Hans Zitko hat den anspruchsvollen Versuch unternommen, die soziologischen und sozialpsychologischen Dimensionen der Rezeption des Kunstwerks zu einer Theorie der "Kunstwelt" auszuarbeiten. Es gelingt Zitko, eine gleichsam transzendentale Logik des Kunstwerks - die Bedingungen der Möglichkeit seiner Wahrnehmung - zu entwerfen, indem die Interdependenz der Teilsysteme (ästhetisches) Objekt, Geld, Präsentation und Wissen aufgezeigt werden, ohne dabei in einen monokausalen Determinismus zu verfallen.
Zu Beginn seiner Arbeit skizziert Zitko die Rolle des Künstlers zu Beginn der Neuzeit (wobei er sich u.a. auf Warnkes Arbeit über die Hofkünstler bezieht) Der Künstler konnte die Rolle des Handwerkers, die er früher innehatte, ablegen; er war nicht mehr Vertreter der artes mechanicae, sondern der artes liberales. Soweit er, was häufig der Fall war, in die höfischen Kreise aufgenommen wurde, unterlag er wie diese dem Tabu der Lohnarbeit. Velasquez - er unternahm geradezu verzweifelte Bemühungen um den Nachweis, dass er nicht für Gewinn arbeite - ist ein eindrucksvolles Beispiel für dieses Tabu. Damit verliert die Tätigkeit des Künstlers "jedes kalkulierbare, rationale Maß" (61). Gesteigert wird dies durch eine Art "ritualisierten Tauschakts" zwischen Künstler und höfischem Patron: "Auf der Basis der diskursiv betriebenen Entökonomisierung der Kunst explodieren deren Preise" (62). Es ist der Beginn eines Prozesses, in dem sich der "Tauschwert" eines Kunstobjekts nicht mehr vorwiegend an "intrinsischen Werten" (Arbeitszeit, Materialkosten) des Kunstobjekts, sondern an Prestigeinteressen und damit an Kaufkraft bemisst.
Vor diesem historischen Hintergrund entwickelt Zitko die These, dass es gerade die Leugnung der ökonomischen Bedeutung der Kunstwerke ist, die sie umso mehr den Charakter ökonomischer Prestigeobjekte annehmen lässt, mit denen ein bestimmter sozioökonomischer Status angezeigt wird. Anders gesagt: werden Kunstwerke auf dem seit der Neuzeit expandierenden Markt Prestigeobjekte, so verlieren sie dadurch tendenziell ihren etwa durch Material und Arbeitsstunden messbaren Charakter als Tauschwert - ihr Tauschwert richtet sich nunmehr nach dem Ausmaß des Prestiges, das mit ihnen eingekauft wird. Damit werde deutlich, dass "der Diskurs, der die Kunst von der profanen Logik des Geldes freizusprechen bemüht ist, ein funktionales Gegenstück zu jenen Prozessen bildet, die die Kunst ins System des höheren, nur den Reichen vorbehaltenen Konsums integrieren" (63).
Die Tauschwert-These ist für das Verständnis der Zitkoschen Argumentation von zentraler Bedeutung. Gerade die prestigeträchtigen Kunstwerke erhalten eine Qualität, die den von Marx analysierten Fetischcharakter der Ware zum Ausdruck bringt. Der Fetischcharakter der Ware besteht in der Vorstellung, dass durch das Tauschmittel Geld gleichwertige Gebrauchswerte, Äquivalente, getauscht werden, d.h. wie Marx es formuliert, die gesellschaftlichen Produktions- und Herrschaftsverhältnisse als Verhältnis "gegenständliche[r] Charaktere der Arbeitsprodukte" erscheinen und damit verschleiert werden. Zugespitzt kann man sagen, dass insbesondere Objekte der Kunst, in denen der Gebrauchswert marginal oder wie im ready-made ganz verschwunden ist, der Fetischcharakter der Ware am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Es findet ein quid pro quo statt: es geht nicht um intrinsische Qualitäten, entscheidend ist vielmehr der sozial konstituierte Tauschwert. Dies wurde von Adorno, auf den sich Zitko mehrfach bezieht, ähnlich beschrieben. Die weitergehende These Zitkos ist dabei, dass dieser Fetischcharakter der Ware Kunst - wobei gerade die illusionäre Fixierung an den Gebrauchswert konstitutiv ist für den Tauschwert - kein Phänomen einer Depravation der Kunst im Kapitalismus ist, sondern der Rezeption von Kunstwerken immanent und darüber hinaus wahrnehmungssteigernd ist.
Es ist das Verdienst der Arbeit von Zitko, dass sie einen differenzierten und erweiterten Blick auf das Verhältnis von Kunst und Geld ermöglicht. Im Anschluss an Niklas Luhmann betont Zitko, dass Geld die Funktion einer "symbolischen" und einer "diabolischen" Generalisierung besitzt. Bei Ersterer handelt es sich darum, dass Geld ein generalisiertes Medium der Interaktion darstellt, einen gemeinsamen Code, auf dessen Basis Individuen interagieren. Bei Letzterer darum, dass Geld soziale Differenzen produziert, die sich auch in Status und Prestige manifestieren.
