Einer der wirkmächtigsten Impulse der Reformation in theologischer wie kirchenorganisatorischer Hinsicht kam aus der deutschsprachigen Schweiz, insbesondere aus Zürich und Basel. Daher ist es erstaunlich, dass bisher keine Editionen von Kirchenordnungen aus Zürich und Basel vorlagen. Diesem Mangel wollen Emidio Campi und Philipp Wälchli mit einer zweibändigen Edition von Zürcher Kirchenordnungen und der hier zu besprechenden einbändigen Edition von Basler Kirchenordnungen Abhilfe schaffen. Ediert werden 112 Texte vom ersten, noch vorreformatorischen Mandat gegen die Täufer von 1528 über ein Mandat zur Evangelischen Predigt und dem Reformationsmandat, beide 1529, bis zur Stuhl-Ordnung zu St. Peter von 1671(?). Den Anfang bildet damit ein Mandat aus der Zeit, als Basel zwar nicht offiziell, aber faktisch überwiegend reformatorisch war. Den Endpunkt bildet das Jahr 1675, in dem die Formula Consensus erlassen wurde, der Höhepunkt der reformierten Orthodoxie.
Aufgenommen wurden ausschließlich Texte mit ordnendem Charakter, keine Bekenntnisse oder ähnliches. Des Weiteren finden sich in der Edition einzig gedruckte Mandate und Erlasse, und zwar aus dem Staatsarchiv Basel. "Mangels Ressourcen", wie die Herausgeber in der Einleitung mehrfach betonen, konnten andere Archive oder handschriftliches Material nicht berücksichtigt werden. Damit stellt die Edition ein sehr hilfreiches Grundlagenwerk dar, das einen ersten Überblick über die ordnenden Aspekte der Geschichte der Basler Reformation und Orthodoxie bietet. Für eine genauere Analyse der Basler Reformation wird es jedoch die eigenständige Archivarbeit nicht ersetzen können.
Die Edition wird durch den Abdruck von Emblemen und Bildinitialen, ein Bibelstellen-, Personen- und Ortsregister, sowie, besonders wichtig, ein Glossar ergänzt. Zudem ist dem gedruckten Buch eine CD mit der gesamten Edition im pdf-Format beigegeben, was in Forschung wie Lehre die Nutzung erleichtert. Die edierten Texte werden durch einen textkritischen Apparat und erklärende Anmerkungen ergänzt. Letztere behandeln vornehmlich grammatische Korrekturen - besonders häufig fehlende Inversionen in Nebensätzen (auch innerhalb von Liedzitaten, vgl. 483) -, Verweise auf Bibelzitate und Referenzen auf andere Schriften, z.B. das Basler Bekenntnis von 1534 oder den Heidelberger Katechismus. Die ausführlichen, auch sprachlichen Erläuterungen in Fußnoten und Glossar helfen auch mit der Schweizer Reformation nicht sehr vertrauten Forschenden oder fortgeschrittenen Studierenden zum Verständnis.
Nicht alle ausgewählten Mandate sind vollständig abgedruckt. Auslassungen werden durch [...] markiert; eine kurze Inhaltsangabe findet sich im Apparat. Die Herausgeber erklären dies mit einem "offensichtliche[n] Missverhältnis zwischen den Teilen, die der zugrunde gelegten Definition von Kirchenordnungen entsprechen, und dem Rest der jeweiligen Dokumente" (XXIV). Selbstverständlich sind auch hier die Grenzen fließend, wie überhaupt die Definition von "Kirchenordnung" in der Praxis kaum eindeutig ist: Es sollten Kirchenordnungen im engeren Sinne, Schulordnungen, Gesetzgebung zu Hochzeit und Ehe, Umgang mit Armen und Fürsorge sowie Luxus- und Sittengesetzgebung aufgenommen werden.
Auffällig ist, wie wenige theologische Aussagen sich in den Texten finden und wie selten im strengen Sinne kirchenordnende Mandate erlassen (oder ediert) wurden. Wesentlich häufiger finden sich kürzere Mandate oder Sammelmandate zum Lebenswandel. Unter diesen stechen wiederum Erlasse zu Hochzeitsfeiern hervor. In mehreren Hochzeitsordnungen wurde genau festgelegt, was bei Hochzeitsmählern serviert werden durfte (vgl. Nr. 69, 74, 84). Die Edition wird daher für die Sozial-, Mentalitäts- oder Alltagsgeschichte sowie die Rechtsgeschichte der Reformation vielleicht von noch größerem Interesse sein als für die Theologiegeschichte und Ekklesiologiegeschichtsschreibung. Allerdings ist festzuhalten, dass die Texte mit theologisch-dogmatischen Aussagen in der Regel die längeren sind. Sie finden sich insbesondere in den Agenden und den "Reformation" genannten Erlassen.
