Ehe er als Historiker reüssierte, arbeitete Robert Darnton nach seinem Studium als Gerichtsreporter für die New York Times. Spannender als Mordfälle fand er jedoch die Lektüre der Kultur der Renaissance in Italien. Damit seine Kollegen nichts von seinen intellektuellen Ambitionen mitbekamen, versteckte er das Buch zwischen den Seiten des Playboy. Wie Roger Chartier später meinte, hatte der Playboy aber am Ende einen größeren Einfluss auf Darntons Arbeit als Burckhardt. [1] Denn es war Darnton, der zuerst die politische Funktion der vorrevolutionären, französischen Pornografie aufzeigte. Damit war er zugleich einer der ersten Historiker, die Pornografie als Quelle und Gegenstand ernst nahmen. Bis die Geschichtswissenschaft aber den Playboy selbst ihrer Aufmerksamkeit würdig erachtete, sollten noch rund 30 Jahre vergehen. Nun sind in rascher Folge mehrere Studien erschienen, die das Magazin in Bezug setzen zum sozialen und kulturellen Wandel im 20. Jahrhundert, zu dem es ihnen zufolge selbst einen nicht geringen Beitrag leistete. Die beiden jüngsten Arbeiten werden im Folgenden betrachtet.
Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im 'Playboy' von Beatriz Preciado ist bereits in vielen größeren Tageszeitungen besprochen worden - oft mit einer Mischung aus Begeisterung für ihre Thesen, und mit Staunen darüber, womit sich Wissenschaftler/innen so alles beschäftigen. Wie der Titel schon sagt, konzentriert sich die spanische Kulturwissenschaftlerin weitgehend auf die Verbindung zwischen dem Playboy und der Architektur. Dass sich dazu ein ganzes Buch schreiben lässt, illustriert an sich bereits die Bedeutung des Magazins jenseits von Fotografien leicht bekleideter Frauen. Für Preciado war es ein "Teil der architektonischen Phantasie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts" (12) und zugleich ein "Umschlagplatz der Architektur und des Designs" (13). Nahezu jede Ausgabe enthielt eine mehrseitige Fotoreportage über neue architektonische Trends, die der Magazin-Gründer Hugh Hefner nicht selten im Selbstversuch umsetzte. In einem der ersten Hefte bereits veröffentlichte Hefner ein "Manifest zur Befreiung des Mannes von der häuslichen Ideologie" (28). Preciado verortet es im Kontext der verstärkten Suburbanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, in deren Folge sich die traditionelle Segregation der Geschlechter zunächst noch einmal zuspitzte: während die Männer täglich zur Arbeit ins Stadtzentrum und die Fabriken aufbrachen, um erst abends wieder zurückzukehren, blieben viele Frauen im vorstädtischen Heim zurück. Anstatt diese Ordnung zu untermauern oder - wie viele andere Männermagazine - den Outdoorsman zu feiern, verkündete der Playboy ein Programm der männlichen "Besetzung, Rückeroberung und gar Kolonialisierung des häuslichen Raums und der Innenstadt" (28). Damit diese Entdeckung traditionell weiblicher Räume ihm jedoch nicht den Verdacht eintrug, Feminisierung und Homosexualität Vorschub zu leisten, setzte er Preciado zufolge auf jene ostentative heterosexuelle Erotik, für die er bis heute bekannt ist.
Wie sah diese Eroberung weiblicher Räume in der Praxis aus? Preciado betrachtet dazu verschiedene Raumkonzepte im Magazin und die realen Wohnräume Hefners. Diese seien zukunftsweisend gewesen, da sie die Herausbildung eines "postdomestischen Innenraums" (56) erkennen ließen. So war das Playboy-Apartment nicht nur eine Maschine, "die Frauen gleichermaßen effektiv anlockt und anschließend entsorgt", sondern hob die Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen, Öffentlichkeit und Privatheit auf. Hefners berühmtes, rundes Bett war Schlafmöbel, Spielwiese und Schreibtisch in einem. Die Küche als weiblich konnotierter Raum wurde reduziert zur "kitchenless kitchen" (63), zur Wohnküche, in der der Playboy - beziehungsweise die Technik - und nicht die Frau waltete. Denn die Gefährtin des Playboys - das Bunny - war ebenso weit entfernt von der Hausfrau wie der Playboy vom pater familias. Geschlechteridentitäten bildeten sich also für Preciado auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer wesentlich über Räume heraus, nur dass man hier bei deren sozialer und diskursiver Konstruktion geradezu zuschauen konnte. Bis hierhin folgt man Preciado willig, dann jedoch beginnt die Theorie überhand zu nehmen, von Restif und de Sade bis Butler und Foucault reichen die von ihr bemühten Bezüge. Ob der Playboy tatsächlich für die "Verwandlung des disziplinarischen Regimes in ein pharmakopornographisches Regime" (74) in Haft genommen werden kann und was das eigentlich sein soll, bleibt fraglich. Problematischer als die Wortkonstrukte, die den deutschen Feuilletonisten so gut gefallen, sind allerdings Fehlinterpretationen, die sich im Licht von Carrie Pitzulos Dissertation umso deutlicher zeigen.
