Was haben ein afrikanisches Elfenbein-Salzgefäß und ein römischer Obelisk gemeinsam? Wer sich der kurzweiligen Lektüre der 13 im Sammelband The Idol in the Age of Art enthaltenen Beiträge widmet, wird nicht nur diese beiden jeweils in einem Aufsatz behandelten Objekte in neuem Licht sehen, sondern noch so manche andere kuriose Anekdote über Kunstwerke aus europäischen und nicht-europäischen Entstehungskontexten des "Age of Idolatry" (1), gemeint ist die Zeit von 1400 bis 1800, erfahren. Die Zielsetzung des Bandes im Sinne einer material culture wird von den Herausgebern in der Einleitung (1-10) formuliert: Bisher standen in der Literatur zum Themenkomplex "Bild und Bildersturm" eher die bildfeindlichen Haltungen und die ikonoklastischen Handlungen im Vordergrund, die versammelten Aufsätze nun sollen das "Idol" , beziehungsweise das als solches bezeichnete Objekt zum Thema haben. Michael Camilles "The Gothic Idol" [1] ist der Vorreiter für diese feine, aber signifikante Unterscheidung zwischen einer "Geschichte der Idolatrie" und einer "Geschichte des Idols". Auf ihn vor allem beziehen sich die meisten der Autoren dieses Bandes, der sich passagenweise wie eine in die Neuzeit reichende Fortsetzung von Camilles Studie liest. Während die Literatur zu Ikonoklasmus und Bilderstreit [2] inzwischen unüberschaubar geworden ist, hat das geistige Konstrukt der Idolatrie vor allem seit dem letzten Jahrzehnt verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. [3] In einer dezidiert objektbezogenen Akzentsetzung dagegen finden sich noch nicht allzu viele Publikationen: Zuletzt hat sich etwa Beate Fricke mit der berühmten Skulptur der Fides von Conques in ihrer Ambivalenz zwischen Kultobjekt und Idolatrieverdacht auseinandergesetzt. [4]
Wie also verhält es sich mit Salzstreuer und Obelisk? Unter den zahlreichen im Band behandelten Objekten sind sie zwei Beispiele für Kunstwerke, denen im Laufe ihrer bemerkenswerten Rezeptionsgeschichte das Etikett des "Idols" aufgeprägt wurde. Beide erfuhren spätere Umdeutungen, die eben diese Etikettierung aufnahmen und umkehrten, nur um schließlich wiederum eine idolatrieähnliche Haltung beim Betrachter zu erzeugen: Der elfenbeinerne Salzstreuer war ursprünglich in der Renaissancezeit von den Sapi in Sierra Leone wohl für einen portugiesischen Auftraggeber gefertigt worden. Im 18. Jahrhundert auf den Kopf gestellt, wurde er zu einem mit exotisch-magischen Assoziationen aufgeladenen Behältnis für die reliquiengleich verehrten Schädelknochen des französischen Lyrikers Jean Baptiste Rousseau. Die römischen Obelisken wiederum waren als Trophäen in der Antike aus Ägypten nach Rom gebracht worden. Als Objekte waren sie mit heidnischen Kultpraktiken konnotiert. Indem sie Papst Sixtus V. zunächst restaurieren und auf römischen Plätzen aufrichten ließ, sie einem Exorzismus unterzog und sie in einem Triumphgestus mit christlichen Aposteln oder dem Kreuz krönte, schuf er nicht nur einen Monumenttyp, der das ganze Mittelalter hindurch als Prototyp für das "Idol" gegolten hatte (die Figur auf der Säule), sondern förderte zudem noch seine Anbetung durch einen päpstlichen Ablass.
