Hilmar Sack, als Historiker selbst aktiv in der Politik tätig, verweist in seinem Lehrbuch einleitend auf das doppelte Bezugsverhältnis zwischen Politik und Geschichte sowie die große Bedeutung historischer Aneignungsprozesse für politisches Handeln. Hierauf aufbauend möchte er zum Einen "(kultur-)politische Handlungsbereiche, [die] für die geschichtliche Erfahrung Bedeutung" haben, zum Anderen den "politische[n] Raum als ein eigenes Praxisfeld der Geschichtsvermittlung" (2) ins Zentrum seiner Betrachtungen rücken. Darüber hinaus zielen die Überlegungen auf die Rolle(n), die Studierende der Geschichtswissenschaft oder Public History in diesem (Berufs-)Feld einnehmen können.
Unter dem passenden, weil offen gestalteten, Titel "Geschichte im politischen Raum" nähert sich der Autor in einer Einleitung und sieben weiteren Kapiteln diesem Gegenstand an. Dabei fasst er für die einzelnen Aspekte jeweils den geschichts- beziehungsweise kulturwissenschaftlichen Forschungsstand zusammen und stellt zentrale theoretische Fragestellungen vor. Kapitel zwei bis fünf umreißen dabei den erinnerungskulturellen Forschungsstand, Kapitel sechs bis acht skizzieren das (kultur-)politische Handlungs- und Berufsfeld "Erinnern und Gedenken".
Im Einzelnen: Kapitel zwei widmet sich einschlägigen Leitbegriffen wie 'Erinnerungskultur' oder 'Geschichtspolitik'. Diese werden sowohl in ihrer wissenschaftlichen als auch in ihrer gesellschaftlichen Nutzungsweise verortet. Im dritten Kapitel erläutert er mit dem "Ende der NS-Zeitzeugenschaft", der "Europäisierung/Globalisierung" sowie der "Heterogenität von Einwanderungsgesellschaften" drei seit einigen Jahren viel diskutierte geschichtspolitische Herausforderungen. Im vierten Kapitel stellt Hilmar Sack die großen zeithistorischen und damit oft geschichtspolitisch aufgeladenen Debatten seit Gründung der Bundesrepublik beziehungsweise nach der deutschen Vereinigung prägnant dar. In den Unterkapiteln trennt er dabei dankenswerter Weise analytisch zwischen grundlegenden "Geschichtsbezügen" und konkreten "Geschichtsdebatten" (41). Kapitel fünf liefert dann noch einen kurzen Abriss zur politischen Symbolik in Deutschland, inklusive des zumeist vernachlässigten Feldes der 'politischen' Architektur.
In Kapitel sechs wird eine Vielzahl unterschiedlicher kulturpolitischer Handlungs- und Berufsfelder vorgestellt: Den inhaltlichen Kern der zukünftigen Berufs- und Praxisfelder heutiger Studierender bilden dabei die - historisch angemessenen - Formen des 'Erinnerns' beziehungsweise des 'Gedenkens'. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Tätigkeit in Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen, Museen oder für andere außerschulische Bildungsträger handelt. In Kapitel sieben rückt der Autor dann noch eines seiner eigenen Arbeitsfelder in den Mittelpunkt der Betrachtung: "Redenschreiben als Beruf" (149-152). Weiterführende Literaturhinweise finden sich in allen Kapiteln und Unterkapiteln sowie zusammengefasst am Ende des Bandes. Das Lehrbuch schließt mit einem kurzen Glossar sowie einem Verzeichnis wichtiger "Institutionen, Ansprechpartner, Zeitschriften und Links" (163-166).