Architektur spielt in Bachelors and Bunnies keine Rolle. Der Ausgangspunkt für die Historikerin Pitzulo ist vielmehr die in den 60er Jahren beginnende feministische Kritik am Playboy. Als Feministin habe sie erwartet, dass das Magazin einem zügellosen Sexismus frönte, um dann jedoch festzustellen, dass die Dinge sich in Wirklichkeit wesentlich komplizierter verhielten. Pitzulo zufolge fungierte der Playboy "as a bridge between the traditionalism of the previous era and the modern celebration of personal freedom and fulfillment" (7). Ähnlich wie Preciado sieht sie in ihm nicht lediglich eine Quelle, die Aufschluss über die Veränderung von Geschlechterrollen gibt, sondern als einen Agenten der Herausbildung neuer Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und neuer Konsummuster. Um diese These zu unterstreichen, betrachtet sie sechs Themen, die zugleich chronologisch Entwicklungsstufen des Magazins widerspiegeln: seine Anfänge in den 50er Jahren vor dem Hintergrund einer vielbeschworenen "crisis of masculinity" (17), die Erfindung des Playmates, die Rolle des Konsums, den Stellenwert von Liebe und Ehe und die feministische Kritik seit den späten 60er Jahren.
Wie Pitzulo überzeugend veranschaulicht, vertrat der Playboy zu Beginn durchaus einerseits eine misogyne, gegen traditionelle Wertvorstellungen wie Ehe und Familie und andererseits eine gegen Homosexualität gerichtete Haltung. Diese mäßigte sich aber in der Folgezeit zunehmend. Sogar dem viel gescholtenen Playmate gewinnt sie durchaus positive Aspekte ab. Vor dem Hintergrund der traditionellen Doppelmoral, der zufolge Sexualität ein männliches Privileg war, habe es gezeigt, "that women, even the marriageable ones, could have happy, healthy sexuality, regardless of marital status" (40). Im Übrigen habe der Playboy nicht nur Frauen, sondern auch Männer in Objekte verwandelt. So stimmt es nicht, dass - wie Preciado in Pornotopia behauptet - im Magazin nur Frauen, aber keine Männer zu sehen gewesen seien. Vielmehr zeigte es sowohl Pärchen wie auch einzelne nackte Männer, etwa den Schauspieler Burt Reynolds. Auch habe der Playboy keineswegs durchweg einer männlich dominierten Sexualität gehuldigt, in der es keinen Platz für Gleichberechtigung, Romantik und Ehe gab, sondern diese Werte vielmehr den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Und nicht zuletzt bezog das Magazin eine äußerst tolerante Haltung gegenüber Homosexualität. Bei Pitzulo wird Hefner geradezu zu einem Vorläufer von Judith Bulter, wenn er erkennt, "that gender was not a natural state of being, but rather a self-conscious construction" (111). Darüber lässt sich streiten, klar ist jedoch, dass Preciados These, für den Playboy hätten "sowohl die heterosexuelle Ehe als auch die Homosexualität perverse Positionen" (36) markiert, nicht haltbar ist. Als ebenso falsch erweist sich ihre naheliegende Annahme, das Magazin sei nur von Männern gelesen worden, denn nach Pitzulos Auszählung stammten zwischen einem Viertel und einem Drittel der Leserbriefe von Frauen. Wie sie zeigt, war der Playboy ein wichtiges Forum für eine Fülle von Fragen angefangen bei Sex und Romantik über Feminismus und Homosexualität bis hin dazu, welchen Anzug Mann tragen sollte.