Diese beiden Fallbeispiele sind repräsentativ für die Bandbreite der im Band enthaltenen Beiträge: Hier werden eher klassische Themenbereiche der Kunstgeschichte abgehandelt, wie die Ausmalung der Florentiner Strozzi-Kapelle durch Filippino Lippi (Gerhard Wolf, Philine Helas), die niederländische Architekturmalerei Pieter Saenredams (Celeste Bursati) oder ein devotionaler Kupferstich von Hieronymus Wiericx / Georg Mack dem Älteren (Walter S. Melion), die aufschlussreiche Einsichten in differenzierte, ja erstaunlich ambivalente künstlerische Haltungen zum konfessionellen Bilderstreit liefern. Doch besteht das Verdienst des Bandes nicht nur darin, mit der Frage nach dem Objekt der Idolatrie den Blick auf die "Negativfolie" der christlichen Bildtheorien und ihrer bilderstürmerischen Konsequenzen zu lenken, sondern auch darin, die dem Begriff der Idolatrie immanente Konstruktion des "Anderen", des "Fremden" in einer globalen Perspektive zu beleuchten. [5] Die Lektüre wird immer dann besonders spannend, wenn der Blick sich aus dem abgeschlossenen semantischen System westlich-christlicher Bildvorstellungen auf die sogenannten "Idole" fremder Kulturen und die Bedingungen ihrer Definition als solche richtet. Erst dann werden aufschlussreiche Brüche und Paradoxien im Konstrukt der "Idolatrie" offenbar, etwa wenn im Beitrag von Thomas Cummins (77-104) die eigentümliche Zwischenhaltung des katholischen Spanien plastisch wird, das im 16. Jahrhundert in Südamerika als kompromissloser Zerstörer präkolumbischer "Idole" auftrat, während es in den Niederlanden seinerseits des Götzendienstes beschuldigt und zur Rechtfertigung seiner Bildpraxis genötigt wurde. Ähnlich deutlich werden die Spannungen, die das Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Bildsysteme erzeugen kann, in den Beiträgen von Mia Mochizuki (239-266), Claire Farago und Carol Komadina Parenteau (105-132). Ausgehend von der Umformung illustrierter Manuskripte mexikanischer Künstler in Buchformate wissenschaftlichen Zuschnitts für den europäischen Markt machen die letzten beiden Autorinnen nicht nur Prozesse der Transkulturation deutlich, sondern zeigen darüber hinaus auch, dass der im konfessionellen Diskurs entwickelte Eigenschaftenkatalog von "Idolatrie" den Kunstbegriff und die kunsthistorische Disziplin bis heute prägt.
Die vielfältigen, interdisziplinär angelegten Beiträge zur Diskussion des "Idol in the Age of Art" sorgen in jeder Hinsicht für eine anregende Lektüre und eine lohnenswerte Perspektiverweiterung auf den neuzeitlichen Bild- und Kunstdiskurs. Da sind einige formale Schwächen des Bandes, etwa die schlichte Aneinanderreihung der Beiträge ohne durchschaubare Ordnung oder die Doppelung einiger Abbildungen mit teils sich widersprechenden Bildunterschriften (zum Beispiel Fig. 4.2. und Fig. 5.3.), leicht zu verkraften - insgesamt eine gelungene Publikation.
Anmerkungen:
[1] Michael Camille: The Gothic Idol. Ideology and Image-making in Medieval Art. Cambridge 1989.
[2] In der Einleitung (1) ist eine Auswahl der aktuellen Literatur aufgeführt. Darüber hinaus ist in der deutschsprachigen Forschung auf die bereits klassischen Beiträge zum Thema von Martin Warnke, Bob Scribner, Horst Bredekamp, Gottfried Boehm und Rainer Hoeps zu verweisen.
[3] Zum Beispiel: Sigrun Anselm (Hg.): Idole. Klaus Heinrich zu Ehren. Berlin 2007; Ralph Dekoninck (éd.): L'idole dans l'imaginaire occidental. Paris 2005. L'Idolâtrie (= Rencontres de l'Ecole du Louvre 3)1990. Paris 1990.
[4] Beate Fricke: ecce fides. Die Statue von Conques, Götzendienst und Bildkultur im Westen. München 2007.
[5] Zu dieser Thematik vgl. auch den erst nach der vorliegenden Publikation erschienenen Ausstellungskatalog von Maria Effinger (Hg.): Götterbilder und Götzendiener in der frühen Neuzeit. Heidelberg 2012.
Michael W. Cole / Rebecca E. Zorach (eds.): The Idol in the Age of Art. Objects, Devotions and the Early Modern World (= St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot: Ashgate 2009, XIX + 356 S., ISBN 978-0-7546-5290-8, GBP 55,00
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