Das hier zu besprechende Buch bietet eine umfassende Darstellung der politischen, der Siedlungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Lykiens in spätarchaischer und klassischer Zeit, d. h.: in der Epoche unter achämenidischer Herrschaft. Das Herzstück des Werks und seinen umfangreichsten Teil bildet ein Kapitel zu "Siedlungsgeographie, Siedlungstypen und Herrschaftsstrukturen" (147-523). Darin gibt Frank Kolb einen detaillierten Überblick über die archäologische Befundsituation, räumlich aufgeteilt in Abschnitte zum Xanthostal, zum Westen Lykiens rings um Telmessos, zum kleinräumig gegliederten Zentrallykien mit seinen verschiedenen Siedlungskammern, zur Schwemmlandebene mit ihren Hauptorten Myra und Limyra und zur Milyas und Kabalis im Norden. Dabei skizziert er jeweils die Lage der bedeutendsten Orte, ggf. mit zugehörigen Befestigungen und kleineren Siedlungen in der Umgebung, gibt einen Überblick über ihre Erforschung und liefert dann detaillierte Beschreibungen der Siedlungsanlagen mit der gesamten zugehörigen Bebauung; dabei genießen die Grabarchitektur und ihr Bildschmuck aus naheliegenden Gründen immer wieder besondere Aufmerksamkeit. Der Verfasser richtet den Blick in diesem Zusammenhang jedoch nicht allein auf die jeweilige Siedlungsstruktur und -geschichte, sondern auch auf Bevölkerungszahl sowie Rang und Bedeutung einer Siedlung im Kontext ihrer Umgebung. Dabei werden sowohl kleinräumige Verschiebungen, etwa der Übergang der regionalen Vorreiterrolle von Trysa und Zagaba auf Kyaneai (426f.), als auch weiträumige Schwerpunktverlagerungen wie die zunehmende Bedeutung von Küstenorten im Vergleich zu Siedlungen im Binnenland beschrieben (z.B. 306f.).
Diesem Teil des Werkes sind zwei Kapitel vorangestellt, die die Geschichte der Landschaft behandeln. In "Vor- und Frühgeschichte Lykiens" (56-76) greift Kolb zunächst in die späte Bronzezeit zurück und stellt die Quellen zum Land und den Leuten von Lukka zusammen. Nach ausführlicher Diskussion der zahlreichen Zeugnisse schließt er sich der Auffassung an, dass unter Lukka ein mehr oder weniger eng gefasster Raum im Südwesten Kleinasiens zu verstehen sei, der sich mit dem des historischen Lykien zu einem guten Teil überschneidet (25-44). Anders als die Wahrnehmung der Region und ihrer Bewohner in hethtitischen, zyprischen, ugaritischen und sonstigen Quellen erwarten lassen mag, kennzeichnet Lykien vom frühen 2. Jt. bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. eine auffällige Fundarmut und lässt Kolb auf eine weitgehende kulturelle Isolation schließen (45-55). Im 7. Jahrhundert spielen die Lykier dann zunächst in der Ilias eine Rolle. Ihrem Dichter galt das Xanthostal zwar bereits als Zentrum der Landschaft, doch hatte er keine näheren Kenntnisse der Region, und, was er über sie erzählt, dürfte ebenso wie spätere mythische Berichte dazu gedient haben, ihre Bewohner in die Ethnographie der bekannten Welt einzuordnen. Die Lykier selbst haben, was in griechischer Mythologie über sie berichtet wurde, erst sehr spät aufgegriffen.
Im Kapitel "Lykiens Weg ins Licht der Geschichte" (77-113) beschreibt Kolb Beginn und Entwicklung einer insbesondere an repräsentativer Grabarchitektur ablesbaren sozialen Stratifizierung und leitet zu jener Epoche über, die im Zentrum des Werkes steht, die Zeit unter achämenidischer Herrschaft.
Im historischen Überblick zu dieser Epoche stehen die Zugehörigkeit zum Attischen Seebund, die Rolle Lykiens im Peloponnesischen Krieg und die innerlykische Entwicklung im Vordergrund. Die Aktivitäten des limyräischen Dynasten Perikle mündeten nach Meinung des Verfassers in eine Beteiligung Lykiens am Satrapenaufstand ein (143f.; vgl. 642). Da der Rezensent mit M. N. Weiskopf überzeugt ist, dass der Satrapenaufstand als eine kohärente, weite Teile Kleinasiens erfassende Erhebung eine Fiktion Diodors, der im Übrigen einzigen Quelle für dieses Ereignis, ist (Diod. XV 90-92) [1], mag er Kolb hier nicht folgen. Dass die Veränderungen, die für spätere Zeit durch die Trilingue von Xanthos dokumentiert sind, das Ende der dynastischen Herrschaft und die Übernahme der Verwaltung Lykiens durch bestellte Beamte, mit den Expansionsbestrebungen des Perikle zusammenhingen, ist absolut plausibel, doch bedeutete diese in erster Linie eine Veränderung des administrativen Zugriffs und für einen Teil der Elite gewiss auch eine Beschneidung ihrer Macht. Eine Veränderung der Stellung Lykiens innerhalb der Verwaltungshierarchie war damit wohl kaum verbunden [2], und die Behauptung, dass Lykien zuvor "politisch-gesellschaftliche Eigenständigkeit" genossen habe (725; vgl. 11, 117-121, 238, 255, 713), wird dem Einfluss und der Bedeutung der persischen Herrschaft nach Lykiens Ausscheiden aus dem Seebund zu wenig gerecht.
