Christian Fuhrmeister hat sich in zahlreichen wissenschaftlichen Studien mit der Kunst, der Kunstgeschichte, deren Institutionen und Protagonisten in der Zeit der NS-Diktatur auseinandergesetzt und dabei einen multiperspektivischen Ansatz verfolgt. [1] Mit der im Böhlau-Verlag erschienenen Publikation "Die Abteilung 'Kunstschutz' in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936-1963" legte er 2019 einen umfangreichen, quellenbasierten Beitrag zur Fachgeschichte vor. Hier geht es ihm um die "Praxisfelder" (Fuhrmeister) der Kunsthistoriker in den 30er- bis 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, exemplarisch untersucht am Einsatzfeld "Kunstschutz" in Italien. Fuhrmeister bindet das Thema in die internationale Forschung ein, erschließt umfassend Archivalien und verweist auf Desiderate. Er geht jedoch über das reine Quellenstudium und Dokumentieren der 1990er/2000er-Jahre hinaus. Um zu "verstehen, wie der Faschismus funktioniert" forderte Martin Papenbrock schon 2008: "Wie waren die Kunsthistoriker sozial situiert, wie haben sie unter wechselnden Bedingungen und in veränderten Kontexten agiert, welche - auch konkurrierenden - Semantiken standen zur Verfügung und welche haben sie genutzt?" [2] Auch Fuhrmeister begreift "Wissenschaftler als soziale Akteure" (Papenbrock) und sieht "Werk und Person" (7) zusammen.
Voran stellt er grundsätzliche Überlegungen zu den deutsch-italienischen Beziehungen dieser Zeit. Der kulturelle Transfer zwischen beiden Ländern hat eine lange Tradition: Dürers Italienreisen, Luthers Romerlebnis oder Winckelmanns archäologische Forschungen beeinflussen bis heute den kulturellen Diskurs in Deutschland. Das faschistische Italien und Nazideutschland kooperierten, konkurrierten aber auch, wenn es um die Ausweitung des internationalen Einflusses oder die Erbeutung von Gebieten ging.
Fuhrmeister legt das Geflecht von Akteuren und NS-Strukturen, deren Beziehungen untereinander und zu den italienischen Institutionen offen: Auswärtiges Amt, Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, deutsche Kulturinstitute wie der DAAD, das Kunsthistorische Institut Florenz oder das Kaiser-Wilhelm-Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft (Bibliotheca Hertziana) vertraten eigene Interessen, waren aber auch institutionell vernetzt. Ab 1943, mit der Besetzung Nord- und Mittelitaliens, wurde der dem Militär unterstellte "Kunstschutz" tätig und damit auch auf diesem Gebiet deutsche Kunsthistoriker und andere Geisteswissenschaftler. Ausführlich beschreibt Christian Fuhrmeister den Kontext und vergleicht den "Kunstschutz" in Italien mit dem in anderen besetzten Ländern (123 ff.). Für Serbien konstatiert er, dass die "wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit [...] streng genommen zum bloßen Vorwand" wurde und die Wissenschaft "untrennbar mit hegemonialen Vorstellungen von einer Neuordnung Europas unter nationalsozialistischer Führung verbunden" war und diesen Vorstellungen zuarbeitete, indem sie "eine historisch fundierte Legitimation für imperialistische Expansionsbestrebungen" lieferte (145).
Die NS-geprägte Fachwissenschaft konstruierte eine eigene, eine "arische" Kunstgeschichte und kreierte Entwicklungslinien, Traditionen und Vorbilder. Publikumswirksam zeigten das u.a. die Festumzüge zum "Tag der Deutschen Kunst". [3] Vereinnahmt wurden auch italienische Werke. Daran anknüpfend sah der nationalsozialistische "Kunstschutz" viele der italienischen Denkmäler und Kunstgüter als eigenes kulturelles Erbe an und trat für deren Dokumentation und Sicherung ein, ohne allerdings, wie Fuhrmeister belegt, die Gelegenheit zu ungenehmigten wissenschaftlichen Zugriffen außer Acht zu lassen oder zweifelhaften Verlagerungen - bis hin zum Raub - Vorschub zu leisten. Dabei stellte Fuhrmeister auch für Italien ein Konkurrieren der NS-Institutionen und -Organisationen fest (u.a. 243). Das ist dem "Führerprinzip" immanent, denn es gebiert auf einer niederen Ebene viele kleine Führer, die partikulare Interessen vertreten, in Italien noch begünstigt durch die Auflösungstendenzen aufgrund der zunehmenden Kampfhandlungen.
