Letztwillige Verfügungen (Testamente) von Bürgern stellen zweifellos unentbehrliche Quellen für die Erforschung der Sozial-, Wirtschafts- und Mikrogeschichte, der materiellen Kultur sowie der Alltagsgeschichte dar. Allerdings erschweren die dezentrale Aufbewahrung des Materials sowie die komplexe Überlieferungslage dem interessierten Forscher den Zugang zu dieser Art von Quellen. Deshalb muss man für diese Auswahledition von Bürgertestamenten sehr dankbar sein, zumal ihr Herausgeber Thomas Krzenck diese Quellen bereits zum Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gemacht hat. [1] Die Publikation umfasst Bürgertestamente vor allem aus den böhmischen, aber auch aus einigen mährischen Städten: unter anderem Prag, Kuttenberg, Pilsen, Melnik, Aussig, Eger, Laun, Budweis, Iglau, Brünn, Olmütz und Znaim (gleichwohl beschränkt sich der Buchtitel, etwas missverständlich, auf Böhmen).
Der Edition geht eine Einleitung voran, in der Krzenck die jeweilige Überlieferung ebenso behandelt wie die Frage, inwiefern die letztwilligen Verfügungen die gesellschaftlichen Umwälzungen in den Städten Prag, Kuttenberg, Brünn und Pilsen im 15. Jahrhundert reflektieren. Krzenck interessiert sich vor allem für religiöse (Hussitismus) und nationale Aspekte (deutsch-tschechische Spannungen bei der Besetzung des jeweiligen Stadtrates), wobei er allerdings eine Reihe von anderen Phänomenen unberücksichtigt lässt, die mit dieser Quellengattung zusammenhängen und die aktuell in der tschechischen Historiografie diskutiert werden, etwa Fragestellungen der Gender Studies oder Überlegungen, wo die Analyse von Testamenten mit statistischen Methoden an ihre Grenzen stößt.
Die Editionsgrundsätze und die Kriterien nach denen aus den mehr als 3000 bekannten böhmischen und mährischen Testamenten 200 zur Veröffentlichung ausgewählt wurden, werden dem Rezensenten allerdings nicht ganz deutlich. Der Herausgeber verweist ohne nähere Begründung auf die "historische Bedeutung" der in die Edition aufgenommenen Stücke. Das primäre und lobenswerte Ziel besteht offensichtlich darin, vor allem tschechischsprachige Testamente (140 Stück) mittels deutscher Übersetzung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Weniger stimmig ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung der 41 deutschen und 19 lateinischen Stücke, zumal etliche von ihnen (abgesehen von einigen unbekannten Stücken) anderswo bereits ediert oder sogar online verfügbar sind.
Die angestrebte buchstabengetreue Wiedergabe (Transliteration) erscheint wenig hilfreich. Dadurch werden Abkürzungen manchmal nicht aufgelöst (33: "[...] ke czti pav Bohu y geo mile matky [...]", richtig: "[...] ke czti panv Bohu y geho mile matky [...]") und die oft unübersichtliche Worttrennung des Originals übernommen (154: "a wiecznie wegmeno bozie zaspasenie dusse me"). Darüber hinaus finden sich einige Mängel und Widersprüchlichkeiten in der Transliteration, wie zum Beispiel in einem Testament vom 30. Juli 1473 (Nr. 138, 299 ff.): "kdezkoli zten nebo ctucze slyssen" statt richtig "kdezkoli czten nebo ctucze slyssan"; "przidawagie ku pomoczy" statt "przidawagie gie ku pomoczy"; "prziwedu byl" statt "prziweden byl"; "aby napad byl s vmrleho dietet przately sessleho nazywe" statt "aby napad byl s vmrleho dietet przedlety sessleho nazywe"; "nezmienecz stawa" statt "nezmienecz stawu"; "w Stare miestie" statt "w Starem miestie"; "z statku meho swrchupsaneho" statt "z statku meho swrchujmenowaneho"; "Sigilla testimonium Georgii Kosteczka, iudices tuttoris, et dominiorum consulum iuratores" statt "Sigilla in testimonium Georgii Kosteczka, iudicis tunc temporis, et dominorum consulum iuratorum".
Anhand der genannten Beispiele lässt sich nicht beurteilen, ob die Transliteration der tschechischen Testamente in der gesamten Edition mangelhaft ist. Eine durchgehende Kollationierung scheint jedenfalls nicht durchgeführt worden zu sein.
Da die Testamente den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern vor allem durch die moderne deutsche Übersetzung zugänglich gemacht werden, ist es umso bedauerlicher, dass sich auch dort Fehler finden. Der häufig anzutreffende alttschechische Begriff "dobré svědomí" (zum Beispiel Nr. 30, 72 f.) bedeutet nicht "gutes Gewissen" oder "gutes Wissen", sondern "wahrhafte Zeugenaussage" bei einem Rechtsverfahren. Ähnlich bedeutet das Wort "přátelé" zwar buchstäblich "Freunde", aber im 15. Jahrhundert verstand man darunter die "Verwandten", was in einer Fußnote oder in der Einleitung hätte erläutert werden sollen.
Ein anderes Beispiel für eine mangelhafte Übersetzung findet sich in einem Testament vom 2. Dezember 1433 (Nr. 54, 116), in dem ein Jeronym Prener "magiestaty na prenerrstwie Jacubowi, Prenerowi swemu striczy" vermacht. Die Majestätsbriefe wurden aber nicht, wie angegeben, der Familie Prener gewährt ("die Majestätsbriefe für die Preners"), sondern die Urkunden betrafen ein bestimmtes Handwerk, nämlich das Feinbrennen von Silber (prenerrstwie), von dem sich wohl der Name der Familie ableitete.
Der Edition muss zugutegehalten werden, dass die genannten kritischen Einwände die deutschen und lateinischen Testamente ausdrücklich nicht betreffen, welche allerdings nur ein Viertel des Inhalts der Publikation ausmachen. Es ist zu bedauern, dass die Benutzung der Gesamtedition durch die erörterten Mängel wesentlich erschwert wird.
Anmerkung:
[1] Thomas Krzenck: Böhmische Bürgertestamente des 15. Jahrhunderts. Regesten-verzeichnis, in: Archiv für Diplomatik 44 (1998), 141-186; Ders.: Methodische und methodologische Probleme bei der Erfassung und Auswertung spätmittelalterlicher Bürgertestamente unter besonderer Beachtung böhmischer Quellen, in: Mediaevalia Historica Bohemica 9 (2003), 211-243.
Thomas Krzenck (Hg.): Böhmische Bürgertestamente des 15. Jahrhunderts (= Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas; 9), Marburg: Herder-Institut 2017, VII + 484 S., ISBN 978-3-87969-422-8, EUR 82,50
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