Des Weiteren fällt auf, wie stark die Gesetzgebung im Laufe der Zeit zugenommen hat. So entfallen allein auf die 1590er Jahre 23 Mandate (Nr. 20-32), während von 1528 bis 1589 lediglich 19 Mandate gedruckt - und im Staatsarchiv aufbewahrt - worden waren (10 bis 1555, danach keines bis 1561). Weitere 80 Mandate wurden zwischen 1600 und 1675 erlassen, darunter eine ausführliche Neuauflage der "Reformation" (Nr. 87) und der Agende (Nr. 109). Die erste edierte Schulordnung entstand 1621 (Nr. 56), die erste Ordnung für eine Mädchenschule 1659 (Nr. 102).
Die "Reformation" von 1637 bietet eine interessante Mischung aus religiöser und weltlicher Ordnung. Bezeichnenderweise trägt sie auch beide Benennungen im Titel: "Christenliche Reformation und Policey-ordnung" (310). Der Aufbau der Vorschriften folgt den Zehn Geboten: Gottesdienst und Sonntagsheiligung, Gotteslästerung, das Verhalten von Kindern gegenüber Eltern, Unzucht, Diebstahl - hierunter fallen auch Zinswesen, Regeln zu Monopolen, Löhne, Handel und Müßiggang -, üble Nachrede und Schmähschriften, Trunk, Spiel, eine Hochzeitsordnung, Kleiderordnung, Leichenschmaus. Aber auch hier werden, dem Charakter einer Ordnung entsprechend, die Vorschriften religiös begründet und gleichzeitig in sehr lebensweltliche Maßnahmen umgesetzt. So beinhalten die Vorgaben zur Sonntagsheiligung neben dem Gottesdienstbesuch die konkreten Gebote "keine andere / dann heilige / und von Gott erlaubte Wercke / Handlungen und Geschaeffte / vornemmen und verueben; hingegen aber aller leiblichen Hand-arbeit / zuo Feld und zuo Hauß / und was jmmer an besuochung der Predigen / und wahren Gottes-diensts / hinderlich seyn kan / sich gaentzlichen enthalten / und solches alles / aeussersten vermoegens / fliehen und meyden woellen" sowie "alle Gewerbs-laeden / Werckstette / wie auch Pasteten-haeuser / bey peen 4. Pfunden gelds / beschlossen gehalten" (312).
Die edierten Mandate und Erlasse dokumentieren den Übergang Basels zur reformierten Orthodoxie. Mehrfach wird das Verhältnis zu den Täufern und damit zum linken Flügel der Reformation geklärt. Aber auch die Abgrenzung zum Katholizismus und insbesondere zum Luthertum wird deutlich. Nach 1577 wird die Konkordienformel in mehreren Dokumenten explizit abgelehnt. Dies hindert die Autoren des Agendbuchs von 1602 (Nr. 35) jedoch nicht daran, Luthers Morgensegen (ohne Nennung des Autors) in die Gebetssammlung mit aufzunehmen und im Agendbuch von 1666 (Nr. 109) werden die Vorschläge für tägliche Gebete durch Luthers Lied "Verleih uns Frieden gnädiglich" abgerundet. Hier wird offensichtlich zwischen der ausdrücklichen Ablehnung der lutherischen Orthodoxie und der Übernahme von religiösen Ausdrucksformen Martin Luthers selbst unterschieden. Die Hinwendung zur reformierten Orthodoxie ist in den Verweisen auf die reformierten Bekenntnisse, die nicht ediert sind, und in den abgedruckten Katechismen abzulesen. Deutliche theologische Aussagen finden sich auch in den teils sehr ausführlichen Gebeten.
Die Edition bietet ein wichtiges Werkzeug für Forschung und Lehre zur reformierten deutsch-schweizerischen Reformation. Die Basler Reformationsgeschichte kann jedoch aufgrund der Quellenauswahl nicht allein anhand dieser Edition erforscht werden. Da ausschließlich gedruckte Mandate aus einem einzigen Archiv aufgenommen sind, ist für die Leser nicht ersichtlich, wie repräsentativ die edierten Quellen sind. Dennoch: Indem die Texte wesentlich über "Kirchenordnungen" im engeren Sinne hinausgehen und auch den sittlichen Lebenswandel umfassen, zeigt die Edition religiöse Vorgaben wie traditionelles Brauchtum auf.
Emidio Campi / Philipp Wälchli (Hgg.): Basler Kirchenordnungen 1528-1675, Zürich: TVZ 2012, XXXIV + 602 S., 1 CD-ROM, 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-290-17629-7, EUR 100,00
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