Symbolische und diabolische Generalisierung bilden den Hintergrund einer zwiespältigen Einstellung zu Kunst und Geld: Kunst erhält gleichsam den Charakter eines doppelten "Erlösungsgeschehens": "Der ästhetische Gegenstand erscheint als ein Medium der Befreiung des Subjekts von den Niederungen des gesellschaftlichen Daseins. Auf der anderen Seite findet sich eine positive Besetzung der monetären Ökonomie, die eine Erlösung anderer Art in Aussicht stellt. Geld selbst soll in diesem Fall die Wunden heilen, die seine diabolische Logik dem Subjekt schlägt. [...] Weil die Negation des Geldes nur die eine Seite jener janusköpfigen Struktur bildet, deren andere Seite die Affirmation impliziert, sind zumindest in der Kunst beide Erlösungsperspektiven unauflösbar miteinander verbunden" (74f.). Anders ausgedrückt: es ist gerade die "diabolische Symbolisierung" selbst, die bei den Individuen die Hoffnung weckt, selbst an positiven Seiten der Symbolisierung partizipieren zu können. Es handelt sich gleichzeitig um eine profane wie um eine außeralltägliche Erlösungsperpektive (77), wobei hinzufügen ist, dass die "profane" Seite im Sinne etwa des Calvinismus (ähnlich auch im mormonischen Glauben) durchaus auch ihre außeralltäglich-religiöse Bedeutung besitzt: der Besitz eines ästhetischen Objekts oder der in ihm verkörperte Tauschwert kann als innerweltlicher Nachweis der göttlichen Gnade verstanden werden.
Die soziale "Ontologie" der Werke, ihr "Sein", kommt beispielhaft in ihrem Tauschwert zum Ausdruck: "Objekte, die für hohe Preise veräußert wurden, erfreuen sich selbst bei ausgewiesenen Kennern der Kunst wie Kritikern oder Kuratoren vielfach einer gesteigerten Aufmerksamkeit. Teure Werke ziehen oftmals einen Schweif an erläuternden Kommentaren hinter sich her. In diesem Sinne bildet der Markt nicht nur ein Medium, das den Austausch von Objekten ermöglicht, sondern das ihnen zugleich zu ihrem gesellschaftlichen Dasein verhilft" (79). Zitko hat die Adornosche Dialektik des Fetischcharakters des Kunstwerks um die systematische Explikation einer doppelten "Erlösungsperspektive" und einer sie begleitenden ambivalenten "Affektspannung" erweitert. Ob Adornos Ansatz damit "obsolet" wird, ist freilich eine andere Frage.
Der Anspruch der Arbeit von Zitko zielt auf eine Theorie der Kunst, also auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung ihrer Objekte. Diese Bedingungen sind das ästhetische Objekt selbst, Geld, Präsentationspraktiken und die damit verbundene institutionelle Macht und Wissen. "Das Sein des Werkes ist von mehreren Bedingungen abhängig, die ein Rahmensystem konstituieren, das die Aufmerksamkeit bündelt und damit einem möglichen Objekt zur Erscheinung verhilft. Dieses Rahmensystem besitzt zunächst eine gewisse Verwandtschaft mit jenem Komplex a priori bestehender Verstandes- und Anschauungsformen, der in der Philosophie Kants als unverzichtbare Voraussetzung einer jeden Gegenstandserkenntnis betrachtet wird [...] Wenn die Eigenschaften eines Kunstwerks nur unter den Bedingung in Erscheinung zu treten vermögen, dass Wissen, Präsentationspraktiken, institutionelle Macht und Geld in konzertierter Weise in den Wahrnehmungsprozess einfließen, so lassen sie sich gleichwohl nicht allein und ausschließlich als Produkte eben dieses Faktorensystems begreifen. Die Eigenschaften von Kunstobjekten - einschließlich ihrer ästhetischen Qualitäten - sind vielmehr das Resultat komplexer Interdependenzen, an denen der visierte Gegenstand selbst in bestimmter Weise beteiligt ist" (18f., ähnlich 174).
Zitkos Analyse der kunstweltkonstitutiven Elemente (Kunst-)Objekt, Geld, Wissen und Präsentation ist überzeugend und die Rede von den intrinsischen ästhetischen Qualitäten des Objekts trügerisch. Eine Abschottung von diesen Faktoren ist nicht möglich. Andererseits nimmt Zitko zumindest ex negativo auf die Eigenrationalität des Kunstwerks Bezug. Zitko spricht von "Werkästhetik" und dem Verlust der "intrinsischen Qualität von Werken" (u.a. 38, 298, 304), die dann wiederum durch Kommentare oder aufwändige Präsentationspraktiken gleichsam kompensiert werden. Besonders deutlich tritt dieses Problem am Beispiel der "ready mades" in Erscheinung (denen er, zusammen mit der Dada-Kunst, eine spezifische Affinität zur Funktionsweise des Geldes zuschreibt, 239f., 246 - Zitko spricht von einem "Kopieren" des Geldmechanismus in die Werke). "Man kann im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine fortschreitende Entdifferenzierung der ästhetischen Sprache in der Kunst beobachten" (240f.). Fast scheint es so, als würde Zitko hier selbst zum Fürsprecher der These von der destruktiven Kraft des dämonischen Mammon.
Wenn jedoch Kunstobjekte eine eigene "Werkästhetik" besitzen, dann wäre es erforderlich eine zumindest partielle Eigenrationalität der Kunst genauer zu bestimmen. Dem könnte der Autor entgegenhalten, dass dies eine neue Untersuchung erfordern würde. Zumindest lässt sich eine derartige Eigenrationalität nicht mit dem Luhmannschen Modell der systemischen "Interpenetration" verstehen, da in diesem Modell das Kunstsystem zwar "Inputs" anderer Systeme aufgreift, sie jedoch nach Maßgabe seiner immanenten Rationalität verarbeitet. Gespannt darf man deshalb sein, ob der Autor dieses vertrackte Problem in einer weiteren Untersuchung in Angriff nimmt.
Hans Zitko: Kunstwelt. Mediale und systemische Konstellationen (= Fundus; 191), Hamburg: Philo & Philo Fine Arts 2012, 483 S., ISBN 978-3-86572-590-5, EUR 22,00
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