sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8

Stefan Riedel: Die Basileia von Alexandria

Die Forschung zu Palästen und Residenzen der hellenistischen Könige erfuhr gegen Ende des 20. Jahrhunderts neue Impulse. Sie lassen sich nicht nur an der konzisen Zusammenstellung von Inge Nielsen ersehen, sondern auch an der intensiven Ausgrabungstätigkeit, vor allem in Vergina, Pella, Demetrias und Pergamon - wo es eben möglich war. [1] Demgegenüber stellt sich die Situation für die Basileia in der ptolemäischen Hauptstadt Alexandreia deutlich schlechter dar, die auf drei Quellengruppen basiert: Einmal die punktuellen Ausgrabungsbefunde, die sich in aller Regel mindestens sieben Meter unter dem aktuellen Stadtniveau befinden, dann die Ergebnisse der unterwasserarchäologischen Untersuchungen und schließlich die reichhaltige literarische Überlieferung, vor allem Strabons Beschreibung im 17. Buch seiner Geographika - letztlich eine heterogene Gemengelage. Betrachtet man demgegenüber die Bedeutung der Hauptstadt, wie sie z.B. aus dem monumentalen Standardwerk von Peter M. Fraser deutlich wird [2], tritt das Missverhältnis zutage - umso mehr, als keine Synthese für das alexandrinische Königsviertel vorliegt, die das Material zusammenhängend zu interpretieren versucht. Dieses Desiderat zu beheben hat sich Stefan Riedel in seiner systematisch angelegten und reich ausgestatteten Arbeit, ursprünglich eine Bochumer Dissertation, vorgenommen.

Im ersten Abschnitt über "Zielsetzung und Methodik" (1-17) entfaltet Riedel seinen Untersuchungsgang und nimmt auf die lange Forschungsgeschichte Bezug. Für ihn sind jenseits der Befunde gerade terminologische und ideologisch-politische Aspekte wichtig. Manches lässt sich durch Vergleiche mit anderen Palastanlagen, z.B. Syrakus, interpretieren, etwa die Frage, von welchem Bestand an Bauten überhaupt auszugehen ist. Dabei wird deutlich, dass Riedel im Umgang mit der literarischen Überlieferung und mit theoretischen Überlegungen (zu Hofforschung und Architektursoziologie) versiert ist, auch wenn man zeitliche Entwicklungen im Charakter des ptolemäischen Königtums stärker machen könnte. Jedenfalls geht Riedel von "der methodischen Grundlage politischer Architektur als Kommunikationsmedium" (16) aus und untersucht unter dieser Prämisse die einzelnen Elemente der alexandrinischen Basileia. Damit gelingt ein überzeugender "Einblick in die architektonische Gestalt des ptolemäischen Königsviertels", ebenso "eine Beurteilung der Basileia im Kontext der ptolemäischen Königsideologie". (17)

Die Grundlagenarbeit wird im Kapitel "Alexandria - Historische Entwicklung, Forschungsgeschichte und Quellenlage" (19-61) vertieft: Riedel behandelt hierbei - auch unter Einbeziehung ägyptischen Quellenmaterials und der wichtigsten griechischen Schriftquellen - etliche Forschungskontroversen, z.B. um die Vorgängersiedlung Rhakotis, die eher unwahrscheinliche Planung einer Palastanlage Alexanders des Großen sowie den Gebäudebestand überhaupt. Hierbei wird bereits deutlich, wie "nahezu ungestört" die bauliche Entwicklung verlief (34). Riedel nimmt aber auch die römische, arabische und osmanische Stadtentwicklung einschließlich der Forschungsgeschichte und Grabungstätigkeit bis in die Gegenwart in den Blick. Sie sind wissenschaftsgeschichtlich aufschlussreich und vermitteln Einblicke in temporär gewonnene Befunde.

Im Kapitel "Erfahrungshorizonte der Ptolemäer - Mögliche Vorbilder und Einflüsse auf die ptolemäische Königsideologie und die Basileia von Alexandria" (63-121) wird der griechisch-makedonische, der achaimenidische und der pharaonisch-ägyptische Hintergrund ausgeleuchtet. Riedel analysiert dafür die ergrabenen Palastbefunde und bekannte Staatsutopien, arbeitet dann die Merkmale des jeweiligen Kulturkreises heraus. [3] Dadurch ergeben sich signifikante Unterschiede etwa in der Lage, der fortifikatorischen Abgrenzung, der Monumentalisierung oder des inneren Aufbaus; Besonderheiten wie das ägyptische 'Erscheinungsfenster' lassen sich so einordnen. Gerade der Zusammenhang zwischen dem Konzept einer Monarchie und deren konkreter Umsetzung in die Form eines Palastes tritt klar hervor.

