Georg Scholz gehört zweifellos zu den bedeutendsten Künstlern der 1920er-Jahre in Deutschland. Keine der Neuen Sachlichkeit gewidmete Ausstellung oder Publikation kann und konnte auf Georg Scholz verzichten, sei es als Verist zu Beginn der 20er-Jahre, sei es als präziser Beobachter des Gegenständlichen bis etwa 1927. Sein künstlerischer Werdegang in den Jahren danach spiegelt eine tiefgreifende Krise in seinem Selbstverständnis als Maler, noch bevor die eigentliche Katastrophe mit der Entlassung 1933 aus seinem Amt als Professor der Landeskunstschule in Karlsruhe eingetreten war. Aufschlussreich ist Scholz' Eintritt in ein neues Interessengebiet 1927, bedingt durch den Kontakt mit dem Vertreter der Handelskammer in Karlsruhe, Carl Haußer. Für diesen erarbeitete Scholz zusammen mit seinen Studenten Schautafeln, auf denen die Synthese von Industrie und Kunsthandwerk dokumentiert wird.
In diese Zeit fällt Scholz' genereller Zweifel an der Laufbahn der akademisch ausgebildeten Künstler und deren Zukunftsaussichten. Darüber hinaus sucht Scholz für sich nach neuen Wegen malerischer Darstellung wie etwa gleichzeitig auch seine Karlsruher Künstlerkollegen Wilhelm Schnarrenberger und Karl Hubbuch, die den Realismus im neusachlichen Stil zugunsten im- und expressionistischer Stilaneignung aufgeben. In den 30er- und 40er-Jahren lebt Scholz mit seiner Familie zurückgezogen in Südbaden, in Waldkirch; er konvertiert 1935 zum Katholizismus und verdient den Lebensunterhalt vor allem durch Porträtaufträge, Arbeiten für das 1934 gegründete Badische Armeemuseum (damals noch in Karlsruhe) sowie für Kirchenausstattungen. Daneben entstehen weibliche Aktbilder, die fast alle im Waldkircher Familienbesitz geblieben sind.
Also schon einige Jahre vor Ende der Weimarer Republik und vor dem Beginn des Nationalsozialismus scheinen Scholz' künstlerische Energien nachgelassen zu haben. Auch fehlte es ihm offensichtlich an Kampfgeist, wie beispielsweise Otto Dix seine Kritik am NS-Regime künstlerisch zu artikulieren. Zu diesem Schluss kam Olaf Peters in seiner grundlegenden Publikation zum Thema "Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus. Affirmation und Kritik 1931-1947", die er 1998 im Reimer Verlag Berlin herausgab und in der er äußerst differenzierte Untersuchungen zu Georg Scholz, Franz Radziwill, Rudolf Schlichter sowie vor allem Otto Dix durchführt, unter anderem mit der Frage, wie politisch eindeutig deren Verhältnis zum NS-Regime gewesen ist.
Vor diesem Hintergrund ist die nun vorliegende neueste, Georg Scholz gewidmete Publikation äußerst aufschlussreich. Will man Scholz' bemerkenswert eigenständige Haltung als Künstler und Mensch verstehen, so ist es unumgänglich, sich die 2018 erschienene und von den ausgewiesenen Kunsthistorikern Karl-Ludwig Hofmann und Ursula Merkel herausgegebene Publikation: "Georg Scholz. Schriften, Briefe, Dokumente" anzueignen. Mit ihrem Reichtum an Quellen übertrifft sie bei Weitem die bisher zu Georg Scholz erschienenen Veröffentlichungen: Den 1975 vom Badischen Kunstverein in Karlsruhe herausgegebenen Katalog zur Ausstellung "Georg Scholz. Ein Beitrag zur Diskussion realistischer Kunst" sowie den Katalog zur Ausstellung von 1982, den der BBK Karlsruhe zu Scholz' druckgrafischen Arbeiten aufgelegt hat. Zu nennen sind darüber hinaus die Publikation zur Werkübersicht mit einem klugen Begleittext von Siegmar Holsten, die die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe aus Anlass von Scholz' 100. Geburtstag 1990 durchführte, vor allem aber das 2004 mit einer ausführlichen Einführung versehene Werkverzeichnis von Felicia H. Sternfeld, das sie als Dissertation an der Kölner Universität erarbeitet hat.
