Lange haben wir auf dieses Buch gewartet. Es geht um Sklavinnen und Sklaven in der Zeit des sogenannten "Mamlukensultanates". In Ägypten und Syrien hatte sich von 1250 bis 1517 eine Gesellschaft etabliert, in der eine kleine Schicht von Militärsklaven, eben die Mamluken, die Macht übernommen hatte. Für mehr als 250 Jahre bildeten sie die Herrschaftselite. Dabei ist der Begriff "Mamluken" in diesem Zusammenhang irreführend. Da die Kinder der Mamluken (vom Prinzip her) grundsätzlich von den obersten Rängen der Herrschaft ausgeschlossen waren, importierte man den Nachwuchs aus dem nicht-muslimischen Mittelasien. Die meist sehr jungen Sklaven hatten zum Islam zu konvertieren und durchliefen in den Kasernen in Kairo eine strenge militärische Ausbildung. Am Ende stand allerdings die Freilassung. Da damit die vollwertige Aufnahme in die muslimische Gesellschaft erfolgte, scheint die Bezeichnung "Mamlukensultanat" zumindest problematisch.
Über die "Mamluken" sind wir recht gut informiert, obgleich auch hier noch viele Dinge (etwa: ihr internes Sozialgefüge, die Netzwerke, Haushalte und Mobilität der Emire, die Verflechtungen von den Mamluken und der arabischen Bevölkerung in ruralen Gebieten, das Verhältnis von lokaler zu zentraler Macht) ungeklärt sind, liegt dennoch eine große Zahl von Publikationen zu ihnen vor. Ganz anders verhält es sich, wenn wir uns die "normalen" Sklavinnen und Sklaven in den Haushalten anschauen wollen. Neben einigen verstreuten Aufsätzen hat bisher nichts vorgelegen. Erst im letzten Jahr erschien eine (ausgezeichnete) Monographie über den Sklavenhandel zwischen den Regionen um das Schwarze Meer herum, dem Mittelmeer und dem Mamlukensultanat. [1] Darüber hinaus hat Craig A. Perry auf der Basis der Genizadokumente eine sehr informative und wegweisende Dissertation über die Hausklaven in der ägyptisch-jüdischen Gemeinschaft während der Fatimiden- und Ayyubidenzeit (969-1250) verfasst.
Vor diesem Hintergrund muss es ausdrücklich begrüßt werden, dass die Promotionsschrift, die Jan Hagedorn an der Universität zu St. Andrews unter der Betreuung von Andrew C. S. Peacock angefertigt hat, nun veröffentlicht worden ist. Im Zentrum steht, wie gesagt, die Sklaverei in ägyptischen und syrischen Haushalten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, wobei ein besonderes Gewicht auf die Handlungsoptionen ("agency") der Sklavinnen und Sklaven gelegt wird. Die Quellengrundlage ist nicht besonders gut, was mit ein Grund dafür sein kann, dass sich diesem Thema bislang niemand ernsthaft gewidmet hat. Bei genauerer Hinsicht stellt sich die Lage aber nicht mehr ganz so deprimierend dar: Neben Kauf- und Heiratsverträgen, Chroniken und Handbüchern zur Marktaufsicht, zum Sklavenkauf und für Kanzleibeamte sind es vor allem Hörerzertifikate und Inventarlisten, die unsere Kenntnisse deutlich erweitern.
Die Arbeit ist sehr gut strukturiert: Jedes Kapitel behandelt - meist auf der Grundlage einer Quellengattung - eine der wichtigen Stationen im Leben einer Sklavin/eines Sklaven. Am Anfang steht der städtische Sklavenmarkt. Neben den Handelswegen und der Topographie der Märkte, die sich vor allem für Kairo ganz gut erschließen lässt, lernen wir die einzelnen Akteure an dem Geschäft mit der menschlichen Ware kennen. Die Händler selbst ließen die SklavInnen in der Regel über Mittelsmänner auf den Märkten verkaufen. Für den - für die SklavInnen sehr erniedrigenden - Auswahlprozess gab es offenbar fest etablierte Regularien. Nachdem die Personen erworben worden waren, gingen sie als Ware in den Besitz der Käufer (und auch Käuferinnen) über. Den Abschluss des Geschäftes bildete ein offiziell aufgesetzter Vertrag, in dem die Einzelheiten festgelegt wurden. Der Autor kann diese Praxis sehr schön anhand zweier Fallstudien aus zwei Urkundensammlungen nachzeichnen. Dabei handelt es sich auch um neu erschlossenes Material. Im Ägyptischen Museum in Berlin sind Dokumente aus der Zeit von 1284 und 1288 erhalten, die den Kauf und Weiterverkauf eines jungen Mädchens innerhalb einer mittelständischen Handwerkerfamilie in al-Bahnasa in Oberägypten schildern. Daneben wertet Hagedorn fünf weitere Urkunden über den Verkauf von Sklaven afrikanischer Abstammung aus, die zwischen 1381 und 1393 verfasst wurden und aus dem berühmten Fundus des Islamischen Museums auf dem Jerusalemer Tempelberg stammen.
