Vor uns liegt die überarbeitete Fassung einer Dissertationsschrift, die Ende 2012 am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg angenommen worden ist. Gegenstand der Arbeit sind Chroniken aus der Frühzeit der Safaviden, wobei der Autor jedoch ausdrücklich "safavidisch" nicht als ein auszumachendes Charakteristikum der Texte verstehen will. Historiographien können natürlich genretypische Kontinuitäten vorweisen, die recht unabhängig von den gerade herrschenden Eliten sind. Doch das möchte Herr Trausch nicht untersuchen. Vielmehr geht es ihm um die Bestimmung der formalen Heterogenität der Texte in einer bestimmten Zeitspanne. Im Vordergrund seines Interesses steht die "Geschichtsschreibung für Dynastien, durch welche die Texte einer Dynastie zwar zugeordnet, aber nicht letztgültig durch diese Zugehörigkeit definiert und kategorisiert werden." (22) Aus diesem Grund sucht Trausch nach einem anderen als dem dynastischen Klassifikationsschema. Jeder würde hier zunächst etwa an inhaltliche, funktionale oder narrative Merkmale denken, doch auch diese Kategorien hält der Autor für nicht sehr aussagekräftig. Er ist der Meinung, dass Sprache, Ideologie und politische Ethik in diesen Texten nicht grundlegend voneinander abwichen. Differenzierungen liefen hingegen, so Trausch, fast ausschließlich über Form und Struktur. Insofern stehen folgende Fragen im Zentrum seines Interesses: "1. Anhand welcher Aspekte lässt sich die äußere Form der einzelnen Texte erfassen? Gibt es verschiedene Ansätze der Textgestaltung und wenn ja, welche? Lassen sich die Texte in Kategorien einteilen? 2. Gibt es zwei Schulen safavidischer Historiographie, eine westliche und eine östliche?" (30) Diese Schulen werden in der Regel mit den beiden Orten Herat und Qazvin assoziiert. Unter "Orten" möchte Trausch allerdings auch etwas völlig anderes als physische Lokalitäten verstanden wissen. In Anlehnung an einige Ergebnisse und Prämissen des von der DFG von 2006 bis 2009 geförderten Wissenschaftlichen Netzwerkes "Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit (1400-1800)" sind "Orte" für ihn "die spezifischen kulturellen Voraussetzungen, die das kommunikative Handeln der historischen Akteure bestimmten." (32) Diese Definition ist sicher ganz sinnvoll, denn es erlaubt es Trausch, in erster Linie die Kriterien "Umfang - Struktur - Stil" zu untersuchen, um dann auf der Basis der Ergebnisse Rückschlüsse zu ziehen.
In der Zeit von 1501 bis 1578 sind an den Höfen und im Umfeld der Safaviden etwa 20 Universal- und Dynastiegeschichten sowie eine Reihe von Regional- oder Privatchroniken verfasst worden. Unter diesen hat der Verf. acht ausgewählt, wobei die Kriterien waren: Inhaltlicher Bezug auf die frühe Safavidenzeit, Produkt höfischer Historiograhie, hinreichender Umfang. Es blieben folgende Texte übrig: (1) Ibrahim Amini Haravi: "Futuhat-i Shahi" (Herat, 1531), (2) Ghiyas ad-Din Khwandamir: "Habib-i Siyar" (Herat, 1524), (3) Yahya b. Abd al-Latif Qazvini: "Lubb at-tavarikh" (Qazvin 1542), (4) Amir Mahmud b. Khwandamir: "Tarikh-i Shah Ismail" (Herat, 1550). (5) Qazi Ahmad Ghaffari Qazvini: "Nusakh-i Jahan-ara" (Qazvin, 1564/65), (6) Abdi Bayg Shirazi: "Takmilat al-Akhbar" (Qazvin, 1570), (7) Budaq Munshi Qazvin: "Javahir al-Akhbar" (Qazvin, 1577) und (8) Hasan Bayg Rumlu: "Ahsan at-Tavarikh" (Qazvin, 1578).
Nach einer Darstellung der Rahmenbedingungen - historischer Kontext, städtisches Umfeld, Lebensumstände der Autoren - vergleicht Trausch in einem ersten Schritt die Darstellung vier wichtiger Ereignisse in allen Texten: 1. Die Niederwerfung Husain Kiyas (1503/04), 2. die Eroberung Bagdads (1258), 3. die Schlacht von Ghijduvan (1512) sowie 4. das osmanisch-safavidische Aufeinandertreffen von Chaldiran (1514). Als Ergebnis der Analyse hält Trausch fest, dass durch den Vergleich nicht nur klar geworden ist, wie in der Frühzeit der Safaviden in den Chroniken erzählt wird, sondern auch, dass sich die Narrationen nur unwesentlich voneinander unterscheiden und die "Anzahl der Kernaussagen nicht nur zwischen den einzelnen Chroniken, sondern auch zwischen den Einzelschilderungen nicht über einen gewissen Rahmen hinaus variiert." (163) Eine Differenzierung auf dieser Basis scheint somit nicht sinnvoll zu sein. Allerdings konnte Trausch feststellen, dass die Texte formal bez. ihres Umfanges, ihrer Struktur und ihres Stiles durchaus nicht einheitlich sind. Vielmehr kann man seiner Meinung nach drei Textmodelle erkennen. (1) Herat: Ibrahim Amini Haravi: "Futuhat-i Shahi", Ghiyas ad-Din Khwandamir: "Habib-i Siyar", Amir Mahmud b. Khwandamir: "Tarikh-i Shah Ismail", (2) Qazvin I: Yahya b. Abd al-Latif Qazvini: "Lubb at-tavarikh", Qazi Ahmad Ghaffari Qazvini: "Nusakh-i Jahan-ara", Abdi Bayg Shirazi: "Takmilat al-Akhbar"; (3) Qazvin II: Budaq Munshi Qazvin: "Javahir al-Akhbar", Hasan Bayg Rumlu: "Ahsan at-Tavarikh".