Mit dem über 650 Seiten umfassenden, in jeder Hinsicht gewichtigen Buch haben es sich die Herausgeber zur Aufgabe gemacht, sämtliche, zwischen 1913 und 1945 verfassten Quellentexte sowie zwei der umfänglicheren Prosaschriften des Künstlers zu publizieren und zu kommentieren. In einem ersten Abschnitt sind Texte aus den Jahren 1914 bis 1932 zusammengestellt, die bereits an verschiedenen Orten abgedruckt wurden, - verdienstvoller Weise also auch solche, deren Zugänglichkeit heutzutage eher erschwert ist. Der zweite Abschnitt unter dem Aspekt "Briefe und Dokumente 1913-1945" ist eine wahre Fundgrube an Informationen aus erster Hand. Dies gilt vor allem für Scholz' Kontakte zu anderen Künstlerkollegen wie John Heartfield und George Grosz in Berlin und auch für den ausführlichen Briefwechsel mit dem Arzt Theodor Kiefer, den Scholz seit seinem Lazarettaufenthalt 1918 kannte und der ihm enger Freund und Mäzen geworden war.
Scholz' exzellente und durch die vorliegende Publikation erst jetzt nachvollziehbare Begabung als Schriftsteller zeigt sich insbesondere in Teil 3 und zwar zum einen unter dem lapidaren Titel "Als Ob" aus dem Jahr 1930, der der Karlsruher Landeskunstschule gewidmet ist, und zum anderen unter dem Titel "Ich hatt' einen Kameraden. Kriegserinnerung" aus den Jahren 1931/32. Beide Schriften sind weitgehend autobiografische Rückblicke. So beschreibt Scholz in "Als Ob" seine Beobachtungen zum Professorenkollegium der Landeskunstschule um die Mitte der 1920er-Jahre, also zeitlich noch ziemlich nahe am Geschehen, da er seit 1923 als Assistent von Ernst Würtenberger und ab 1925 selbst als ordentlicher Professor dort tätig war und 1930 noch aktiv als Hochschullehrer wirkte.
Ähnlich wie Scholz' Künstlerkollege Rudolf Schlichter; der in seiner Lebenserinnerung "Tönerne Füße" 1933 für die Mitstudenten Pseudonyme verwendet (Scholz heißt hier "Fuchs"), tauft Scholz fast alle Personen in "Als Ob" ebenfalls mit Fantasienamen, so beispielsweise für den Schweizer August Babberger den lautmalerischen Namen "August Käselin". Glücklicherweise konnten die Editoren auf die von Scholz selbst im Typoskript eingetragenen Namen der Realpersonen zurückgreifen. Im Gegensatz aber zu Schlichter, dessen literarisches Werk in erster Linie um Probleme mit seinem sexbesessenen Ego kreist, geraten Scholz' Situationsbeschreibungen und zugespitzte Charakterisierungen der Individuen zur drastischen wie subtilen Satire, die nicht nur außerordentlich vergnüglich zu lesen ist, sondern auch für ein parodistisches Bühnenstück geeignet wäre.
