Der Tod in Ostdeutschland ist ein großes Thema. Felix Robin Schulz hat für seine Studie lediglich einen Teilaspekt ausgewählt, und zwar den auf den ersten Blick unspektakulärsten. Anders, als es der Titel vielleicht erwarten lassen könnte, findet man in dem Buch nichts über Todesstrafe, Kriminalität, Selbsttötungen oder Schüsse an der Mauer, nichts über Sterbehilfe, Altersheime, generell nichts über das Sterben in der DDR. Thema ist der Umgang mit den Körpern der Toten, also im Wesentlichen die Entwicklung des Bestattungswesens. Mit dieser engen Eingrenzung auf die Welt der Friedhöfe, auf Bestattungsunternehmen und Grabredner korrespondiert ein über weite Strecken institutionengeschichtlicher Zugang, der etwa solche bisher kaum erforschten Gremien wie das Dresdner "Institut für Kommunalwirtschaft" in den Fokus nimmt.
Kultur- und diskursgeschichtliche Fragen wie die Tabuisierung des Todes oder die Bemühungen um eine Integration des Todes in die atheistische Ideologie der SED werden am Rande oder gar nicht behandelt. Die zentrale Frage lautet vielmehr, wie sich die Organisation der Beerdigungen in Ostdeutschland nach 1945 verändert hat. Hierzu bietet das Buch Kapitel über die Entwicklung des Bestattungswesens, über Friedhöfe, die besondere Rolle der Feuerbestattung, über Urnengemeinschaftsanlagen und neue atheistische Beerdigungsrituale. Der dezentralen Organisationsstruktur seines Forschungsgegenstands entsprechend hat Felix Robin Schulz entlegene Heimatarchive besucht und zahlreiche ostdeutsche Friedhöfe persönlich in Augenschein genommen. Eine Reihe von fragmentarischen, aber aus verschiedensten Quellen stammenden Tabellen und Diagramme ermöglicht eine Einschätzung allgemeiner Tendenzen auch dort, wo zentral erstellte Statistiken fehlen.
Bei der ostdeutschen Beerdigungskultur handelt es sich, das macht Schulz deutlich, um ein Phänomen der "longue durée", dessen Entwicklung zudem zu einem nicht geringen Teil Ausdruck transnationaler Tendenzen ist. Daher beginnt das Buch mit einer Abhandlung über die Entwicklung der modernen deutschen Beerdigungskultur. Nach 1945 gab es in Ostdeutschland keinen revolutionären Umbruch, eher eine kontinuierliche Entwicklung hin zu einem modernen Bestattungswesen, das sowohl personell als auch materiell an Reformtendenzen der Weimarer Republik anknüpfte.
Allerdings setzte die SED durchaus auch neue Akzente. Im Bestattungswesen wurden Leitbetriebe geschaffen, die Urnenbeisetzung wurde propagiert, atheistische Grabredner ausgebildet. Der Vergleich der daraus resultierenden Entwicklungen mit Trends in Westeuropa ergibt teilweise überraschende Ähnlichkeiten, so stieg der Anteil an Feuerbestattungen in zahlreichen Ländern in ähnlichem Maße. Offenbar setzte sich das, was die SED mit Propaganda forcierte, in Westeuropa aus anderen Gründen auch durch.
Bei der Analyse des oft komplexen Ineinandergreifens von politischen Intentionen staatlicher Institutionen, langfristigen kulturellen Modernisierungstendenzen und aktuellen Sachzwängen kommt Schulz zu der Einsicht, dass die in kapitalistischen Ländern zu beobachtende Ökonomisierung des Bestattungswesens ihre sozialistische Entsprechung hatte.
