und dringen nicht wirklich zu den kunstpolitischen Strategien der Mäzene vor.
Ein Beispiel soll diese Kritik verdeutlichen und zeigen, dass es mit dem Lob der Forscher auf die magnificentia der Auftraggeber nicht getan ist. Der Mailänder Herzog Ludovico Sforza gilt in der Kunstgeschichte als großer Renaissancemäzen, da er Ende des 15. Jahrhunderts Donato Bramante und Leonardo da Vinci engagierte. Luisa Giordano hat in einem brillanten Aufsatz eine differenziertere Sicht auf die Mechanismen des Sforza-Kunstpatronats geboten und die Kluft zwischen großartigen, propagandistischen Konzepten zur Verherrlichung der Dynastie und der adäquaten künstlerischen Umsetzung aufgezeigt. [1] Ludovico Sforza verfügte Giordano zufolge nicht über das intellektuelle Niveau, um die neue Kunst der Renaissance wirklich zu verstehen. Daher war es ihm egal, wenn hochkarätige Planungen, etwa von Bramante für sein Mausoleum S. Maria delle Grazie, durch schlechte, noch mittelalterlich geprägte, einheimische Kräfte, die der Markt billig hergab, schnell und "verunreinigt" ausgeführt wurden. Damit relativiert sich zum einen die Sicht auf seine Fähigkeiten als Mäzen, zum anderen erklärt sich die mangelhafte Qualität vor allem vieler Bauten (die schon manchen Kunsthistoriker zur Verzweiflung gebracht hat), auch wenn sie von Bramante entworfen waren. Die Erforschung von Kunstpatronat sollte eben manchmal auch thematisieren, was nicht oder "falsch" gemacht wurde.
Als ein weiteres Problem des vorgestellten Bandes erweist sich, dass die Themenstellung der court cities gelegentlich an ihre Grenzen stößt. Denn der Hof des Fürsten bestimmte nur in Mantua, Ferrara, Urbino, Pesaro und Rimini über den gesamten langen Zeitraum der Renaissance das Kunstgeschehen vor Ort. Hingegen war das in Mailand nur Ende des 14. bis Ende des 15. Jahrhunderts und in Piacenza und Parma nur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fall, da die Gebiete nur in diesen Phasen politisch selbstständig waren und eine eigene kulturelle Identität entfalteten. In Bologna, der von einem päpstlichen Legaten und einem kommunalen Senat regierten Stadt, greift der methodische Ansatz des Hofes eigentlich gar nicht mehr, auch wenn die Familie der Bentivoglio zeitweise die politischen und kulturellen Fäden in der Hand hielten. So schleicht sich der Verdacht ein, dass letztlich das alte Konzept der nach Städten strukturierten lokalen Kunstgeschichtsschreibung bestimmend blieb.
Trotz dieser Kritikpunkte bleibt hervorzuheben, dass der Band eine ausgezeichnete Einführung in die oberitalienische Renaissancekunst bietet. Es geht weniger um neue Fragestellungen und neue Forschungsergebnisse, als vielmehr um einen Überblick. Umso bedauerlicher ist es, dass die Fürstentümer Carpi (nahe Modena), Montferrat und Saluzzo in Piemont fehlen. Leider lässt auch die Qualität der Abbildungen sehr zu wünschen übrig.
Anmerkung:
[1] Luisa Giordano: Nihil supra. La magnificenza di Ludovico Sforza, in: Arnold Esch / Christoph Luitpold Frommel (a cura di): Arte, committenza ed economia a Roma e nelle corti del Rinascimento 1420-1530, Turin 1995, 273-296.
Charles M. Rosenberg (ed.): The Court Cities of Northern Italy. Milan, Parma, Piacenza, Mantua, Ferrara, Bologna, Urbino, Pesaro, and Rimini, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XXVII + 423 S., ISBN 978-0-521-79248-6, GBP 120,00
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