Um diese vorläufige Einteilung zu substantiieren, unterzieht Trausch sein Material in den folgenden drei Unterkapiteln einer ausführlichen Einzelanalyse hinsichtlich des Volumens und der damit verbundenen Charakteristika (168-229), der strukturellen Besonderheiten (229-288) und der sprachlichen Eigenarten (288-377). Auf der Basis seiner Ergebnisse kommt er zu zwei unterschiedlichen Darstellungsmodellen. Das Modell "Herat" ist charakterisiert durch Detailreichtum, den Hang zur zusammenhängenden Erzählung und einen ausgeprägt literarischen Stil. "Dieser findet seinen Ausdruck", so Trausch, "in gebundener Rede und sprachlicher Opulenz. Über melodische und nicht selten reimende Formulierungen sowie die Schaffung sprachlicher Balance wird der Abstand zur Lyrik verringert. Indem die Regeln der gereimten Prosa ausgereizt und mit zahlreichen rhetorischen Figuren ergänzt werden, entstehen wortgewaltige, komplexe und (zumindest in heutigen Augen) nicht selten auch sperrige Schilderungen. Diese finden ihren Höhepunkt in sprachlich ebenso ausladenden wie ansprechenden Einleitungen, die die moralische Dimension menschlichen Handelns sowie dessen göttliche Vorherbestimmung thematisieren. Zudem sind Gedichte obligatorisch, die zahlreich die Darstellung der historischen Abläufe sprachlich ausschmücken sowie deren Botschaften pointieren." (370-71) Auf der anderen Seite steht das Modell "Qazvin I". Die Merkmale dieser Form von Geschichtsschreibung sind, wie der Vf. zeigen kann, Detailarmut, episodische Berichte und stilistische Schlichtheit. Sprache stellt für diese Historiker keinen Wert an sich dar, sondern ist lediglich Mittel zum Zweck. Trausch kommt zu dem Schluss, dass die Geschichtsschreiber sich nicht frei für ein Modell entscheiden konnten, sondern durch die örtlichen Konventionen an bestimmte Vorgaben gebunden waren. Die Zuschreibung "safavidisch" sei daher "alleine nicht ausreichend, die Chroniken des ersten Jahrhunderts safavidischer Herrschaft zufriedenstellend zu erfassen und zu charakterisieren - eine safavidische Art, historischen Erzählungen eine sprachliche Form zu geben, gibt es" - seiner Meinung nach - "ebenfalls nicht" (372-73)
Interessanterweise "wanderte" das Textmodell Herat, nachdem die Stadt um 1550 aufgehört hatte, als überregionales politisches und kulturelles Zentrum zu fungieren, in andere Regionen. In Qazvin etwa entstanden in dieser Zeit Budaq Munshi Qazvins "Javahir al-Akhbar" und Hasan Bayg Rumlus "Ahsan at-Tavarikh". Anhand einer tiefergehende Analyse entlang der oben verfolgten Kriterien kimmt Trausch zu dem plausiblen Ergebnis: "Diese Texte unterscheiden sich in allen drei relevanten Aspekten der äußeren Form voneinander, teilweise sogar signifikant. Aufgrund ihrer Systematik lassen sich diese Unterschiede als Entwicklung erkennen - bei der die Chroniken Herats (und damit die historiographischen Traditionen, entlang derer diese abgefasst sind) Pate stehen. (...) Die Veränderungen der äußeren Form, die letztlich zu einer Annäherung der Textmodelle Herat und Qazvin I führen, deuten an, dass auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Frage verhandelt wird, wie Vergangenes als Geschichte zu erzählen ist - und dies geschieht innerhalb der kulturellen Voraussetzungen Qazvins und nicht mehr in der untergegangenen Timuridenresidenz Herat." (378) Ungeachtet aller Modifikationen könne man, wie der Verfasser meint, deutlich die Zugehörigkeit dieser Werke zum Qazviner Modell erkennen. Trausch ordnet diese Gruppe daher einem Modell "Qazvin II" zu.
Insgesamt hat Tilmann Trausch eine hochinteressante Arbeit vorgelegt, in der er acht Chroniken aus der Frühzeit der Safavidenzeit anhand rein formaler und struktureller Kriterien gründlich untersucht. Seine Überlegungen und Schlussfolgerungen sind weitgehend nachvollziehbar und überaus anregend. Der Ansatz ist bedenkenswert, auch wenn damit sicher nicht eine inhaltlich-narratologische Analyse obsolet und überflüssig wird. Es ist wohl richtig, dass konkrete Inhalte für die Form der Darstellung nur innerhalb eines sehr begrenzten Rahmens relevant sind und Konventionen durch den Ort, an dem der Schreiber wirkt, bestimmt werden. Aber die narrativen Strategien, die den Genrekonventionen folgenden Kompilationstechniken und die kontextuellen Repräsentationen der Chroniken bedürfen ebenso ausführlicher und genauer Bearbeitungen, wenn man die Funktion solcher Texte, ihren "Sitz im Leben" verstehen möchte. Von der von vielen Historiker/innen angestrebten Rekonstruktion historischer "Realitäten" wollen wir gar nicht erst reden, obgleich ich da auch meine Zweifel habe...
Tilmann Trausch: Formen höfischer Historiographie im 16. Jahrhundert. Geschichtsschreibung unter den frühen Safaviden: 1501-1578 (= Veröffentlichungen zur Iranistik; Nr. 77), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2015, 513 S., ISBN 978-3-7001-7666-4, EUR 75,00
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