Dieser aus einer 2013 abgehaltenen Tagung hervorgegangene Sammelband kombiniert geschichtswissenschaftliche Zugangsweisen mit denjenigen der Gender-Studien, Kunstgeschichte, Musikologie und der Materialitätsforschung. Die 22, zumeist recht kurzen, Beiträge werden in fünf Gruppen zusammengestellt, die den Konzepten der päpstlichen Autorität, den Repräsentanten der päpstlichen Autorität, dem Verhältnis des Papsttums zum Osten, den Kulturen der kirchlichen Autorität und Macht und schließlich den kirchlichen Gemeinschaften und kollektiver Autorität und Macht gewidmet sind. Der Herausgeber skizziert in der Einleitung die inhaltliche Orientierung des Bandes, eine Zusammenfassung gibt es nicht. Angesichts der Breite der behandelten Themen und Zugangsweisen wäre (um nicht bei Gemeinplätzen stehenzubleiben) eine Zusammenfassung mehr als ein triviales Unterfangen gewesen. Ein knapper Index beschließt den Band (407-409).
Ian S. Robinson (Privilegium Romanae Ecclesiae, 29-65) scheint bei der Literaturrecherche ein wenig nach dem berechtigten Motto Veteriora non deteriora vorgegangen zu sein. Gerade wenn er auf Pseudo-Isidor zu sprechen kommt (29-30), könnte man sich aber auch vorstellen, die Dissertation von Clara Harder oder Arbeiten von Klaus Zechiel-Eckes heranzuziehen. [1] Vom Beginn des 11. Jahrhunderts bis zu Gregor VII. zeichnet Robinson nach, auf welche, gerne bei Pseudo-Isidor entlehnten und dann deformierten, Argumente sich die Päpste stützten, um ihre Autorität abzusichern. Gegenstimmen kommen gleichfalls zu Wort.
Benedict Wiedemann (Papal Authority and Power during the Minority of Emperor Frederick II, 67-77) greift eine Beobachtung von G. Loud wieder auf, um die in der Forschung dominante, nicht zuletzt etwa von Theo Kölzer vertretene Meinung anzufechten, dass Innocenz' III. Regentschaft in Sizilien für den minderjährigen Friedrich II. mit der Eigenschaft als Lehnsherr zu begründen sei. [2] Nach einer Konfrontation der in der Literatur hauptsächlich verfochtenen Positionen geht Wiedemann auf die Briefe Innocenz' ein, "um festzustellen, was die päpstliche Kanzlei dachte, was die Grundlage der Autorität des Papstes war" (69). Die Briefe werden nach der Patrologia Latina, nicht nach der Registeredition der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verwendet. [3] Da hier mit päpstlichen Briefen des 13. Jahrhundert gearbeitet wird, wäre es m. E. vorteilhaft gewesen, die Arbeit von Tanja Broser heranzuziehen [4] : Die wechselnde Schwerpunktsetzung in päpstlichen Briefen erklärt Wiedemann mit der veränderten Situation in Süditalien. Das wäre ein interessanter Test der Broser'schen Methode; womöglich hing die geänderte Schwerpunktsetzung in päpstlichen Schreiben (auch) mit Adressat und Anlass zusammen? Wiedemann geht unausgesprochen davon aus, die päpstliche Kanzlei müsse einen Sachverhalt über mehrere Schreiben hinweg grundsätzlich und immer konsistent schildern. Zusätzlich wird auf die Gesta Innocentii III eingegangen. [5]
Rebecca Rist (The Medieal Papacy and the Concepts of Anti-Judaism and Anti-Semitism, 79-107) stellt zunächst Anti-Judaismus und Anti-Semitismus nach Langmuir vor, zu dem sie einige kritische Stimmen zitiert und selbst Kritik ergänzt. Daraufhin behandelt sie die Felder 'Sprache', 'Päpstliche Ambivalenz', 'päpstliche Haltung zu erzwungener und freiwilliger Konversion' und zum Talmud. Immer wieder wird dabei Langmuir kritisiert und geschlussfolgert, dass manche Päpste individuell als besonders anti-judaisch, also ablehnend gegenüber der jüdischen Religion zu gelten hätten. Ein Anti-Semitismus nach heutigem Verständnis, das auf Aspekten von 'Rasse' beruht, sei jedoch erst im Entstehen begriffen gewesen. Wenn diese relativ weit verbreiteten Definitionen von Anti-Judaismus und Antisemitismus verwendet werden, fragt man sich, welchen Nutzen die breite Diskussion der Langmuir'schen Definitionen hatte. Einige Lapsus sind der Korrekturlesung entfleucht, was die grammatikalische Anpassung lateinischer Zitate (90) und eine bibliographische Angabe betrifft. [6] Die ehemalige deutsche Bundeshauptstadt mag es betrüben, doch eine Diözese hatte im Mittelalter nie ihren Sitz in Bonn (99).
