Dass die Unterrichtsplanung zum Kerngeschäft von Geschichtslehrkräften gehört und deren Alltag strukturiert, ist trivial. Nicht weniger trivial ist, dass diese Tätigkeit den Geschichtsunterricht maßgeblich figuriert und den Schulalltag der Lernenden und Lehrenden prägt. Die Bedeutung der Unterrichtsplanung mögen andere schon erkannt und aufgeschrieben haben; Katharina Litten hat mit ihrer wichtigen Qualifikationsarbeit erstmals die Wertigkeit dieses Komplexes für Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik systematisch ausgebreitet, methodologisch diszipliniert und schließlich mit einer aufwändigen, nachvollziehbaren und überzeugenden Methodik erforscht.
Insgesamt erreicht Katharina Litten mehr als sie vorgibt. Mit den Ergebnissen können nicht nur das Planungshandeln von Geschichtslehrkräften dargestellt und verstanden oder Hilfestellungen seitens der Geschichtsdidaktik formuliert werden (21). Mit dieser Untersuchung können auch zentrale Aspekte der 'Unterrichtsrealität' und der Normativität von Lehrkräften rekonstruiert werden. Es wird transparent, wie sich Geschichtslehrkräfte die Praxis vorstellen und darauf einstellen und inwiefern sie die Praxis als eine geschichtsdidaktisch geprägte wahrnehmen und eine solche gestalten wollen.
Ihr Vorgehen entspricht den Forschungsstandards. Die Lektüre lohnt sich allein schon wegen der Kapitel über den Forschungsstand zur Unterrichtsvorbereitung (Kapitel 2, 25-117) und der Lehrerforschung (Kapitel 3, 119-168), die disziplinübergreifend, international angelegt sind, eine umfangreiche Literatur abbilden und mit leserfreundlichen Zusammenfassungen und relevanten Forschungsfragen enden.
Ein weiteres Qualitätsmerkmal spiegelt sich im Unterrichtsdesign (Kapitel 4, 169-210). Bei der Stichprobenzusammensetzung erkennt man beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem Novizen-Experten-Paradigma, dem derzeit dominierenden Modell von Lehrexpertise oder dem professionellen Handlungsmodell (Kapitel 3). Insgesamt finden sich in der Stichprobe (N=24) drei Expertisegrade: "Experten" mit mehr als acht (n=8), "Intermediates" mit drei bis sechs Berufsjahren (n=8) und "Novizen" (Referendare und Referendarinnen, n=8). Diese drei Gruppen konnten gleichmächtig auf Hauptschul- und Gymnasiallehrkräfte abgebildet werden (jeweils n=12), wodurch nicht nur eine angenommene maximale Kontrastierung untersucht, sondern die mehrfach monierte 'gymnasiale Schieflage' in der Empirie entschärft werden konnte.
Sinnvoll und qualitätsförderlich ist die Wahl unterschiedlicher Erhebungsformate: In dieser Studie wurden drei qualitative Datenerhebungen durchgeführt. Die Beobachtung der Unterrichtsplanung mit ihren Inhalten und Strukturen erfolgte im Rahmen einer konkreten Unterrichtsstunde mit der Methode des Lauten Denkens. Im Anschluss an dieses Verfahren konnten die Probanden und Probandinnen das Produkt und die einzelnen Prozeduren kommentieren. Weitere Daten wurden mit einem Leitfrageninterview generiert. Das Interesse konzentrierte sich hier auf die Berufsbiografie, den äußeren Rahmen der Unterrichtsplanung, Planungsmodelle, das inhaltliche Vorgehen, sodann auf die in der Theorie vorherrschenden Planungsgrundlagen wie Themen- und Materialwahl, Auswertung und Hilfsmittel, die berufsbezogenen Überzeugungen (Rollenkonzepte, Fachphilosophie, professionelles Wissen, Selbstkonzept, Planungskonzept, Flexibilität) und "Desiderata" (Hilfestellungen für und Erfahrungen mit der Unterrichtsplanung) (184-186). Die dritte Datenerhebung bezog sich auf die Bedeutung des "Geschichtswissens" und geschichtsdidaktischer Kenntnisse. Dafür wurde eine Unterrichtsvignette eingesetzt. Die Probanden und Probandinnen übernahmen die Rolle von Mentoren und Mentorinnen und sollten Referendaren und Referendarinnen gegenüber die Schritte bei der Unterrichtsplanung einer Einführungsstunde zum Themengebiet 'Mittelalter' (191) beschreiben und begründen, was wiederum mit der Methode des Lauten Denkens aufgenommen wurde.
