sehepunkte 16 (2016), Nr. 3

Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!"

Thriller-Potential, welches man literarisch gut ausbauen könnte, hat die Geschichte über den "geheimen Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg" auf jeden Fall. Zudem ist sie gut lesbar, für ein Fachbuch äußerst spannend und unterhaltsam.

Einen unangenehmen Eindruck hinterlässt hingegen die Abschätzigkeit, mit der die Autorin nicht nur ihren Hauptprotagonisten Hans Christoph von Stauffenberg - verwandt mit dem Hitler-Attentäter - und dessen Motive behandelt. Stauffenberg war maßgeblich am Zustandekommen des hier dargestellten "geheimen Nachrichtendienstes" beteiligt und führte diesen von 1970 bis 1982. Sein Lebensweg hatte über Verbindungen zum Widerstand, dem Engagement in der sich überparteilich verstehenden "Deutschen Union" in der Nachkriegszeit schließlich 1957 zum BND geführt. Aufgrund des Regierungswechsels im Jahr 1969 schied er auf eigenen Wunsch aus, da er glaubte, eine weitere Tätigkeit unter der sozial-liberalen Bundesregierung, welche gerade bezüglich der Ostpolitik neue Wege einschlug und einen "Wandel durch Annäherung" herbeizuführen gedachte, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können. Dem nun unter Aufsicht der neuen Regierung stehenden offiziellen Dienst misstrauend, baute er stattdessen ein Nachrichtennetzwerk auf, welches Politiker von CDU und CSU sowie ihnen nahestehende Kreise mit Berichten versorgte - sowohl über das Ausland als auch über das Gebaren der Bundesregierung. Zu den Empfängern zählten auch Journalisten, etwa der Moderator des "ZDF-Magazin", Gerhard Löwenthal. In der Selbstbezeichnung hieß das Ganze "Kleiner Dienst", Waske spricht von "Stauffenberg-Dienst". Seitens des Parlaments wurde die Gründung eines solchen Büros, bestehend aus Stauffenberg und seinem Sekretariat, durch den CSU-Abgeordneten Karl Theodor von und zu Guttenberg, einem der vehementesten Gegner der Ostpolitik Brandts, vorangetrieben, zudem übernahm er "die politische Führung" (53). Das Büro verstand sich jedoch als privat, offiziell angestellt war Stauffenberg im Referat Grußworte der Bayerischen Staatskanzlei.

Übermäßige Sympathien für einzelne Personen seitens des Historikers sind dem Erkenntnisgewinn nicht unbedingt zuträglich. Passagen wie "Lieber würde Stauffenberg an diesem Septembertag 1970 [...] die westliche Welt vor dem Kommunismus retten. Dafür hat er aber nun erst nach Feierabend Zeit." (15) sind allerdings entbehrlich. Das Anliegen des "Stauffenberg-Dienstes", die Abwehr einer als solche empfundenen kommunistischen Bedrohung und die Angst, Deutschland könne sich durch Schritte in Richtung des sowjetischen Machtbereichs aus dem für unabdingbar betrachteten Schutz durch die Amerikaner lösen, mag aus heutiger Perspektive als anachronistisch erscheinen. Zumindest einer größeren Anzahl von damaligen Zeitgenossen stellte sich dies jedoch anders dar, zumal der "Stauffenberg-Dienst" in seinen Berichten entsprechende Wahrnehmungen, gerade von osteuropäischen Diplomaten, festhielt.

Dafür, dass man es bei Stauffenberg und seinen Mitstreitern der vorliegenden Darstellung zufolge lediglich mit ein paar in ihrer Weltsicht eingeschränkten und zumeist zumindest im Vorruhestandsalter befindlichen Herren des Kalten-Kriegs-Lagers zu tun hat, nahm der Dienst während der knapp anderthalb Jahrzehnte seines Bestehens einiges an Fahrt auf - auch wenn die große Politik andernorts gemacht wurde.

Waske stützt sich, neben Veröffentlichtem, auf archivalisches Material, wobei den im Archiv für Christlich-Demokratische Politik verwahrten Berichten des Dienstes, welche für ihre Arbeit freigegeben wurden, besondere Bedeutung zukommt. Was den greifbaren historischen Gehalt angeht, so formuliert sie durchaus ambitioniert: "Durch die Öffnung der Akten gelang es, alle Berichte des Dienstes [...] einzusehen - für die Forschung ein riesiger Fortschritt" (12).

Die Autorin erkennt zwei Phasen im Wirken des Dienstes. Zum einen die in der Arbeit etwas umfangreicher dargestellte Zeit der Anfänge von 1969 bis 1972, welche mit "Kampf gegen die neue Ostpolitik" überschrieben ist, zum anderen den Zeitraum von 1972 bis zur Auflösung im Jahr 1982. Hier habe man "die freie Welt im Abwehrkampf" unterstützt.

In der ersten Phase war der Fokus stark auf die eigene Regierung, namentlich auf Egon Bahr und dessen Ostkontakte gerichtet. Informanten kamen vor allem aus ehemaligen und nun fortgeführten BND-Verbindungen Stauffenbergs und anderer.

Eine große Rolle spielte Wolfgang Langkau, ein enger Vertrauter Reinhard Gehlens und ehemaliger Leiter von dessen "Strategischem Dienst". Langkau ist es wohl auch, auf den die Idee zurückgeht, einen eigenen, nicht offiziellen Dienst zu betreiben. Zu den Namen, die Waske im Zusammenhang mit dem Dienst immer wieder nennt, offenbar als Blickfang, gehört der ehemalige Staatssekretär Hans Globke - allerdings lässt sich dessen Rolle kaum näher klassifizieren. Involviert war er insofern, als er Informationen erhielt, an Zusammenkünften teilnahm und sehr wahrscheinlich an der Finanzierung des Dienstes beteiligt war, da er auch im Ruhestand Konten für die CDU führte. Mit der Zeit war der Dienst nicht mehr auf Zuwendungen von Parteien angewiesen.

