Das nach dem Tod der französischen Königin Klementia von Ungarn (Clémence de Hongrie, gestorben 1328) erstellte Inventar ihrer beweglichen Güter umfasst auf 99 Seiten insgesamt 748 Posten (Einzelobjekte oder Objektkonvolute). Die kinderlose Witwe des französischen Königs Ludwig X. (gestorben 1316) hinterließ zudem ein kurz vor ihrem Tod selbst verfasstes Testament. Diese beiden Dokumente, die dem Band von Maria Proctor-Tiffany als Anhang beigefügt sind, bilden die Quellenbasis für die Untersuchung. Die Autorin wertet die in beiden Dokumenten enthaltene Fülle an Informationen zu den Besitztümern der Königin unter zwei Aspekten aus: Einerseits befasst sie sich mit der Mobilität der Gegenstände, die anhand der dokumentierten Hand- und Ortswechsel nachvollzogen werden kann, andererseits beleuchtet sie die Funktion von Objekten im Kontext der höfischen Schenkkultur und des statusspezifischen Handelns der Königin.
Im ersten von sieben Kapiteln (14-31) wird das weitgespannte soziale und familiäre Netzwerk der Königin vorgestellt, das von ihrem Herkunftsort Neapel über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Ungarn und der Provence bis an den französischen Hof reicht. Zudem wird ihre Rolle als großzügige Stifterin und insbesondere als Auftraggeberin für das Herzgrabmal ihres Urgroßvaters Karl I. von Anjou (gestorben 1285) sowie für die Grabmäler ihres Gatten und möglicherweise ihres kurz nach der Geburt verstorbenen Sohnes analysiert.
Das zweite Kapitel (32-52) ist der Objektmobilität gewidmet. Die Autorin identifiziert drei Zeitpunkte in der Geschichte von Objekten, die für deren Mobilität entscheidend sind: Eine erste Bewegung ergibt sich vom Herstellungsort hin zur erstbesitzenden Person, wobei sich zusätzlich anhand der Herkunft der Rohstoffe, wie beispielsweise von Edelsteinen, zeigen lässt, wie weit einzelne Bestandteile der kostbaren Objekte bisweilen unterwegs waren (38, Karte 2). Das Verschenken von Gegenständen zu Lebzeiten der Besitzerin bewegt diese ein zweites Mal und eine dritte Objektmigration kann schließlich nach dem Tod der Besitzerin oder des Besitzers erfolgen. Die in den Handwechsel der Gegenstände involvierten Personenkreise - Hersteller, Verkäufer, Besitzer, Empfänger von Geschenken und Erbschaften, Sammler und Käufer - werden anhand zahlreicher, im Inventar der Königin dokumentierter Beispiele untersucht.
Mit der identitätsstiftenden und repräsentativen Funktion der im Inventar genannten Objekte als "markers of royal identity" (53) befasst sich das dritte Kapitel (53-79). Auf der Basis ihrer detaillierten Analyse definiert die Autorin drei Hauptorte der königlichen Identitätsproklamation mittels materieller Zeichen, nämlich den Körper der Königin selbst, der mit entsprechender Kleidung und Schmuck ausstaffiert wurde, die Orte der privaten Frömmigkeit, also Hauskapellen und -altäre, die mit kostbarem liturgischem Gerät ausgestattet wurden, und schließlich die gedeckte Tafel, auf der bei festlichen Anlässen das Tafelgeschirr aufgestellt wurde. Im Vergleich mit weiteren zeitgenössischen Inventaren belegen die Besitztümer Klementias sowohl geschlechtsspezifische Unterschiede (64) wie auch die Konventionen ihres Standes (79). Dasselbe lässt sich auch für die Bibliothek der Königin feststellen, von deren ursprünglichen 44 Büchern sich drei illuminierte Handschriften erhalten haben, die im vierten Kapitel (80-103) detailliert besprochen werden.
Anhand zahlreicher Beispiele gibt das fünfte Kapitel eine allgemeine Einführung in die Praktiken des Schenkens im Mittelalter (104-111). Der Akt des Schenkens diente dem Hochadel als repräsentative Geste zur Demonstration seiner Pracht und Großzügigkeit. Das darauffolgende Kapitel (112-125) zeigt dieses Schenken exemplarisch anhand eines gut dokumentierten Einzelereignisses aus dem Leben Klementias und erweitert damit die Untersuchung von Testament und Inventar um ein konkretes Beispiel. Beschrieben wird eine Nachtprozession zur Abtei von Saint-Magloire in Paris im Jahr 1318 zur Erhebung der Reliquien des Heiligen in einen neuen Schrein. An dieser nahmen zahlreiche königliche Frauen teil, um auf dem Altar der Kirche ihre Gaben - Schmuck und Textilien - darzubringen. Die Autorin formuliert die These, dass Klementia die Prozession nutzte, um ihren unsicheren Status in den frühen Jahren ihrer Witwenschaft durch einen Akt zu festigen, der traditionellerweise als eine der Aufgaben der Königin angesehen wurde (112).