Laura Cleaver (The Place of the Papacy in Four Illuminated Histories from Thirteenth-Century England, 109-131), behandelt vier knapp vorgestellte Handschriften, von denen zwei als Rotulus gestaltet sind. Wenn auch nicht explizit darauf verwiesen wird, so sind zwei der vier Codices online zugänglich. [7] Alle vier Handschriften lehnen sich an das genealogische Schema Peters von Poitiers († 1205) an, das sie selbständig weiterentwickeln. Dabei fällt auf, dass die Rolle, die die jeweiligen Autoren dem Papsttum zuschreiben, unterschiedlich ausfällt. Bedauerlicherweise ist weder über die Autoren noch über die Provenienz allzuviel bekannt, so dass weitere Einordnungen und Schlussfolgerungen nicht möglich sind.
Den zweiten Teil beginnt Thomas W. Smith (The Interface between Papal Authority and Heresy: The Legates of Honorius III in Languedoc, 1216-1227, 135-144) mit einigen knappen Ausführungen, die dem Motto folgen, dass Macht Akzeptanz braucht: Wenn die Languedociens die päpstliche Autorität ablehnen, werden sie nicht die Weisungen von Legaten, den Emanationen päpstlicher Autorität in partibus, folgen. Da brauchte es dann schon die königliche Unterstützung, die man mit Gebietsabtretungen vergelten musste. Ähnlich stellen die nachfolgenden Aufsätze das Wirken der Legaten vor: Gabor Barabàs handelt über die päpstlichen Legaten in Ungarn (145-158), Philippa J. Mesiano über Magister Rostandus, der für die päpstliche Politik in Sizilien zur Zeit der Förderung des Umbruchs in England Gelder sammelte (159-170), und zuletzt Jean Dunbabin über Kardinal Gerald von Parma als Mitregent in Sizilien während der Zeit der Gefangenschaft Karls II., des zukünftigen Königs, nachdem Karl von Anjou verstorben war (171-182).
Da Matthew Ross (The Late Medieval Papal Chapel, 219-231) immer wieder auf die Zeit vor dem eigentlichen Betrachtungszeitraum, also ca. 1288-1304, rekurriert, wären Arbeiten aus Wuppertaler Feder und der Klassiker von Reinhard Elze zur päpstlichen Kapelle eine ertragreiche Abrundung der Literaturauswahl gewesen. [8] Manch ein Gedanke ist vermutlich aus der dem Artikel zu Grunde liegenden, unveröffentlichten Dissertation etwas verkürzt übernommen. Der Ausdruck der Ideale (königlicher) Macht durch Musik bleibt etwas im Dunklen (226).