Der zeitliche Abstand zu seinen Schilderungen in "Ich hatt' einen Kameraden. Kriegserinnerung" über die Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg beträgt hingegen etwa 13 Jahre, sodass sich die Frage stellt, weshalb er nach so langer Zeit ausgerechnet um 1931/32 diese traumatisierenden Erinnerungen niedergeschrieben hat? Mit Sicherheit ist seine schöpferische Krise als Maler zu Ende der 20er-Jahre ein Hauptgrund, neben dem Pinsel und dem Stift auch zur Schreibfeder zu greifen und Menschen und Erlebnisse, die ihn nachhaltig geprägt und beeindruckt haben, mit Worten statt mit bildnerischen Mitteln darzustellen. Darüber hinaus lag das scheinbar plötzliche Auftreten der Rückerinnerung an den Ersten Weltkrieg und die Vorahnung von einer weiteren Katastrophe dieser Art um 1930 quasi in der Luft. So erscheint beispielsweise 1929 Erich Maria Remarques Roman "Im Westen nichts Neues". Dass auch Scholz dieses Thema mit einem schonungslosen Realismus, aber auch mit selbstironischer Würze aufgegriffen hat, wird erst jetzt mit dem Abdruck des vollständigen Typoskripts in der vorliegenden Publikation bekannt.
Die Drastik, mit der Scholz seine grauenerregenden Erlebnisse als Soldat zunächst an der Ost-, dann an der Westfront beschreibt, erinnert in Vielem an Arbeiten von Otto Dix. Liest man Scholz' immerhin mehr als 200 Druckseiten umfassende Kriegserinnerungen, so muten sie - ähnlich wie Dix' Gemälde "Der Krieg" von 1929/32 (heute in Dresden) - wie eine Mahnung an die deutschen Zeitgenossen an. Doch konnte Scholz' Roman ja mit Blick auf die Machtergreifung und die alsbald folgende Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 nicht zur Drucklegung kommen. Wie in Kenntnis des Kommenden schreibt Scholz am 2. August 1931 an seinen Freund Kiefer: "Eine Beamten-Sonder-Notverordnung für Baden bestimmt, daß bei härtesten Strafen jedem Staatsangestellten jede politische Meinungsäußerung innerhalb des Dienstes, der Dienstgebäude und unter Kollegen verboten ist. [...] Infolgedessen lebe ich völlig einsam, denn mit sämtlichen 'Kollegen' haben wir den 'Verkehr' aufgesteckt."
Die vorliegende Publikation ist für alle Wissenschaftler, die sich mit der Kunst der 20er-Jahre und darüber hinaus intensiver befassen, eine wahre Fundgrube an Informationen wie sie nur Quellen aus erster Hand zu bieten vermögen. Sie erweitert das Wissen über Georg Scholz vor allem in seiner Zeit der Inneren Emigration, seine nur privat geäußerte Kritik, seine Ängste und seine Resignation schon vor und dann erst recht ab Beginn des Dritten Reiches. Die schriftlichen Zeugnisse spiegeln das wieder, was Olaf Peters bereits 1998 aus dem Selbstbildnis von Scholz aus dem Jahr 1935 herausanalysiert hat und worin sich der Künstler von seinen Malerkollegen wie beispielsweise Otto Dix und Karl Hubbuch unterscheidet. Setzen sich diese in ihrer Kunst auf unterschiedliche Weise offensiv mit dem NS-Regime auseinander, zieht sich Scholz auf Auftragsarbeiten zurück und nicht zuletzt auf weibliche Akte, die er relativ naturalistisch erfasst, also weder erotisch interpretiert, noch bizarr deformiert wie es beispielsweise bei Otto Dix der Fall ist.
Es ist den Herausgebern Karl-Ludwig Hofmann und Ursula Merkel zu danken, dass sie sich mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und vor allem Akribie in der Transkription der handschriftlichen Quellen dieser Mammutaufgabe gewidmet haben. Hinsichtlich des Künstlers Georg Scholz, aber auch für seine Zeit ist diese Publikation für jetzt und in Zukunft ein Grundlagenwerk, dessen Lektüre nicht nur profunde neue Erkenntnisse bietet sondern auch zu einem großen Teil unterhaltsamen Lesegenuss.
Karl-Ludwig Hofmann / Ursula Merkel (Hgg.): Georg Scholz. Schriften, Briefe, Dokumente (= Lindemanns Bibliothek; 151), Karlsruhe: Info Verlag 2018, 658 S., ISBN 978-3-88190-667-8, EUR 45,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.