Auch die Zunahme der Urnenbeisetzungen, die zwar durchaus der SED-Ideologie entsprach, wurde vor allem aus ökonomischen Gründen durchgesetzt, weil sie preiswert und weniger arbeitsintensiv als die Beerdigung in einem Sarg war. Demgegenüber blieb die "sozialistische Beerdigungskultur" über weite Strecken eine leere Floskel, konterkariert durch die Realität maroder Gebäude und liebloser Beerdigungsfeiern. Schulz führt auch den Erfolg der Urnengemeinschaftsanlagen weniger auf politische Förderung als auf deren praktischen Nutzen zurück, da sie das Bedürfnis zahlreicher DDR-Bürger nach anonymer Bestattung (oft in der Sorge, dass sich ansonsten niemand um ihr Grab kümmern würde) erfüllten und den Friedhöfen Platzersparnis brachten. Zu den wenigen Spezifika der DDR-Beerdigungskultur gehörten indes die so genannten "Urnengemeinschaftsfeiern". Insgesamt bewertet Schulz, der um eine angemessene Austarierung der verschiedenen Einflüsse bemüht ist, das Verhältnis von langfristigen Reformtraditionen und ideologisch motivierten Eingriffen als "symbiotisch".
In methodischer Hinsicht distanziert sich Felix Robin Schulz vom Totalitarismus-theoretischen Ansatz. Man kann über eine solche Perspektive streiten, im Fall des ostdeutschen Beerdigungswesens erscheint diese Herangehensweise allerdings durch den Gegenstand selbst gerechtfertigt, denn es handelte sich um einen Spezialfall der DDR-Geschichte: Zum einen konnte die Kirche in diesem Bereich ihren Einfluss behaupten. Zum anderen fällte die SED, im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen und auch im Unterschied etwa zur Tschechoslowakei, keine zentralen Entscheidungen.
Insofern wäre hier ein top-down-Modell nur partiell geeignet gewesen. Partiell deshalb, weil die SED-Diktatur (ein Begriff, den Schulz scheut) in den 1950er Jahren durchaus eine deutliche Intention zur Durchherrschung aufwies. So schlug sich beispielsweise das konfrontative Verhältnis zwischen Kirche und Staat vor dem Mauerbau in der frühen Geschichte des Bestattungswesens der DDR spürbar nieder. Zwar ließ die SED ursprüngliche Pläne zur Verstaatlichung kirchlicher Friedhöfe rasch fallen. Aber Urnenbeisetzungen und atheistische Beerdigungen wurden nicht zufällig zeitgleich mit den Jugendweihen propagiert. Indes, nach dem Mauerbau hatte die Staats- und Parteiführung an der Durchsetzung eines sozialistisch durchorganisierten Beerdigungswesens nur noch mäßiges Interesse. Daher wurde die traditionell heterogene und dezentrale Organisationsstruktur des Beerdigungswesens in der DDR modifiziert, effizienter gemacht, aber letztlich nicht beseitigt.
Schulz hebt hervor, dass es wiederholt Initiativen "von unten" (von Einzelpersonen und lokalen Institutionen) zur Durchsetzung einer sozialistischen Beerdigungskultur gab. In diesem Zusammenhang bezeichnet er etwa das "Institut für Kommunalwirtschaft" (IfK) als "think tank" und verweist auf die Konvergenztheorie. Es wird allerdings nicht eindeutig klar, worin die von ihm behauptete relative Autonomie des IfK bestand und inwiefern hier eine Unabhängigkeit von der Parteilinie vorlag, zumal die konkreten Initiativen oft auf eine vereinheitlichte sozialistische Bestattungskultur abzielten.
Felix Robin Schulz ist eine differenzierte Darstellung des Bestattungswesens in der DDR gelungen, das allein schon wegen des breiten empirischen Fundaments allen Lesern empfohlen werden kann, die sich auf nüchterne Weise mit dem Thema des Todes beschäftigen möchten. Schulz' Ergebnisse vertiefen das bisherige Wissen zur Kirchen- und Wirtschaftspolitik der SED.
Felix Robin Schulz: Death in East Germany 1945-1990 (= Monographs in German History; Vol. 35), New York / Oxford: Berghahn Books 2013, XIV + 232 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-1-78238-013-9, GBP 60,00
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