Die Forschung zu frühneuzeitlichen Außenbeziehungen hat sich in den letzten Jahren verstärkt der Asymmetrie zwischen starken und schwachen Partnern gewidmet. Die Analyse der Druckmittel der Starken, der Handlungsoptionen der Schwachen, der Protektions- und Patronageverhältnisse hat die Geschichte der internationalen Beziehungen aus dem Modell des Realismus herausgelöst und die Formenvielfalt der Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit offengelegt. Aus der Geschichte der internationalen Beziehungen, die stark auf Staat und Souveränität abhob, wurde die Geschichte der Außenbeziehungen. Die hier besprochene, 2015 verteidigte Dissertation von Andreas Affolter nimmt Anregungen dieses Forschungsfeldes auf und führt sie fort. Im Zentrum der Untersuchung stehen einerseits die "Kommunikations- und Verhandlungsbedingungen zwischen den eidgenössischen Obrigkeiten und der französischen Krone" (14) und andererseits die sich daraus ergebenden Konsequenzen der diplomatischen Praxis für den völkerrechtlichen Status der Eidgenossen. Die Arbeit fokussiert insbesondere auf die Zeit des Botschafters Claude-Théophile de Bésiade, Marquis d'Avaray, der von 1716 bis 1726 die französischen Belange in der Eidgenossenschaft vertrat. Der Autor argumentiert auf einer breiten Quellengrundlage, die sowohl offizielle als auch inoffizielle Kommunikationswege zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft analysiert und darüber hinaus die Sicht von Dritten auf die bilateralen Beziehungen berücksichtigt. Aufgrund der schlechteren Überlieferungsbasis auf französischer Seite werden insbesondere die Entscheidungsprozesse der Eidgenossen in den Blick genommen.
Nach einer kurzen Einleitung fragt das zweite Kapitel "Ungleiche Souveräne" nach dem Status der Eidgenossen in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit. Um eine Antwort zu finden, nimmt Affolter einerseits das diplomatische Zeremoniell, andererseits die Fragen der Protektion französischen Untertanen in der Eidgenossenschaft in den Blick. Er kann zeigen, dass, neben der Vertragsbasis, auch Protektions- und Patronageverhältnisse berücksichtigt werden müssen, um die Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und der französischen Krone in ihrer vormodernen Komplexität beschreiben zu können. Um den völkerrechtlichen Status der Eidgenossenschaft zu erfassen, greift eine Analyse des zugestandenen Zeremoniells dagegen deutlich zu kurz und gibt nur einen Aspekt der frühneuzeitlichen Außenpolitik wieder. Der Autor arbeitet in diesem Kapitel prägnant heraus, wie die Zeitgenossen die unterschiedlichen Interpretationsrahmen instrumentalisierten bzw. den Umständen entsprechend umdeuteten.
Das dritte Kapitel "Das Netzwerk des Ambassadors" analysiert sowohl die personalen Beziehungen in bzw. zu den eidgenössischen Orten als auch die Kommunikationspraxis. Nach einer kurzen biografischen Skizze d'Avarays folgt die Untersuchung seiner Korrespondenzpartner, die ein weites, fast die ganze Schweiz umfassendes Netzwerk bildeten. Affolter kann zeigen, dass die Eidgenossen in Bern, aber auch in Neuchâtel offiziellen Kontakt zum französischen Ambassador äußerst kritisch beobachteten. Die Zeitgenossen wichen deswegen in der Kommunikation immer wieder auf informelle Kanäle aus. Aber selbst bei informeller Kommunikation mit d'Avaray wurden stets Anstrengungen unternommen, Informationsquellen und Informanten zu verbergen. Zu den gängigen Praktiken gehörten die Verschlüsselung von Briefen, das Fälschen von Siegeln, das Senden von Briefen an Mittelsmänner, die die Schreiben an den französischen Ambassadeur weiterleiteten und vieles mehr - somit gängige frühneuzeitliche Praktiken der diplomatischen Korrespondenz, die aber im vorliegenden Fall in erster Linie der Geheimhaltung des Absenders und nicht der versendeten Information dienten (168).
