Mit wachsendem Abstand zum Ost-West-Konflikt des 20. Jahrhunderts erscheinen seine Relikte zunehmend anachronistisch. Dazu gehören auch die Folgen des Koreakrieges. Die seit mehr als 60 Jahren andauernde Teilung Koreas führt gleichwohl sehr deutlich seine Fernwirkung als erste direkte Militärkonfrontation des Kalten Krieges vor Augen. Von einem Vergessen kann also nicht die Rede sein, zumal Nordkorea mit einem dritten Nukleartest in der Nacht zum 12. Februar 2013 die Welt jüngst wieder in Aufregung versetzt hat.
Gerade die militärische und politische Dimension des Dauerkonfliktes wirkt bis in die Gegenwart hinein. Daher ist es nachvollziehbar, dass der zu besprechende Sammelband thematisch genau dort ansetzt, selbst wenn er damit quer zum kultur- und medienhistoriografischen Trend liegt. Die 15 Beiträge sind aus einer Konferenz des Deutschen Historischen Instituts in Moskau und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam hervorgegangen. Etliche ausgewiesene Spezialistinnen und Spezialisten zur Militärgeschichte des Kalten Krieges sowie zur Korea-Frage aus Potsdam und Moskau, Washington, Odense, Berlin, Tübingen und Innsbruck untersuchen folgende Themenbereiche: die Kriegsursachen, die Historiografie, die Wahrnehmung des Konfliktes durch politische Eliten und die Bevölkerungen der direkt oder am Rande beteiligten Konfliktparteien, die Auswirkungen auf die Situation Deutschlands und Polens sowie den politischen Einfluss des sowjetischen und des US-amerikanischen Militärapparates.
Durch den verbesserten Quellenzugang vor allem in Moskau seit den 1990er-Jahren sind wesentliche neue Erkenntnisse in Detailstudien und in Übersichtswerken veröffentlicht worden. [1] Hingegen sind die entsprechenden Quellen in China, den beiden koreanischen Staaten und zu einem großen Teil auch in den USA (mit Ausnahme der Bände der Foreign Relations of the United States, die sich mit Korea beschäftigen) kaum oder gar nicht zugänglich (21). So bleiben grundlegende Fragen weiterhin ungeklärt: die nach den Ursachen des Koreakrieges in der Gemengelage der innerkoreanischen und internationalen Interessen, die nach der Rolle Pekings als Handlanger Moskaus oder aber als Manipulator sowjetischer Interessen sowie die Frage nach der Kompromissbereitschaft Washingtons und Moskaus vor dem Hintergrund einer direkten Konfrontation im Zeitalter von Atomwaffen. Auf solche offenen Fragen weist auch Bernd Bonwetsch in seiner Einleitung hin.
Valerij I. Denisov sieht die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch bei den beiden koreanischen Führungen und verweist dabei auf das Zögern Moskaus, Nordkorea zum Nachahmen des sowjetischen Modells zu ermutigen, um Washington nicht zu provozieren. Dagegen konzentriert sich Kathryn Weathersby auf die Abhängigkeit der nordkoreanischen Führung von sowjetischer und chinesischer Unterstützung und sieht somit die diesbezüglich enttäuschten Hoffnungen als Ursache von Pjöngjangs Weg in die Isolation.
Welche politischen Fernwirkungen die Kriegsschuldfrage heute noch hat, verdeutlicht Peter Kuhfus sehr anschaulich anhand einer Kontroverse zwischen russischen und chinesischen Historikern. Während etwa in einem russischen Werk davon die Rede ist, dass der Koreakrieg Stalin von Mao und Kim Il-sung aufgezwungen worden sei, u.a. mit dem Ziel, einen globalen Entscheidungskampf zwischen den Systemen herbeizuführen, wurde in der chinesischen Übersetzung der Name Maos getilgt (58). Daraufhin entspann sich ein verdeckter bilateraler Disput um dieses Politikum.