Christian Fuhrmeister zeigt, über die Daten und Fakten hinaus, die Zwänge und Handlungsspielräume der Akteure auf. Ausführlich beschreibt er die Handlungsprofile von Hans Gerhard Evers (221 ff.) und Ludwig Heinrich Heydenreich (229 ff., 265 ff.). Heydenreich, der 1946 zum Gründungsdirektor des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte berufen wurde, leitete 1943-1945 das Kunsthistorische Institut in Florenz und war in dieser Zeit auch am "Kunstschutz" beteiligt. Fuhrmeister zeichnet ebenso die Karriere von Erika Hanfstaengl nach (281 ff.): vom Studium der Kunstgeschichte und der Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen, über die Mitarbeit beim "Kunstschutz" in Italien bis hin zur Kuratorin am CCP München. Von 1947 bis 1956 leitete sie die Photothek des ZI München. Franz Graf Wolff-Metternich war von 1928 bis 1950 Provinzialkonservator der Rheinprovinz, von 1940-1942 beaufsichtigte er den "Kunstschutz" in Frankreich, anschließend bereitete er den Einsatz in Italien vor (153 ff.). Dorthin kehrte er 1953 als Direktor der Bibliotheca Hertziana zurück.
Gerade diese Kontinuitäten sind aufschlussreich. Dabei bemüht sich Fuhrmeister um eine quellenbasierte Differenzierung. Doch die Forschung zum Nationalsozialismus wird immer wieder auf die existenziellen Fragen zurückgeworfen. Wie verhält sich ein Wissenschaftler in autokratischen Strukturen? Welche individuellen Handlungsspielräume gibt es? 1945, vor den Spruchkammern, trug das Argument von der ideologiefreien Wissenschaft oft noch. Doch kann man in einer Diktatur Karriere machen und unschuldig bleiben?
Christian Fuhrmeisters Publikation ist die überarbeitete Fassung seiner Habilitationsschrift von 2012. Das ausführliche Register erleichtert auch im Nachhinein das Auffinden relevanter Stellen. Die Publikation ist Band 1 der von ihm zusammen mit Magdalena Bushart herausgegebenen Reihe "Brüche und Kontinuitäten. Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus", in der inzwischen sechs Bände erschienen sind, darunter auch ein Band, der sich Franz Graf Wolff-Metternich widmet.
Anmerkungen:
[1] Zuletzt erschienen u.a.: Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mayr / Felix Steffan (Hgg.): Vermacht, verfallen, verdrängt - Kunst und Nationalsozialismus: die Sammlung der Städtischen Galerie Rosenheim in der Zeit des Nationalsozialismus und in den Nachkriegsjahren. Petersberg 2017; Warum sind Ausstellungen zur Kunst im Nationalsozialismus wichtig?, in: Zwischen Ideologie, Anpassung und Verfolgung. Kunst und Nationalsozialismus in Tirol, hg. von Wolfgang Meighörner, Innsbruck 2018, 11-14.
[2] Martin Papenbrock: Anmerkungen zur Geschichte und Methodik der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Kunstgeschichte im "Dritten Reich". Theorien, Methoden, Praktiken, hgg. von Ruth Heftrig / Olaf Peters / Barbara Schellewald, Berlin 2008, 25-38, Zitat 38.
[3] Vgl. Stefan Schweizer: "Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben". Nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Festumzügen zum "Tag der Deutschen Kunst", Göttingen 2007.
Christian Fuhrmeister: Die Abteilung »Kunstschutz« in Italien. Kunstgeschichte, Politik und Propaganda 1936-1963 (= Brüche und Kontinuitäten; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2019, 413 S., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22404-2, EUR 55,00
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