Informanten kamen aus dem Ostblock, aber auch aus den USA. Hier hatte das Vorgehen der Regierung Brandt allerdings nicht wenige Anhänger - was der Dienst etwa von Mitarbeitern des National Security Council erfahren musste. Unterstützung hingegen kam vom Gewerkschaftsdachverband AFL-CLO, namentlich durch Owen Meany und Jay Lovestone, die "in zahlreichen Berichten von Langkaus Kreis als Gesprächspartner auftauchen" (70). Auf diese Kontakte hatte bereits Gehlen zählen können. Zum Kreis der dem Anliegen des Dienstes gewogenen Amerikaner gehörte außerdem der Geschäftsführer des American Council of Germany, Christopher Emmet. Eine große Rolle spielte wohl auch der europäische "Time"- und "Life"-Korrespondent Klaus Dohrn, der zwar in den Berichten nicht direkt namentlich genannt wird, den Waske aber relativ sicher identifizieren zu können glaubt. Die Kontakte reichten auch in andere Regionen, so etwa bis zum ehemaligen Chef des Mossad, Meir Amit.

Das hier nur angedeutete Informantentableau war durchaus beeindruckend, erkennbare Auswirkungen auf die Ostverträge hatte der Dienst nicht. In der zweiten Phase seiner Existenz, also zwischen 1972 und 1982, widmete er sich unter anderem dem Aufspüren von Unterwanderungen der Bundesrepublik. Man wusste auch um die Kontakte zwischen RAF und Staatssicherheit. Große Affären - gar der Brandt-Mitarbeiter Günter Guillaume - blieben ihm jedoch verborgen. Hingegen lieferte die Agentin Inge Goliath als Sekretärin des CDU-Bundestagsabgeordneten und Empfängers der Berichte des Dienstes Werner Marx ihrerseits Informationen über den Dienst in die DDR.

Bezüglich des internationalen Terrorismus und des Nahen Ostens erwiesen sich nicht alle Informationen als zuverlässig. Im Gegensatz zu den Vorgängen in Polen 1980/81: Hier zeigt sich der "Stauffenberg-Dienst" als erstaunlich gut auf dem Laufenden.

Eine operative Tätigkeit erschien nur einmal kurz als Denkmöglichkeit - und wurde aufgrund der Kapazitäten sofort wieder verworfen. Stefanie Waske betont jedoch mehrfach (128, 157, 190, 227), der "Stauffenberg-Dienst" habe nicht nur Informationen gesammelt, sondern (gezielt) beschafft, was offenbar für eine Grenzüberschreitung und - im Sinne der Autorin - negative Bedeutungsaufwertung stehen soll.

Neben Stauffenberg und Langkau erscheint wiederholt ein weiterer Name: Hans Langemann. Dieser, ebenfalls ein BND-Mann, war ursprünglich statt Stauffenberg dazu ausersehen, den Dienst zu leiten, hatte sich jedoch dafür entschieden, auslandsnachrichtendienstlicher Berater für die Olympischen Spiele 1972 in München zu werden. Die Kontakte zum Dienst waren dennoch eng. Langemann war es auch, der dem Dienst 1982 ungewollt den Todesstoß versetzte: Durch Publikationen, die auf ein von ihm beabsichtigtes Buchprojekt zurückgingen, kam der Dienst ins Gerede, das Ganze führte bis hin zu einem Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag. Infolge der nunmehr gegebenen Öffentlichkeit zogen sich sowohl Unterstützer als auch Informationsempfänger zurück. Die Autorin präsentiert den Schlussakt als Punktlandung: Ursprung des Dienstes sei das Misstrauen gegenüber der sozialliberalen Bundesregierung und der entsprechenden Instrumentalisierung des BND gewesen. 1982 kam es zum Regierungswechsel - wenn auch nicht zur von vielen erwarteten "konservativen Wende". Die Notwendigkeit des Dienstes war obsolet.

Immer wieder verbindet die Autorin die allgemeinere Geschichte mit der des Dienstes, was natürlich nötig ist. Andererseits gerät so mitunter die eigentliche - zwar punktuell und bezüglich der Verbindungen bzw. des Netzwerkes beachtliche, letztlich aber begrenzte - Tätigkeit und Wirksamkeit des Dienstes etwas aus dem Blick. Vielfach muss Waske einräumen, über Zusammenhänge nur Vermutungen anstellen zu können. Insgesamt ist es - wahrscheinlich gegen die Intention der Autorin - dennoch ein hübsches kleines Denkmal geworden, welches die Geschichte des "Stauffenberg-Dienstes" erzählt. Mit etwas weniger Anspruch bezüglich seiner Bedeutung und etwas mehr Empathie bezüglich seiner Protagonisten, wäre es perfekt gewesen.

Rezension über:

Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!". Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg, München: Carl Hanser Verlag 2013, 303 S., ISBN 978-3-446-24144-2, EUR 19,90

Rezension von:
Erik Lommatzsch
Historisches Institut, Universität Mannheim
Empfohlene Zitierweise:
Erik Lommatzsch: Rezension von: Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!". Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg, München: Carl Hanser Verlag 2013, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de/2016/03/23269.html


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