Der sogenannte Rimini-Altar ist nicht nur eines der bedeutendsten spätmittelalterlichen Alabasterwerke, sondern auch eines der wichtigsten Exponate des Liebighauses. Der um 1430 entstandene Altar ist das qualitätsvollste Werk eines Künstlers, der in der Kunstgeschichte unter dem Notnamen Rimini-Meister bekannt ist. Diese Bezeichnung hängt mit dem letzten Aufstellungskontext des Rimini-Altars zusammen. So befand sich das Ensemble einst in der Kirche Santa Maria delle Grazie in Rimini-Covignano. Der Altar zeigt im Zentrum einen Volkreichen Kalvarienberg, der seitlich von je sechs Aposteln flankiert wird.
Vor dem Hintergrund, dass das Material Alabaster in der kunsthistorischen Forschung seit dem letzten Jahrzehnt ungebrochene Aufmerksamkeit erfährt [1], ist es wenig überraschend, dass in eben dieser Zeit der Entschluss gefasst wurde, den Rimini-Altar aufwendig zu restaurieren. In diesem Kontext wurde auch ein in den 1970er-Jahren realisierter Eingriff am Objekt kritisch hinterfragt. Sowohl aus restauratorischer als auch aus kunsthistorischer Perspektive sprachen gewichtige Gründe dafür, den Zustand wiederherzustellen, den der Altar zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Sammlung hatte. Seit November 2021 ist das Resultat dieses mehrjährigen Projektes nun in der Ausstellung Mission Rimini zu sehen.
Der begleitende, reich bebilderte Ausstellungskatalog "Mission Rimini. Material. Geschichte. Restaurierung. Der Rimini-Altar", herausgegeben von Stefan Roller und Harald Theiss, beleuchtet nicht nur den Prozess der Restaurierung, sondern auch das Material und den Künstler. Der Band unterteilt sich in einen kunsthistorischen und einen kunsttechnologischen Teil, die einander sehr gut ergänzen und ein umfassendes Bild des Altars und des verwendeten Materials bieten.
Im einleitenden Beitrag legt Iris Schmeisser die besondere Bedeutung des Rimini-Altars für das Liebighaus und die Stadt Frankfurt dar. So war der Ankauf im Jahre 1913 durchaus ein Wagnis, da Alabasterskulpturen in deutschen Sammlungen kaum vertreten waren. Hinzu kam ein enormer finanzieller Aufwand, der von der Stadt Frankfurt getragen wurde.
Der Aufsatz von Stefan Roller rückt sodann den Altar und seinen Meister in den Mittelpunkt, dessen Erforschung aufgrund der schwierigen Quellenlage nach wie vor eine Herausforderung darstellt. Roller bietet einen versierten Überblick weiterer Kunstwerke des Rimini-Meisters, seiner Werkstatt und seines Umkreises. Hierbei ist insbesondere die Erschließung bislang unbekannter Arbeiten hervorzuheben, welche die Grundlage für neue Forschungsfragen zu dieser bedeutenden spätmittelalterlichen Werkstatt bilden. Zuletzt wird die Frage nach der Herkunft des Rimini-Meisters erörtert, welche die Forschung seit jeher beschäftigt und die es, nachdem die Herkunft des verwendeten Materials bestimmt werden konnte (siehe unten), erneut zu diskutieren gilt. Die stilkritische Einordnung und die Materialherkunft sind widersprüchlich: Erstere führt nach Flandern, das Material dagegen nach Franken. Rollers Thesenbildung fußt auf einer stilkritischen Betrachtung, die mit einer Einbettung in den historischen Kontext sowie Bestandsaufnahmen untermauert wird. Die Tatsache, dass aus dieser Zeit nur wenige Alabasterskulpturen aus dem bedeutenden Handels- und Kunstzentrum Nürnberg bekannt sind, lässt Roller zufolge die Verortung der Werkstatt nach Franken weniger plausibel erscheinen. Für Roller ist der Künstler noch immer in Brügge anzusiedeln. [2] Zuletzt wird eine überzeugende Rekonstruktion der ursprünglichen Rahmung des Altars vorgelegt, die eine gelungene Neupräsentation im musealen Kontext ermöglichte.
Auch der anschließende Aufsatz von Joannes van den Maagdenberg befasst sich mit der Herkunft des Rimini-Meisters. Van den Maagdenberg hinterfragt die These von Kim Woods, der zufolge der Meister mit dem in Brügge ansässigen Künstler Gilles le Blackere zu identifizieren ist. Das Hauptargument von Woods war die Bezeichnung in einer Quelle als tailleur d'imaiges d'albastre, die ungewöhnlich ist, da diese Spezifizierung nur äußerst selten auftaucht. Sie würde sich gut in das Bild der Rimini-Werkstatt einfügen, aus der ausschließlich Alabasterwerke bekannt sind. Überzeugend kann van den Maagdenberg zeigen, dass die Publikationen aus dem 19. Jahrhundert, auf die Woods zurückgriff, wenig zuverlässig sind. Sie enthalten Ergänzungen, wohingegen im Originaldokument die verallgemeinernde Bezeichnung als tailleur d'imaiges zu finden ist. Stilistische Vergleiche sind mangels erhaltener Werke ebenso wenig ergiebig. Die Frage der Identifikation ist demnach erneut offen.