Die Eingliederung ins Achämenidenreich mag, wie Kolb verschiedentlich andeutet, ursächlich für eine wirtschaftliche Dynamisierung gewesen sein, die schrittweise zu politischen Veränderungen, zu Wohlstand, zu einer Architektur der Macht und deren repräsentativer Ausgestaltung und zur Übernahme der Münzwirtschaft führten (88, 93, 116f., 121 mit Anm. 30f., 122f., 536, 559, 562). Auf der anderen Seite schuf die persische Reichsverwaltung der lykischen Politik die Rahmenbedingungen und steckte ihr Grenzen, wie die Dokumente des Festungsarchivs von Persepolis (kurze Erwähnung, 118) belegen, in denen Lykier die am zweithäufigsten genannte Gruppe bilden. [3] Hier figurieren sie meist als kurtaš, als abhängige Arbeiter, deren Bereitstellung als eine Form von Steuerleistung zu verstehen ist. [4] Das umfangreichste epigraphische Zeugnis Lykiens, der Inschriftenpfeiler, bezeugt außerdem die Geltung, die persische Weisungen für lykische Potentaten hatten. So ist in TL 44a, 51/52 die Befehlsgewalt eines von außen kommenden hakhlaza ("Kommandeur") dokumentiert (609f.), hinter dem der Verfasser einen persischen Amtsträger, den im Text Lykisch B genannten Hystaspes (TL 44c, 48: wizztasppazñ), vermutet. Ein anderer Passus an demselben Monument bezeugt, dass die Dekrete der persischen Könige für Lykien verbindlich waren (612: TL 44b, 58-62). [5] Dass die einheimischen Quellen ansonsten die Abhängigkeiten von der persischen Oberherrschaft, die Verpflichtung zu Steuerleistungen und dergleichen nicht thematisieren, liegt in der Intention dieser Zeugnisse begründet.
Die auf das Kapitel zur Siedlungsgeschichte folgenden Abschnitte runden das Werk in glänzender Weise ab. Das Kapitel "Wirtschaft und Gesellschaft im archaisch-klassischen Lykien" (524-558) beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Sozialstruktur, insbesondere damit, wie sich diese in Siedlungsbefunden widerspiegelt, und rückt dafür das Yavu-Bergland ins Zentrum der Untersuchung (526-549).
In den beiden sich anschließenden Kapiteln zur lykischen Numismatik (559-596) und zur Akmé des politischen und kulturellen Lebens in Lykien (597-708) verschränkt Kolb Beobachtungen an den Münzen mit den Aussagen anderer Zeugnisse, darunter der Texte am Inschriftenpfeiler von Xanthos und der Inschriften des Erbbina, aber auch der Reliefdarstellungen und Malereien an und in Gräbern, zu einer detaillierten Rekonstruktion der innerlykischen Geschichte, insbesondere der Konkurrenz zwischen dem Xanthostal und dem Osten Lykiens, den daraus resultierenden Auseinandersetzungen, Allianzen und Verschiebungen der Machtverhältnisse.
Das hier besprochene opus magnum ist Ergebnis langjähriger Forschung in Bibliotheken und vor Ort. Kolb demonstriert disziplinenübergreifend souveränen Umgang mit der Gesamtheit der verfügbaren Quellen und führt diese zu einem ebenso komplexen wie anschaulichen Bild des achämenidenzeitlichen Lykien zusammen. Dabei scheut er keine Diskussion und positioniert sich in strittigen Fragen in einer für den Rezensenten durchweg nachvollziehbaren Weise.
Im Vorwort dieses außerordentlich inhaltsreichen und dichten Werks äußert Kolb die Erwartung, dass "die in diesem Buch gebotene Bestandsaufnahme [...] sowie ihre historische Auswertung wohl von bleibendem Wert sein werden" (8). Dieser Prognose schließt sich der Rezensent mit Überzeugung an.
Anmerkungen:
[1] Michael N. Weiskopf: The So-Called "Great Satraps' Revolt" 366-360 B.C. (= Historia. Einzelschriften; 63), Stuttgart 1989.
[2] Bruno Jacobs: Kleinasiatische Lokalheiligtümer. Überlegungen zu den administrativen Rahmenbedingungen (= Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte; 40 [im Druck]).
[3] Wouter F. M. Henkelman: Reallexikon der Assyriologie 14, Berlin 2014, 199f. s.v. Turmira.
[4] Herodots Angaben (Hist. III 89ff.) sind für die Provinzeinteilung grundsätzlich nicht zu verwenden (Bruno Jacobs: Die altpersischen Länder-Listen und Herodots sogenannte Satrapienliste [Historien III 89-94]. Eine Gegenüberstellung und ein Überblick über die jüngere Forschung, in: Altertumswissenschaften im Dialog. Festschrift für Wolfram Nagel, [= Alter Orient und Altes Testament; 306], hgg. von Reinhard Dittmann / Christian Eder / Bruno Jacobs, Münster 2003, 301-343). Dasselbe gilt für Herodots fantastische Angaben zur Beteiligung Lykiens an einem jährlichen Tribut von 400 Talenten in Silber.
[5] Die Selbstbezeichnung des Tebursseli als gasabala (475f.) wäre ein besonders deutliches Zeichen für die Präsenz der persischen Herrschaft und ihre Akzeptanz durch die lykische Elite, wenn der Titel tatsächlich dem altiran. *ganzabara- ("Schatzmeister") entspräche, doch herrscht hinsichtlich der Etymologie keine Gewissheit: Jan Tavernier: Iranica in the Achaemenid Period (ca. 550-330 B.C.). Lexicon of Old Iranian Proper Names and Loanwords, Attested in Non-Iranian Texts (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 158), Leuven 2007, 521: 5.4.4.5.
Frank Kolb: Lykien. Geschichte einer antiken Landschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2018, 768 S., 21 Farb-, 253 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-5178-2, EUR 99,95
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