Für die USA hatte der Krieg zunächst mehr symbolische als strategische Bedeutung, wie Bernd Schäfer zeigt. Mittelfristig ermöglichte die Entscheidung, eine direkte Konfrontation mit China zu meiden, Washington 20 Jahre später die Annäherung an Peking; die Erfahrungen in Ostasien kamen im Vietnamkrieg zum Tragen. Für beide Supermächte wird der Koreakrieg als Auslöser eines wachsenden Einflusses des Militärapparates auf die Politik bewertet. Irina V. Bystrova belegt dies für die USA, indem sie sich im Wesentlichen auf einen Band von 1981 stützt, Matthias Uhl für die UdSSR auf der Basis von Dokumenten aus den Parteiarchiven und dem Wirtschaftsarchiv. Er weist darauf hin, dass trotz neu entwickelter Nuklearwaffen deren befürchtete Anwendung im Koreakrieg eine "Fehlperzeption westlicher Nachrichtendienste" gewesen sei (141). Stattdessen wurden die konventionellen Streitkräfte zwischen der Berlin-Krise und dem Ende des Koreakrieges verdoppelt.
Die Bedeutung für die deutsche Frage wird in mehreren Beiträgen aufgegriffen: Der Koreakrieg erleichterte die Akzeptanz der jeweiligen Bündnispartner für die Aufrüstung beider Teile Deutschlands (so Bruno Thoß bzw. Rüdiger Wenzke) sowie die Einbindung des Westteils in die NATO (Dieter Krüger). Wegen der offensichtlichen Parallelen spielte Korea zudem eine "herausragende Rolle" in der propagandistischen Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westdeutschland, wie Burkard Ciesla und Dieter Krüger anhand von Zeitungsauswertungen verdeutlichen (113). Wohl auch deshalb leistete die DDR noch während des Koreakrieges Wiederaufbauhilfe, obwohl sie selbst mit den steigenden Rohstoffpreisen als Folge dieses Krieges zu kämpfen hatte (Ciesla).
Auch die polnischen Streitkräfte wurden vor dem Hintergrund des Koreakrieges massiv aufgestockt und das Verteidigungsbudget deutlich erhöht (Dariusz Jarosz). Neben Rüstungshilfe leistete Polen humanitäre Unterstützung: Hunderte nordkoreanischer Kinder konnten sich in Polen von den Schrecken des Krieges erholen. Die polnische Bevölkerung reagierte auf den Krieg mit einer Mischung aus Furcht vor einem dritten Weltkrieg und der Hoffnung auf den Zusammenbruch der kommunistischen Regierung im eigenen Land.
Selbst für Dänemark, das von der NATO genötigt wurde, ein Hospitalschiff nach Korea zu entsenden, hatte der Koreakrieg direkte wirtschaftliche Folgen: Die USA drängten auf ein Verbot dänischer Lieferungen strategischer Güter an die UdSSR, wie Thomas Wegener Friis und Kristine Midtgaard anhand dänischer Akten zeigen.
In seinen Schlussbetrachtungen fasst Rolf Steininger die Kriegsfolgen für die Beteiligten im Telegrammstil zusammen und schildert die Erinnerungskulturen in den USA und in Korea. Der Band verdeutlicht, dass zwar schon etliche Aspekte erforscht sind, aber noch viele fehlen, wie auch Natal'ja I. Egorova in ihrem Beitrag anmerkt. Nicht zuletzt der mangelnde Zugang zu den Dokumenten der meisten Hauptbeteiligten ist dafür entscheidend. Dass viele Beiträge auf originärer Quellenarbeit - insbesondere ehemaliger europäischer Ostblockstaaten - beruhen, macht den Band daher besonders wertvoll, denn die Grundlagenarbeit zu diesem Thema ist noch lange nicht abgeschlossen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Christoph Kleßmann / Bernd Stöver (Hgg.): Der Koreakrieg. Wahrnehmung, Wirkung, Erinnerung, Köln 2008; Rolf Steininger: Der vergessene Krieg. Korea 1950-1953, München 2006; Anatolij V. Torkunov: Zagadočnaja vojna. Korejskij konflikt 1950-1953 godov, Moskau 2000.
Bernd Bonwetsch / Matthias Uhl (Hgg.): Korea - ein vergessener Krieg? Der militärische Konflikt auf der koreanischen Halbinsel 1950-1953 im internationalen Kontext (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Moskau; Bd. 3), München: Oldenbourg 2012, 206 S., ISBN 978-3-486-71271-1, EUR 32,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.