Dass mit der interdisziplinären Analysekategorie "Geschlecht" neue Erkenntnisse über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu gewinnen sind, demonstriert der von Maren Röger und Ruth Leiserowitz herausgegebene Sammelband "Woman and Men at War". Das vorliegende, aus einer im Deutschen Historischen Institut in Warschau im Jahr 2011 organisierten Konferenz hervorgegangene Buch präsentiert Beiträge, die sich den alltags- und geschlechterhistorischen Dimensionen des Zweiten Weltkrieges in Mittel- und Osteuropa aus verschiedenen nationalen Perspektiven nähern. Zwar ist eine solche international angelegte, geschlechtergeschichtliche Herangehensweise in der Geschichtswissenschaft nicht mehr neu [1], bemerkenswert und für die Forschung sehr anregend ist jedoch die Konzentration der hier versammelten Aufsätze auf die geschlechterspezifischen Erfahrungen im genuin osteuropäischen Raum, der sich nicht nur durch die unvergleichbaren Dimensionen des Krieges und die Brutalität, die die Besatzung durch NS-Deutschland hier annahm, von westlichen Kriegsschauplätzen abhebt, sondern sich auch durch die Zerstörung und die in der Nachkriegszeit anhaltende Deformierung traditioneller Geschlechterordnungen, Normen und Strukturen unterscheidet. Damit ist die Hauptthese der Herausgeberinnen und zugleich die erkenntnisbasierte Quintessenz des Sammelbandes benannt, auf die der Leser bereits in der Einleitung eingestimmt wird und die in den folgenden vier Kapiteln mehr oder weniger eine Bestätigung findet.
Im ersten Abschnitt des Bandes wird anhand von drei Beiträgen deutlich gemacht, wie die Kategorie "Geschlecht" in die Analyse von verschiedenen historischen Konstellationen einbezogen werden kann. Der Beitrag von Elizabeth Harvey zeigt am Beispiel des nationalsozialistischen Diskurses der Umsiedlungspropaganda der Volksdeutschen aus Ost- und Südosteuropa, wie das offizielle Narrativ, die Selbstwahrnehmung des Personals der Umsiedlungskommandos und ihrer Begegnungen mit den "Fremden" von der maskulin-heroischen Darstellung kolonialen Stils bestimmt war. Diese stilisierte die Umsiedlungskommandos zu "Beschützern" und "Rettern" des Deutschtums und legitimierte zugleich die grenzenlose Gewalt gegen die Nichtdeutschen. Gender-Sprache wurde auch von den Sowjets und Nazis zur Legitimierung ihrer Regime bei der Besetzung Lettlands benutzt. Mara Lazda schildert in ihrem Aufsatz, wie die sowjetische Zeitungs-Propaganda direkt nach der Annexion Lettlands die traditionell maternale Weiblichkeit des unabhängigen Lettlands als rückständig, als das Symbol der Schwäche des alten Regimes verhöhnte und dieser das Bild der emanzipierten und politisch aktiven sowjetischen Arbeiter-Frau entgegensetzte. Die Angehörigen der Roten Armee wurden mit Rückgriff auf das maskuline Modell als heroische, Ehrfurcht gebietende und zugleich weise Soldaten und Familienväter dargestellt. Sobald jedoch die Deutschen im Juli 1941 die sowjetische Okkupation abgelöst hatten, wurde die Rote Armee von deren Propaganda zu einer chaotischen Horde umstilisiert und das offizielle Narrativ von dem Bild des gesunden, tapferen und edlen Deutschen beherrscht. Spannend liest sich der Aufsatz von Andrea Pető, in dem die Autorin am Beispiel der Nachkriegsprozesse in Ungarn sichtbar macht, wie man dort um die Wiederherstellung einer traditionellen Geschlechterhierarchie bemüht war. Die im profaschistischen Horthy-Ungarn politisch aktiven Frauen, die man nach dem Krieg vor das Volkstribunal stellte, wurden generell auf Grund ihres Geschlechts, das als Teil der Verteidigungsstrategie bewusst eingesetzt wurde, zu einfachen apolitischen Kriminellen in der Opferrolle stilisiert und milder bestraft.