Obschon Preciado und Pitzulo ein und denselben Zeitraum und Gegenstand behandeln, könnten ihre Arbeiten kaum unterschiedlicher sein. Beide teilen die Überzeugung, dass der Playboy mehr war als seine Centerfolds, nämlich ein Kristallisationspunkt für Vorstellungen von Gender und Gesellschaft und ein Motor soziokultureller Veränderung. Doch damit enden schon die Gemeinsamkeiten. Während Preciado den Playboy in der Folge von Steven Marcus als Pornotopie versteht, der ein "Masturbationsdispositiv" (37) zu Grunde lag, betrachtet Pitzulo ihn ganz ausdrücklich nicht als Pornografie, sondern als eine primär an Männer gerichtete Konsumentenzeitschrift. Für beide Positionen lassen sich Argumente anführen, wichtiger als der Definitionsstreit sind jedoch die inhaltlichen und methodischen Unterschiede. Diese beruhen zum einen darauf, dass Preciado den Playboy mit europäischen, Pitzulo hingegen mit amerikanischen Augen betrachtet und zum anderen auf verschiedenen disziplinären Herangehensweisen. Das Buch der Kulturwissenschaftlerin Preciado ist thesenstark und theoriegesättigt. Es hebt vor allem auf die Abbildungen ab und stellt die Architektur in den Mittelpunkt. Es regt zum Nachdenken an, enthält aber auch zahlreiche Fehlinterpretationen. Bei der Historikerin Pitzulo spielt die Theorie nur eine Nebenrolle, sie hat jedoch Ausgabe für Ausgabe des Playboy durchgesehen und zusätzlich die Leserbriefe und das Archiv ausgewertet. Diese akribische Arbeit ermöglicht ihr, die Entwicklung des Magazins präzise nachzuzeichnen und in den jeweiligen zeitgenössischen Kontext einzubetten. Deshalb kommt sie zwar zu weniger plakativen, doch wesentlich differenzierteren Urteilen.
Schließlich verdanken beide Autorinnen wichtige Anregungen der Historikerin Elizabeth Fraterrigo, die schon 2009 eine Monografie zum Playboy vorgelegt hat. Ähnlich wie Pitzulo stellte auch sie den Gender und Feminismus in den Mittelpunkt, bezog aber überdies bereits die Architektur mit ein. [2] Da Pitzulo und Preciado allerdings ganz eigene Perspektiven entwickeln und Fraterrigo in wichtigen Punkten ergänzen, vermögen ihre Arbeiten ohne weiteres für sich zu bestehen. Alle drei Studien eignen sich gut als Einführung in das Thema, wobei die Lektüre von Pornotopia durch eines der beiden anderen Bücher ergänzt werden sollte. Eine Frage, der keine der Autorinnen nachgeht, ist die nach der internationalen Ausstrahlung des Playboy. So beschränken sich Fraterrigo und Pitzulo ganz auf die USA. Preciado schreibt zwar von einem "räumlich-sexuell-visuell-kapitalistischen Produktionskreislauf von globalem Ausmaß" (77), erwähnt aber nicht einmal, dass es Ableger des Magazins in Frankreich, Spanien, Brasilien, Mexiko und fast 30 weiteren Ländern gibt (der erste erschien ab 1972 in Deutschland). Wie der Playboy von den USA ausgehend es zu so vielen Länder-Ausgaben brachte und ob diese das Original lediglich kopierten oder vielmehr eigene, national und kulturell spezifische Konzepte entwickelten, wäre ein interessanter Gegenstand zukünftiger Forschung. Hieran ließe sich ablesen, wie verschiedene Gesellschaften mit Sexualität, Geschlechteridentitäten und Konsum umgingen und ob sich auf diese bezogene Normen und Einstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg über Grenzen hinweg einander anglichen oder eben gerade nicht. Insgesamt bestätigen die neuen Studien Darntons These, die Pornografie habe mit der Französischen Revolution ihre politische Bedeutung weitgehend eingebüßt, gleichzeitig zeigen sie aber, dass sie dafür eine eminente soziale und kulturelle Rolle im 20. Jahrhundert spielte, die es lohnt, noch weiter zu untersuchen.
Anmerkungen:
[1] Roger Chartier: Un garçon plein d'esprit mais extrêment dangereux: The Darnton Subversion, in: Charles Walton (ed.): Into Print. Limits and Legacies of the Enlightenment. Essays in Honor of Robert Darnton, University Park 2011, 1-11, hier 9.
[2] Elizabeth Fraterrigo: Playboy and the Making of the Good Life in Modern America, Oxford 2009; zu erwähnen ist ebenfalls Steven Watts: Mr. Playboy. Hugh Hefner and the American Dream, Hoboken/NJ u.a. 2008.
Beatriz Preciado: Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im 'Playboy' (= Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek; Bd. 82), Berlin: Wagenbach 2012, 168 S., ISBN 978-3-8031-5182-7, EUR 24,90
Carrie Pitzulo: Bachelors and Bunnies. The Sexual Politics of Playboy, Chicago: University of Chicago Press 2011, 256 S., ISBN 978-0-226-67006-5, USD 25,00
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