Eine breite Datenbasis, eine umfangreiche Datenmenge und die Triangulation von Daten sind unerlässlich für triftige Aussagen, verlangen aber eine methodologische und methodische Klärung, beispielsweise bei der Gewichtung der einzelnen Datenprovenienzen oder der Triangulationskomponenten, insbesondere bei Inkohärenz. Wie geht man beispielsweise damit um, wenn eine Probandin sich als fachlich fundiert bei der Unterrichtsvignette und fachlich inkompetent bei der Unterrichtsvorbereitung erweisen würde? Inwiefern lässt sich rechtfertigen, Lehrkräfte ohne und mit Geschichtsstudium in den Expertenstatus zu platzieren? Diese Feinheiten werden in der Regel nicht allgemein, sondern im Rahmen der Datenauswertung geklärt (Kapitel 5, 211-385; Kapitel 6, 387-432).
Die Ergebnisse dürften die meisten Geschichtslehrkräfte und Schulpädagogen und Schulpädagoginnen wenig überraschen, die sich mit didaktischen Modellen und Unterrichtsplanung beschäftigen. Am Anfang der Geschichtsunterrichtsplanung steht die Themenauswahl und damit die inhaltliche Auseinandersetzung (261). Dieser besondere Stellenwert zeigt sich quer durch die Expertiseniveaus und Schularten, dabei aber deutlicher ausgeprägt bei Gymnasiallehrkräften (263). Es wird, laut der Protokolle, für die Schüler und Schülerinnen geplant. Die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt wird - bei aller Varianz - auf eine Leitfrage zugespitzt, die angeblich die Adressaten und Adressatinnen erreicht und interessiert. Auffallend aus geschichtsdidaktischer Perspektive ist in diesem Zusammenhang, dass das "Schülerinteresse" und die Ausrichtung des Themas nur in Ausnahmefällen (272f.) mit geschichtsdidaktischen Kriterien konstruiert werden. Individuelles Geschichtsbewusstsein oder geschichtskulturelles Wissen, mithin zentrale geschichtsdidaktische Kategorien, sind zweitrangige Größen. Durch die qualitative Erhebungsweise lassen sich auch die Varianzen von Begrifflichkeiten und Konzepten dokumentieren. Wenn Geschichtslehrkräfte "Schülerinteresse" auf die Unterrichtsgestaltung anwenden, dann haben sie eine konkrete Lerngruppe im Kopf oder geben, meist mit zunehmender oder gymnasialer Berufspraxis, an, aus Erfahrung und im Nebenbei diese Interessen zu kennen (271f.). Es gebe "generationenübergreifende Gewissheiten" (272) oder die eigenen Interessen decken sich mit denen der Lerngruppe. Nur eine Minderheit meinte, dieses Interesse aktiv, und niemand valide, erkunden zu müssen. Nach der Klärung von Thema beziehungsweise Fragestellung und Zugänglichkeit folgt die Gestaltung von Lernprozessen in Unterrichtssequenzen, die Auswahl von Unterrichtsmaterialien und Lernaufgaben. Anscheinend bewährt sich immer noch das magische, didaktische Dreieck aus Herbarts Zeiten (Lehrer, Stoff, Schüler), neuere Modelle wie das Angebots-Nutzen-Modell haben sich (noch) nicht etablieren können. Überhaupt scheinen neuere Forschungsergebnisse oder Fachliteratur wenig relevant für die Unterrichtsplanung zu sein. Die Macht der Erfahrung zeigt sich besonders ausgeprägt im Gymnasium. Experten und Expertinnen agieren selbstbestimmt, selbstbewusst und auch resistent gegenüber allerhand Reformen, die durch Lehrpläne und Richtlinien (266f.) oder die Kompetenzeinführung (283) eingefordert werden.
Da bewusst mit einem qualitativen Design operiert wurde, hätte man bisweilen nachbohren können: Auf welche konkrete Fachliteratur stützten sich die Lehrkräfte, welche gedruckten und virtuellen Quellenbestände benutzten sie, wie beeinflusste das Internet mit seinen Materialangeboten und Foren die Unterrichtsplanung, welche Lernaufgaben konstruierten sie oder wie entwickelten sie berufsbiografisch ihr Selbstverständnis als Geschichtslehrkraft und inwiefern ist dieses kohärent mit den Planungsaussagen und Planungsentscheidungen? Katharina Litten hat mit ihrer grundsoliden Qualifikationsarbeit einen wichtigen und ertragreichen Schritt gemacht, den Alltag des Geschichtsunterrichts und von Geschichtslehrkräften zu erforschen. Weitere können folgen.
Katharina Litten: Wie planen Geschichtslehrkräfte ihren Unterricht? Eine empirische Untersuchung der Unterrichtsvorbereitung von Geschichtslehrpersonen an Gymnasien und Hauptschulen (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 14), Göttingen: V&R unipress 2017, 479 S., 52 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0697-5, EUR 65,00
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