Was dem Lehrbuch in seiner Einführung gelingt, ist der vom Autor angekündigte "Rundflug über eine facettenreiche Landschaft" (4) der Schnittflächen von Geschichte und Politik. Die Stärken liegen in der präzisen und unaufgeregten Sprache Hilmar Sacks sowie in seiner konzisen wie doch ausführlichen Darstellung der Problemlagen, Debatten und theoretischen Konzepte. Dabei profitiert das Buch vor allem von den vielen Fallbeispielen die entweder direkt an die Lebenswelt heutiger Studierender anknüpfen oder die Diskurse und Debatten der Zeit bis in die Mitte der 1990er Jahre doch treffend ins Bewusstsein bringen können. Das Ziel, auf vergleichsweise wenigen Seiten das "unerlässliche Basiswissen für jeden angehenden 'Erinnerungsarbeiter'" zu bieten (8), wird auf jeden Fall erreicht. Die dabei eingenommene Eingrenzung auf eine rein nationale und zugleich zeithistorische Perspektive (2) dürfte sich für eine Einführung im deutschsprachigen Hochschulraum sicher rechtfertigen lassen. Eine stärkere Betonung der wohl notwendigen 'Epochenungebundenheit' der Public History hätte dazu geführt, die Grenze, die in diesem Buch mit der Gründung der Bundesrepublik beziehungsweise der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 zeithistorisch gesetzt wurde, zumindest aufzuweichen; insbesondere, da ein nicht unerheblicher Anteil aktuellen geschichtspolitischen Handelns in Ost- und Ostmitteleuropa nicht allein auf der Zeitgeschichte, sondern vor allem auf dem Mittelalter oder ganz generell den 'langen Linien' des Nationbuilding liegt. Dies ist unter anderem in Ungarn, Polen oder den baltischen Staaten erkennbar. Eine Tätigkeit im Handlungs- und Berufsfeld "Erinnern und Gedenken" hingegen ist heute aber oft in transnationalen Kontexten angesiedelt.
Bezüglich potenzieller Berufsfelder erweist sich die Rubrik "3 Fragen an ..." als anregend. Sie lässt jeweils Praktiker*innen zum Themenfeld Geschichtspolitik und zur Bedeutung von Geschichte für die eigene berufliche Tätigkeit zu Wort kommen. Ein zwar nicht ganz neues Format, das aber die vielen unterschiedlichen Wege von Historiker*innen in den Beruf betont und damit zumindest implizit ein beliebtes Thema der Berufsfeldorientierung geschichtswissenschaftlicher Studiengänge spiegelt. Wenig bis gar nicht thematisiert werden aber die, vor allem in der US-amerikanischen Public History immer wieder heiß diskutierten, 'ethischen Problemlagen' bei der praktischen Tätigkeiten von Historiker*innen in und zum Teil auch mit der Öffentlichkeit. Andeutungen in diese Richtung lassen sich allenfalls im "Gespräch mit Sven Felix Kellerhoff" (155-158) zwischen den Zeilen ausmachen. Dies ist ein wenig schade, da auch Reden in geschichtspolitischer Absicht sich nicht umsonst deshalb als (un)wirksam erweisen, weil in ihnen historische Argumentationsketten und Forschungsergebnisse gerne einmal verkürzt dargestellt oder argumentativ überdehnt werden. Die Herangehensweise in der Tagespolitik unterliegt dabei anderen, vor allem auch zeitlichen Zwängen. Sie ist mit dem wissenschaftlichen Arbeiten an den Universitäten nicht durchgängig vergleichbar. Und in diesem Spagat beziehungsweise in dieser Übersetzungstätigkeit liegt vielleicht die eigentliche Reflexionsleistung von Historiker*innen im Beruf und/oder in der Praxis.
Und noch ein letzter Punkt sollte kurz angesprochen werden: Das Buch ist in der neuen Reihe "Public History - Geschichte in der Praxis" erschienen. Da ein übergreifendes Vorwort fehlt, vermutlich da es durch den Verlag (A. Francke, Tübingen) nicht angedacht worden zu sein scheint, bleiben den Leser*innen nur die sehr knapp gehaltenen Hinweise auf der UTB-Webseite: Der Reihenkennzeichnung "fundiert - praxisorientiert - konkret" entspricht das Buch von Hilmar Sack in vollem Umfang. Warum die "Insiderinformationen" aber nicht gleichsam für alle Historiker*innen Geltung beanspruchen und stattdessen einen besonderen Bezug zur Public History suggerieren, ist eine Frage, die sich hoffentlich nach dem Erscheinen weiterer Bände der Reihe leichter beantworten lässt.
Hilmar Sack: Geschichte im politischen Raum. Theorie - Praxis - Berufsfelder (= Public History - Geschichte in der Praxis), Stuttgart: UTB 2016, VI + 190 S., 10 Farbabb., ISBN 978-3-8252-4619-8, EUR 16,99
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.