Im letzten Kapitel (126-140) wird anhand einer Karte aufgezeigt, wie einzelne in Inventar und Testament genannte Objekte im Lauf der Zeit von einem Ort und Besitzer zum anderen wanderten (127, Karte 5). So gelangte beispielsweise der Peterborough Psalter als Geschenk von Papst Johannes XXII. in den Besitz Klementias (128-129). Die Beziehungspflege erfolgte nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Familie über den Austausch von sorgfältig ausgewählten Geschenken. Die Autorin vermutet, dass die wenigen kostbaren Gegenstände, die Klementia testamentarisch an einzelne Familienmitglieder vermachte, sich meist bereits seit langem in Familienbesitz befanden und durch gezielte Weitergabe bewusst innerhalb der Familie bewahrt wurden.
Die Königin und ihr Handlungsspielraum sind schon seit Längerem Gegenstand der historischen Forschung und in diesem Kontext wurden auch Testamente ausgewertet. [1] Ebenfalls gut erforscht ist die Rolle von Königinnen als Kunstmäzeninnen und Stifterinnen im religiösen Kontext. [2] Von der kunsthistorischen Forschung hingegen wurden die Quellengattungen Testament und Inventar bislang noch kaum berücksichtigt. Neben Proctor-Tiffany legt vor allem Marguerite Keane in ihrer 2016 erschienen Monografie zu den Testamenten der französischen Königin Blanca von Navarra (gestorben 1398) einen vergleichbar starken Fokus auf die Materialität und Mobilität der Objekte aus dem Besitz der Königin. [3]
Die Studie von Proctor-Tiffany demonstriert auf exemplarische Weise, wie die beiden Quellengattungen Inventar und Testament für die kunsthistorische Forschung fruchtbar gemacht werden können und welche reichhaltigen Informationen sie für die Objektforschung (die mittelalterliche Sachkultur im Allgemeinen, Buch-, Schatz- und Textilkunst im Besonderen) bereit halten. Es zeigt sich jedoch auch, wie schwierig es ist, aus den stereotypen Angaben mehr herauszuholen als reine Beschreibungen. Indem der Fokus auf die georäumliche Geschichte der Objekte und den Aspekt des Schenkens gelegt wurde, wählte die Autorin einen gangbaren Weg. Die Beschränkung auf materielle und höfisch-repräsentative Aspekte lässt jedoch völlig außer Acht, wie religiös motiviert das Handeln des Hochadels war. Eine Prozession zu Ehren eines Heiligen mit Deponierung von kostbaren Gegenständen diente der Seelenvorsorge der teilnehmenden Personen und ist im Fall von Saint-Magloire wohl auch als Bittgang für besseres Wetter und ertragreichere Ernte zu verstehen, war doch die Versorgungslage um 1315 aufgrund langer Schlechtwetterperioden desaströs (112). Die mittelalterliche Gesellschaft war auf allen Ebenen zutiefst religiös - ein Aspekt, der in der interessanten Studie fast gänzlich fehlt.
Insgesamt ist der Band sehr ansprechend gestaltet. Basierend auf den Beschreibungen der weitgehend verlorenen Objekte werden zahlreiche ähnliche Gegenstände zur Illustration hinzugezogen und in hochwertigen Abbildungen präsentiert. Zu bedauern ist hingegen, dass die statistische Auswertung der Daten nur in wenigen Diagrammen und Karten präsentiert wird und dem Buch nicht als Anhang beigegeben wurde. Bedenkt man, dass die Zugänglichkeit von Forschungsdaten heute immer mehr zum Standard wird, wäre es wünschenswert gewesen, dass die tabellarische Auswertung der Daten, die von der Autorin in der Einleitung (6) erwähnt wird, mindestens als Link zu einem Forschungsdatenrepositorium angefügt worden wäre.
Anmerkungen:
[1] Elizabeth A.R. Brown: La mort, les testaments et les fondations de Jeanne de Navarre, reine de France (1273-1305), in: Une histoire pour un royaume. XIIe-XVe siècle, éd. p. Colette Beaune, Paris 2010, 124-141; Elizabeth A.R. Brown: Jeanne d'Évreux. Ses testaments et leur exécution, in: Le Moyen Âge 119 (2013), 57-83.
[2] Aus der Fülle an Publikationen zur Kunstpatronage von Frauen soll hier nur auf zwei jüngere Arbeiten hingewiesen werden: Tracy Chapman Hamilton: Pleasure and Politics at the Court of France. The Artistic Patronage of Queen Marie de Brabant (1260-1321), Turnhout 2019; Therese Martin (ed.): Reassessing the Roles of Women as 'Makers' of Medieval Art and Architecture (= Visualising the Middle Ages; Vol. 7), Leiden 2012.
[3] Marguerite Keane: Material Culture and Queenship in 14th-Century France. The Testament of Blanche of Navarre (1331-1398) (= Art and Material Culture in Medieval and Renaissance Europe; Vol. 5), Leiden / Boston 2016.
Mariah Proctor-Tiffany: Medieval Art in Motion. The Inventory and Gift Giving of Queen Clémence de Hongrie, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2019, XIV + 216 S., 58 Abb., 5 Kt., ISBN 978-0-271-08112-0, USD 89,95
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