Im fünften und damit letzten Großabschnitt liegt der Fokus auf der Aushandlung und dem Wettbewerb um Autorität innerhalb der Kirche, was durch fast alle möglichen Ebenen kirchlicher Hierarchie nachverfolgt wird. So werden etwa der einzelne verheiratete Geistliche in Byzanz (Maroula Perisandi: Eustathios's Life of a Married Priest and the Struggle for Authority in Twelfth-Century Byzantium, 317-327), die Versuche Nonnen in Lucca einzuschließen (Christine Meek: The Bishop, the Convent and the Community, 329-340), die Rangordnung im anglo-normannischen Episkopat (Nicolas Vincent: Shall the First Be Last?, 287-316) oder die Entscheidungsfindung an der Kurie zur Zeit des Papstes Johannes XXII. (Melanie Brunner: The Power of the Cardinals, 355-369) untersucht.
Der Band demonstriert ein weiteres Mal die Faszination nicht nur der Papst-, sondern insgesamt der Kirchengeschichte. Angesichts der wenigen Beiträge zu nicht-lateinischen Kirchen hätte der Titel des Bandes noch etwas stärker auf die Westkirche fokussiert werden können. Die Aufsatzsammlung bietet dem Leser ein Panoptikum anregender Aufsätze, die angesichts der Breite der Ansätze und behandelten Themen vermutlich von wenigen Lesern zur Gänze goutiert werden.
Anmerkungen:
[1] Clara Harder: Pseudoisidor und das Papsttum. Funktionen und Bedeutung des apostolischen Stuhls in den pseudoisidorischen Fälschungen (Papsttum im mittelalterlichen Europa; 2), Köln 2014 ; nur beispielsweise Klaus Zechiel-Eckes: Auf Pseudoisidors Spur. Versuch einen dichten Schleier zu lüften, in: Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte; 31), hg. v. Wilfried Hartmann, Gerhard Schmitz, Hannover 2002, 1-28.
[2] Graham A. Loud: The Latin Church in Norman Italy, Cambridge 2007.
[3] Zum Stand der Veröffentlichungen vgl. https://geschichtsforschung.univie.ac.at/forschung/laufende-forschungsprojekte-des-ioeg/die-edition-der-register-papst-innocenz-iii/stand-der-edition/ [21.09.2020].
[4] Tanja Broser: Der päpstlichen Briefstil im 13. Jahrhundert. Eine stilistische Analyse der Epistole et dictamina Clementis pape quarti (= Beihefte zum Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde; 17), Köln / Weimar / Wien, rezensiert in: sehepunkte 20, 10 (2020), http://www.sehepunkte.de/2020/10/34729.html [15.10.2020].
[5] Bedauerlicherweise konnte Wiedemann noch nicht auf die in Arbeit befindliche Neuedition der Gesta zugreifen. Vgl. https://www.geschichte.uni-wuppertal.de/de/forschung/forschungsprojekte/mittelalterliche-geschichte/edition-der-gesta-innocentii.html [21.09.2020].
[6] Simonsohn, Apostolic Church, anstelle von Simonsohn, Apostolic See.
[7] British Library, Cotton Roll XIV 12: http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Cotton_Roll_XIV_12, Katalogisat: http://searcharchives.bl.uk/IAMS_VU2:IAMS040-003420139 [25.09.2020]; Eton College, MS 96 : https://etonweb.etoncollege.org.uk/FlipBooks/MS96/mobile/index.html, Katalogisat : https://catalogue.etoncollege.com/B50020 [25.09.2020]. Bei Cotton Roll XIV.12 ist indes die in Abbildung 4.4 wiedergegebene Zeichnung auf der Rückseite nicht online einsehbar.
[8] Caterina Cappuccio: I suddiaconi papali nella provincia ecclesiastica di Milano (1159-1216): appunti per una ricerca, in: Rivista di Storia della Chiesa in Italia 71 (2017), 55-74, dort besonders Anm. 3 mit den weiteren Literaturhinweisen. Vgl. auch Reinhard Elze: Die päpstliche Kapelle im 12. und 13. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 36 (1950), 145-204.
Thomas W. Smith (ed.): Authority and Power in the Medieval Church. c. 1000 - c. 1500 (= Europa Sacra; Vol. 24), Turnhout: Brepols 2020, 405 S., 19 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-2-503-58529-1, EUR 100,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.