Waren die Sklavinnen und Sklaven einmal in den Haushalten oder am Hof angekommen, verschwanden sie normalerweise von der Bildfläche. Hier kann Jan Hagedorn nun allerdings auf ein Quellenmaterial zurückgreifen, das erst seit etwa 10-15 Jahren ernsthaft für die islamwissenschaftliche Forschung erschlossen wird. Gemeint sind die oben bereits erwähnten Hörerzertifikate. [3] Dabei handelt es sich um Bestätigungen, Lesungen und Vorträge angesehener Gelehrter gehört zu haben. Am Anfang solcher Dokumente wird der Name des Autors, dessen Werk vorgetragen wurde, sowie die anwesenden offiziellen Personen (z.B. der Vortragende oder anwesende Gelehrte, die den Inhalt des Buches autorisiert haben) genannt. Dann folgt eine ausführliche Liste der Hörer. Den Abschluss bilden die Angaben zum Ort und zum Datum der Veranstaltung und die Unterschrift des Schreibers. Diese Hörerzertifikate bieten uns unter anderem einen einmaligen Einblick in die soziale Integration von Sklavinnen und Sklaven. Jan Hagedorn konnte insgesamt 273 versklavte oder freigelassene Personen identifizieren. Es ist spannend zu lesen, dass es Sklavinnen und Sklaven zusammen mit ihren Besitzern ebenso wie Freigelassenen möglich war, zusammen mit ganz normalen Leuten an solchen Sitzungen teilzunehmen.
Die gesetzlich im Normalfall erlaubte sexuelle Ausbeutung von Sklavinnen - entweder als Konkubinen oder Ehefrauen - ist natürlich ein wichtiges Thema, das leider in den Quellen nur schlecht dokumentiert wird. Trotz der fatalen Situation hätten sie jedoch, so vermutet Jan Hagedorn, bisweilen auch die Möglichkeit gehabt, materiellen und sozialen Vorteil aus den sexuellen Beziehungen zu ziehen. Zumindest waren Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgingen, frei. Hier unterscheidet sich die islamische Sklaverei von ihrer Atlantischen Variante. Interessanterweise führte diese Rechtsvorschrift dazu, dass die Zahl der Sklavinnen und Sklaven nicht von sich aus zunahm. Man benötigte aus diesem Grund permanent Nachschub aus nicht-muslimischen Regionen. Dazu trug auch der Umstand bei, dass die Freilassung von Versklavten religiös positiv konnotiert war. Mit dieser als lobenswert gekennzeichneten Handlung konnte man Pluspunkte für den Tag des Jüngsten Gerichtes sammeln. Wie Hagedorn anhand der wenigen erhaltenen Urkunden nachweisen kann, war die Freilassung von Sklavinnen und Sklaven während der Mamlukenzeit gängige Praxis. Freilassungen waren dabei normalerweise keine spontanen Entscheidungen, sondern beruhten auf längeren Aushandlungsprozessen. Man sollte bei der Verwendung des Begriffes "Freilassung" immer im Hinterkopf behalten, dass es sich nicht um einen modernen individuellen Freiheitsbegriff handelt. Personen im 13. und 14. Jahrhundert in Ägypten und Syrien waren in diesem Sinn niemals frei, sondern immer an einen Haushalt und dessen asymmetrischen Machtverhältnisse gebunden. Wurden sie von diesem getrennt, ohne einen adäquaten Ersatz gefunden zu haben, gerieten sie an den äußersten Rand der Gesellschaft. So erklärt sich auch der Umstand, dass die Freigelassenen zwar vollkommen geschäftsfähig waren und somit Eigentum erwerben, Geld verdienen oder Schulden aufnehmen konnten, aber nicht selten weiterhin im Haushalt ihrer Herrin oder ihres Herren blieben. Dies wird auch deutlich an den von Hagedorn in seinem letzten Kapitel analysierten 400 erhaltenen Inventarlisten. 24 von ihnen stammen von freigelassenen Sklavinnen und Sklaven. Wenn der Tod sich näherte, bestellten viele einen für Erbschaften zuständigen Sachverständigen aus der Verwaltung zu sich. Dieser machte eine vollständige Bestandsaufnahme des Besitztums, um eine gerechte Verteilung der Sachen unter den Erben zu gewährleisten. Daher listete man in diesen Dokumenten ebenfalls die Namen aller Angehörigen auf. Die Inventarlisten zeigen, dass sich Freigelassene in allen sozialen Schichten fanden. Einige hatten es geschafft, einen eigenen Haushalt zu etablieren, andere waren ihren früheren Eignerinnen und Eignern treu geblieben.
Jan Hagedorn ist es gelungen, aus dem schwierigen Quellenmaterial das Beste herauszuholen. Er hat eine wirklich überzeugende Monographie zur häuslichen Sklaverei im Mamlukensultanat vorgelegt, die für viele Jahre das Standardwerk zu diesem Thema bleiben wird.
Anmerkungen:
[1] Hannah Barker: The Most Precious Merchandise. The Mediterranean Trade in Black Sea Slaves, 1260-1500, Philadelphia 2019.
[2] Craig A. Perry: The Daily Life of Slaves and the Global Reach of Slavery in Medieval Egypt, 969-1250 CE (PhD-thesis, Emory University, 2014).
[3] Grundlegend zur Mamlukenzeit: Konrad Hirschler: The Written Word in the Medieval Arabic Lands: A Social and Cultural History of Reading Practices, Edinburgh 2012 und ders.: Reading Certificates (Samāʿāt) as a Prosopographical Source: Cultural and Social Practices of an Elite Family in Zangid and Ayyubid Damascus, in: Andreas Görke / Konrad Hirschler (eds.): Manuscript Notes as Documentary Sources, Würzburg 2011.
Jan Hinrich Hagedorn: Domestic Slavery in Syria and Egypt, 1200-1500 (= Mamluk Studies; Bd. 21), Göttingen: V&R unipress 2019, 245 S., ISBN 978-3-8471-1091-0, EUR 40,00
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