Das vierte Kapitel "Kanäle der Außenbeziehungen" zeigt in eindrücklicher Weise, wie die Eidgenossen "Diplomatie ohne Diplomaten" betrieben. Selbst wenn der französische Botschafter stets versuchte, sich als alleinigen Ansprechpartner in den außenpolitischen Angelegenheiten darzustellen, so schafften es die Eidgenossen doch immer wieder, durch die Solddienstoffiziere, die sowohl in der französischen Hofgesellschaft als auch in der helvetischen Republik zentrale Stellungen besaßen, auf die außenpolitischen Belange Frankreichs Einfluss zu nehmen. Für die Eidgenossen hatte dieses System klare Vorteile, da es zwei Kernfunktionen des vormodernen Gesandtschaftswesens, nämlich Informieren und Verhandeln, ohne Weiteres erfüllen konnte. Nur die Repräsentation blieb aufgrund des unklaren Status der Eidgenossenschaft seit der Regierungszeit Ludwigs XIV. ausgeklammert.
Das fünfte Kapitel "Bündnisverhandlungen" thematisiert die Verhandlungen im Anschluss an den zweiten Villmergerkrieg, wobei Bern in der Analyse im Mittelpunkt steht. Hauptziel ist es, die Spezifika der Verhandlungen mit Republiken zu verdeutlichen.
Die Berner informierten d'Avaray über die Einflussmöglichkeiten bei den Faktionsführern im kleinen Rat. Diese galt es für die Bündnisverhandlungen zu gewinnen (276). Durch den geschickten Einsatz von unterschiedlichen Ressourcen, die von Festmählern bis zur Schaffung von Offiziersstellen im französischen Solddienst reichten, schaffte es der französische Ambassador wichtige Ratsherren in Bern für sein Anliegen zu gewinnen. Dabei standen aber auch Hindernisse auf der Tagesordnung. Affolter zeigt, welche Schwierigkeiten die Verhandlungen mit einer Polyarchie mit sich bringen konnten: Beispielsweise war schon der Erhalt einer Instruktion durch den Rat der Zweihundert und eine anschließende Verhandlung schwierig, weil sich der Inhalt der Instruktion im Regelfall nicht geheim halten ließ (317). Für die Verhandlungen wurde deswegen auf "alternative Wege" zurückgegriffen, die jenseits der Botschaft d'Avarys stattfanden. Affolter kann aufgrund der Quellenlage unterschiedliche, nicht-offizielle Parallelverhandlungen nachzeichnen, die ein facettenreiches Bild ermöglichen. Um für diese inoffiziellen Initiativen beauftragt zu werden, waren insbesondere die Einflussmöglichkeiten durch eine offizielle Position (Affolter spricht von "Amt"), spezifisches Wissen oder persönliche Beziehungen entscheidend (385). Da diese Ressourcen aber nicht auf den Botschafter beschränkt waren, ist es nur logisch, dass man sich in der komplexen Verhandlungssituation mit den eidgenössischen Republiken alternativer Kanäle bediente.
Die Studie, insbesondere aber das Kapitel 5, ist zuweilen zu stark dem weiteren Forschungskontext der Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit enthoben. Der bzw. die Lesende hätte sich an der einen oder anderen Stelle gewünscht, dass der Autor eine Einordnung in die Praxis zwischen nicht-republikanischen Gemeinwesen vorgenommen hätte. Denn: Bei allem Detailreichtum und allen neuen Einsichten, die Affolter durch akribische Quellenarbeit zu Tage fördert, bleibt am Ende die Frage offen, ob diese Phänomene spezifisch für das "Verhandeln mit Republiken" waren, oder ob es sich nicht doch in weiten Teilen um die gängige Praxis handelte, die sich auch zwischen monarchisch organisierten Gemeinwesen beobachten lässt.
Dieser Einwand schmälert jedoch nicht das Verdienst der vorliegenden Studie. Affolter liefert mit seinem Buch wichtige Anregungen, um weitere Facetten frühneuzeitlicher Außenbeziehungen herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund seiner Ergebnisse wird es der Forschung zukünftig möglich sein, die Spezifität einzelner Verhandlungsmodi und -praktiken genauer zu analysieren.
Andreas Affolter: Verhandeln mit Republiken. Die französisch-eidgenössischen Beziehungen im frühen 18. Jahrhundert (= EXTERNA. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven; Bd. 11), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 455 S., ISBN 978-3-412-50717-6, EUR 70,00
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