Die Überleitung zum kunsttechnologischen Teil bildet der Beitrag von Wolfram Kloppmann, der die Ergebnisse der isotopischen Untersuchung des verwendeten Materials mit seiner Zuordnung nach Franken präsentiert. Der Geochemiker ist vorsichtiger, was die Schlussfolgerungen betrifft. Kloppmann hält sowohl eine Herkunft des Künstlers aus Franken als auch aus Flandern für möglich.
Der Beitrag von Miguel Gonzáles de Quevedo Ibáñez, Thomas Hildenbrand und Harald Theiss nimmt Alabaster als Material für die Bildhauerei in den Blick. Der Herstellungsprozess des Rimini-Altars wird anhand eines Experiments nachvollzogen, das eine möglichst detailgetreue Reproduktion der Apostelstatuette des hl. Paulus zum Ziel hat. Während bisherige Publikationen zumeist lediglich die einfache Bearbeitung des Materials betonen, die es sowohl für einen Holz- als auch einen Steinbildhauer attraktiv machten, beleuchtet das Experiment erstmals die einzelnen Arbeitsschritte. Hierbei werden auch Schwierigkeiten offenkundig: Die extreme Empfindlichkeit führt etwa dazu, dass nur besonders qualitätsvoller Alabaster überhaupt bearbeitet werden kann. Auch im Hinblick auf den vermeintlich geringen Kostenfaktor, der in der kunsthistorischen Forschung gerne als Argument für die bevorzugte Verwendung des Materials angeführt wird, ist das Experiment aufschlussreich: Große Alabasterblöcke sind äußerst selten, was sich auf die Kosten ausgewirkt haben dürfte. Des Weiteren werden die Materialeigenschaften und die Polychromie behandelt. Die Autoren legen überzeugend dar, dass die oftmals schlechten Erhaltungszustände teils zu Fehleinschätzungen der Qualität der Objekte führen. Dank der Untersuchung der Folgen von äußeren Einflüssen wird anschaulich, welcher Verlust der ursprünglichen ästhetischen Wirkung einkalkuliert werden muss.
Der abschließende Aufsatz von Gonzáles de Quevedo Ibáñez und Theiss behandelt die Restaurierung des Altars. Es galt nicht nur, den folgenreichen Eingriff der 1970er-Jahre, die Verlängerung des Kreuzes, rückgängig zu machen, sondern auch eine flächendeckende Reinigung durchzuführen. Aufschlussreich werden die Folgen gängiger Restaurierungsmaßnahmen dargestellt, die einen zusätzlichen Substanzverlust verursachen. Im Kontext der Restaurierung des Rimini-Altars entwickelte das Team ein gänzlich neues Verfahren, das schonend und effektiv zugleich Verschmutzungen entfernt. Der Einsatz von Laser in Kombination mit calciumsulfatgesättigten Agar-Kompressen ermöglicht eine Wiederherstellung der ursprünglichen Materialwirkung.
Der Ausstellungskatalog bietet sowohl für die kunsthistorische als auch für die kunsttechnologische Forschung wesentliche neue Ansätze. Hervorzuheben ist, dass zur Frage nach der Herkunft des Rimini-Meisters unterschiedliche Positionen nebeneinandergestellt werden, sodass sich die Leserin oder der Leser ein umfassendes Bild machen und letztlich eine eigene Meinung bilden kann. Ganz gleich in welcher Stadt der Rimini-Meister und seine Werkstatt zu verorten sind, wird offenkundig, dass es sich um eine weitreichende Organisation handelte, die zahlreiche Alabasterskulpturen hergestellt und exportiert hat. Alabaster scheint demzufolge um 1400 in der Bildhauerei als Material für die serielle Produktion entdeckt worden zu sein. Nicht nur in England wurden Alabasterskulpturen seriell hergestellt und europaweit exportiert, sondern auch auf dem Kontinent bildeten sich Werkstätten und Zentren heraus. Darüber hinaus demonstriert das Projekt, dass die Integration von restauratorischen und geochemischen Befunden in kunsthistorischen Analysen zu neuen Erkenntnissen führen kann und daher unbedingt berücksichtigt werden sollte. Die Entwicklung des neuen Reinigungsverfahrens dürfte in Zukunft verhindern, dass weitere Alabasterwerke im Rahmen notwendiger Restaurierungsmaßnahmen Schaden nehmen. Dank der überzeugenden Rekonstruktion des ursprünglichen Altarretabels kann der Rimini-Altar nun in neuem Gehäuse und altem Glanz betrachtet werden.
Anmerkungen:
[1] Es sei nur auf eine Auswahl verwiesen: Aleksandra Lipińska: Moving Sculptures. Southern Netherlandish Alabasters from the 16th to 17th Centuries in Central and Northern Europe, Leiden / Boston 2014 (Studies in Netherlandish Art and Culture; 11); Zuleika Murat (ed.): English Alabaster Carvings and their Cultural Contexts, Woodbridge 2019; Kim Woods: Cut in Alabaster. A Material of Sculpture and its European Traditions 1330-1530, London / Turnhout 2018 (Distinguished Contributions to the Study of the Arts in the Burgundian Netherlands; 3).
[2] Vgl. hierzu auch die Hypothese von Kim Woods, zuletzt Woods 2018, 119-121.
Stefan Roller / Harald Theiss (Hgg.): Mission Rimini. Material, Geschichte, Restaurierung. Der Rimini-Altar, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2021, 300 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-422-98672-5, EUR 49,90
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