Der zweite Teil des Buches versammelt Aufsätze, die sich mit Geschlechterrollen und Identitäten in der Armee beschäftigen. Dass der polnischen bzw. der sowjetischen Armee unterschiedliche Männlichkeitskonstruktionen zu Grunde lagen, zeigen die Beiträge von Łukasz Kielban und Kerstin Bischl. Während der strenge Ehrenkodex der polnischen Offiziere im Verlauf des Krieges als vollständig antiquiert erschien, erfuhr das vorwiegend durch Vulgarität und Virilität definierte maskuline Konzept der Roten Armee, die zugleich bis zu einer Million Frauen umfasste, im Krieg eine Radikalisierung. Inwiefern Bischls Befund die sexuellen Übergriffe der Rotarmisten auf die Frauen etwa beim Einmarsch in die östlichen Teile des deutschen Reiches am Ende des Krieges 1945 erklären kann und welche Folgen die zugespitzte Männlichkeitskonstruktion für die sowjetische Nachkriegsgesellschaft hatte, bleibt eine offene Frage, die einer weiteren Untersuchung bedarf. Auf das defizitäre Wissen über die Beziehungen zwischen deutschen Frauen und Männern im Einsatz für das NS-Regime bzw. das Verhältnis zwischen Kategorien "Rasse" und "Geschlecht" in den besetzten Gebieten weist Franka Maubach hin.
Georgeta Nazarska und Sevo Yavashchev zeichnen den radikalen Rollenwandel nach, der mit dem sozialen und politischen Aufstieg der Frauen im kommunistischen Bulgarien verbunden war. Diesen führen die Autorinnen auf den Einsatz der Frauen in den Kampfeinheiten des kommunistischen Widerstands während Bulgariens Zugehörigkeit zu den Achsenmächten sowie in der bulgarischen Armee nach der kommunistischen Machtergreifung im September 1944 zurück. Der Aufsatz von Maren Röger thematisiert einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen deutschen Männern und polnischen Frauen nach dem Angriff des Dritten Reiches auf Polen. Wenngleich es sich dabei zumeist um Überlebensprostitution handelte, wurden solche Intimitäten von der polnischen Gesellschaft aufs Schärfste verurteilt und die betroffenen Frauen verfolgt, diffamiert und sogar mit dem Tod bestraft. Interessant ist Rögers paradoxer Befund, dass Beziehungen zwischen Deutschen und Polinnen trotz der brutalen deutschen Besatzung keine Seltenheit waren und dass polnische Frauen in einer deutschen stereotypen Vorstellung im Widerspruch zur NS-Rassenideologie als "French Ladies of the East" galten. Dass die ideologisch-rassisch begründeten Verbote auf deutscher Seite ignoriert wurden, bestätigt einmal mehr die Antinomien des Nationalsozialismus. Rögers Untersuchung stimmt insofern auch mit den Ergebnisse der 2010 erschienenen Studie von Regine Mühlhäuser [2] überein, die ein ganzes Spektrum sexueller Kontakte deutscher Männer (von romantischen Verhältnissen bis hin zu Vergewaltigung und Versklavung) in den besetzten Ostgebieten systematisch darstellt.
Der dritte Teil des Sammelbandes gibt einen Einblick in die Motive, Einsatzbereiche und den geschlechtsspezifischen Alltag der Frauen in den Partisanengruppen in Litauen (Ruth Leiserowitz), Jugoslawien (Barbara N. Wiesinger) und in der Ukraine (Olena Petrenko). Obwohl als typisch weibliche Tätigkeiten der Sanitätsdienst oder Versorgungsarbeiten galten, war die Beteiligung von Frauen an bewaffnetem Widerstand, vor allem im Kampf gegen die deutsche Besatzung, in allen drei Ländern weit verbreitet, so dass die Trennlinie zwischen kombattanten und nichtkombattanten Funktionen von Frauen nicht leicht zu ziehen ist. Bei allen drei Aufsätzen sowie im Fall Bulgariens fallen übereinstimmende Beweggründe ins Auge: Während litauische und ukrainische Frauen aus national-patriotischen Motiven in den Untergrundkampf gegen das sowjetische Regime eintraten, sahen die meisten Partisaninnen, insbesondere Jüdinnen, im kommunistischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung die letzte Möglichkeit der Selbstverteidigung bzw. des Überlebens. Frauen kämpften vor allem um ihr Leben, um die persönliche Integrität und weniger aus ideologischen Motiven, wie es die kommunistische Parteiführung nachträglich behauptete.