Kernstück der Arbeit stellt das Kapitel "Die Basileia von Alexandria" (123-323) dar, in dem eine Annäherung an die teils strittige Lokalisierung der Basileia innerhalb der Stadt versucht und ein archäologischer Kommentar zu den Monumenten vorgelegt wird. Riedel folgt einem festen Schema, insofern er die Schriftquellen präsentiert, die architektonische Gestalt und die Lokalisierung des Monuments innerhalb der Basileia diskutiert, ebenso Funktion und Einbindung in die Urbanistik des Palastareals, und zwar unter Einbeziehung weiterer Befunde aus anderen Kontexten. Riedel befindet sich stets auf der Höhe der Detailforschung, etwa im Falle des zoologischen Gartens und weiterer Parkanlagen (195-208).

Riedel fasst seine Beobachtungen in "Die Basileia von Alexandria im Spannungsfeld urbanistischer und architektonischer Strömungen - Einflüsse und Vorbildcharakter" (325-339) zusammen und entwickelt sie weiter; Abb. 164 bietet eine gute Orientierung: Indem Riedel die Hofgesellschaft und die Polis Alexandreia in seine Überlegungen mit einbezieht, tangiert er zentrale Aspekt, etwa das Verhältnis von innerem zu äußerem Hof. Ein wichtiges Ergebnis für das urbanistische Konzept betrifft die Einbeziehung ägyptischer Elemente, deren Verschmelzung mit griechisch-makedonischen Elementen als nicht signifikant für die Basileia erachtet werden, wenngleich sich ptolemäische Ausprägungen in der "bewussten Aneignung unterschiedlicher Konzepte" (338) nachweisen lassen. Dies muss berücksichtigt werden, wenn Alexandreia selbst als Modell für andere Paläste angesehen wird.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (341-376) und ein überaus nützlicher, nach Regionen gegliederter Fundstellenkatalog (377-428) runden die Arbeit ab. Eine englische Zusammenfassung (429-440) und ein ausführlicher Index (441-454) mit Orten, Namen und Sachen sowie antiken Autoren und Quellenstellen erleichtern die Benutzung. Riedel hat eine Studie vorgelegt, die souverän eine Forschungslücke schließt. Sie wird für die weitere Beschäftigung mit der ptolemäischen Hauptstadt und dem Königsviertel einschlägig sein. Ihr Nutzen besteht in der Aufbereitung des Materials als Nachschlagewerk und in der engen Verknüpfung mit Ideologie und Politik des Ptolemäerreiches.


Anmerkungen:

[1] Inge Nielsen: Hellenistic Palaces. Tradition and Renewal, Aarhus 1994. Weiterführende Hinweise zu anderen Orten bei Gregor Weber: Religion an den Höfen der hellenistischen Könige. Herrscherkulte, Dynastiekulte und Schutzgottheiten - eine Spurensuche, in: Macht Sprache Herrschaft? Konstruktionen von Machtbeziehungen im hellenistischen Osten, hgg. von Sebastian Blaschek / Gunnar R. Dumke, erscheint 2023.

[2] Peter M. Fraser: Ptolemaic Alexandria, 3 Bde., Oxford 1972.

[3] Hilfreich sind die Pläne der verschiedenen Paläste, bei denen Riedel nicht aktueller sein kann als die Publikationslage es hergibt, da z.B. die neuen Grabungen in Vergina oder Pella noch nicht publiziert sind. Nicht berücksichtigt werden konnte die Monographie von Francesco M. Ferrara: Basileus e Basileia. Forme e luoghi della regalità macedone, Rom 2020. Weiterführend für den Vergleich mit lokalen Einflüssen wäre Winfried Held: Die Residenzstädte der Seleukiden, in: Jahrbuch des deutschen archäologischen Instituts 117, 2002, 217-250.

Rezension über:

Stefan Riedel: Die Basileia von Alexandria. Topographisch-urbanistische Untersuchungen zum ptolemäischen Königsviertel (= Studies in Classical Archaeology; Vol. 9), Turnhout: Brepols 2020, XX + 454 S., 192 Abb., ISBN 978-2-503-58742-4, EUR 130,00

Rezension von:
Gregor Weber
Universität Augsburg
Empfohlene Zitierweise:
Gregor Weber: Rezension von: Stefan Riedel: Die Basileia von Alexandria. Topographisch-urbanistische Untersuchungen zum ptolemäischen Königsviertel, Turnhout: Brepols 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de/2022/07/35220.html


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