Die von allen Autoren festgestellte Diskrepanz zwischen traditionell weiblicher Geschlechteridentität und Gewaltausübung war nicht unumstritten und wurde in der Propaganda der Kriegszeit sowie in der sozialistischen bzw. nationalistischen Erinnerungskultur der jeweils behandelten Länder entsprechend thematisiert. Im Rahmen kommunistischer Befreiungsbewegungen wurde zwar die Partizipation der Frauen am Widerstand explizit als Beleg für die Frauenemanzipation und die Gleichstellung der Geschlechter im sozialistischen Projekt und somit als Legitimation für ein sozialistisches Gesellschaftsmodell angeführt. In der Nachkriegsgesellschaft wurde jedoch die Erinnerung an die aktive Beteiligung der Frauen an den Kampfeinsätzen möglichst unterdrückt und die einstige Kämpferin in die tradierte Frauen-Rolle verwiesen. Generell wird von allen Autoren ein Rollenwandel der Frau während des Krieges mit einer anschließenden ambivalenten Mythologisierung und Instrumentalisierung weiblicher Partizipation im Untergrund in der Nachkriegszeit festgestellt.
Dieser Befund findet eine weitere Bestätigung im vierten Teil des Buches. Irina Rebrova macht hier auf die Frauen-spezifische Erinnerung an den Krieg jenseits standardisiert patriotischer und glorifizierender Narrative der Sowjethistorie aufmerksam. Vita Zelče und Barbara Klich-Kluczewska zeichnen die jeweils reale und schwierige Lage der Frauen in den vorwiegend weiblichen Nachkriegsgesellschaften Lettlands und Polens nach. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Rückkehr der Frau in die traditionelle zivile Rolle bei der gleichzeitigen Mobilisierung weiblicher Kräfte für den Wiederaufbau sozialistischer Ordnungen nicht mit der sowjetischen Propaganda des Modells der "emanzipierten sowjetischen Frau" übereinstimmte und mit folgenreichen Konflikten verbunden war.
Wenngleich bei einzelnen der hier vorgestellten Beiträgen mehr Differenzierung zu wünschen gewesen wäre - etwa hinsichtlich der Ambivalenzen des nationalen Widerstandes gegen das Sowjetregime im Baltikum oder im Aufsatz von Georgeta Nazarska und Sevo Yavashchev, in dem die Autoren beiläufig die Nichtauslieferung der bulgarischen Juden an Nazi-Deutschland erwähnen, aber nicht auf die Deportation von Juden aus den von Bulgarien besetzten Gebieten (Mazedonien und Griechenland) in die Vernichtungslager hinweisen -, bietet der Sammelband eine abwechselungsreiche und anregende Lektüre. Die Beiträge durchbrechen nationale Grenzen und geben einen Einblick in den noch weitgehend asymmetrischen Forschungsstand über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus der Genderperspektive im osteuropäischen Raum. Die größte Leistung des vorliegenden Bandes besteht allerdings darin, facettenreich zu demonstrieren, wie stark die zivile und militärische Welt im Osten einander durchdrangen und bestimmten und wie dringend angeraten es deshalb ist, die noch lange nicht "auserzählte" Geschichte des Zweiten Weltkrieges nicht auf eine rein militärische Perspektive zu verengen.
Anmerkungen:
[1] Eine Vielzahl neuer Veröffentlichungen gab der Forschung in den letzten Jahren neuen Auftrieb. Es seien die deutschsprachigen, zuletzt erschienene Publikationen genannt: Anette Dietrich / Ljiljana Heise (Hgg.): Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus. Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion in der pädagogischen Praxis. Frankfurt am Main / Berlin / Bern 2013; Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 82), Göttingen 2011; Klaus Latzel / Franka Maubach / Silke Satjukow (Hgg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute (= Krieg in der Geschichte; Bd. 60). Paderborn 2011; Karen Hagemann / Stefanie Schüler-Springorum (Hgg.): Heimat - Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt am Main 2002.
[2] Regina Mühlhäuser: Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion, 1941-1945, Hamburg 2010.
Maren Röger / Ruth Leiserowitz (eds.): Women and Men at War. A Gender Perspective on World War II and its Aftermath in Central and Eastern Europe (= Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau; 28), Osnabrück: fibre Verlag 2012, 342 S., ISBN 978-3-938400-83-8, EUR 39,80
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.