Die vorliegende Monographie behandelt mit Eleonore von Aragon, Tochter König Ferdinands I. von Neapel (1424-1494) und seit ihrer Hochzeit mit Ercole I. d'Este 1473 Herzogin von Ferrara, eine Fürstin, die im Italien der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Figur von hoher politischer Relevanz darstellte. Bereits in einem Vorwort würdigt Isabella Lazzarini nicht nur den Wert des Werks als biographische Studie, sondern auch als wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Macht ("storia del potere", 10) in Italien und im Europa des 15. Jahrhunderts. Die Macht als zentrale Analysekategorie wird von der Autorin in der Einführung zwar nicht eindeutig definiert, doch wird deutlich gemacht, dass darunter die aktive Teilhabe an Regierungshandlungen verstanden wird. Im Falle Eleonores habe sich diese nicht nur auf informellem Weg oder in Form einer Statthalter- bzw. Regentschaft vollzogen, sondern durch eine partnerschaftliche Ausübung der Herrschaft: "Un potere, dunque, condiviso [...] e costruito in relazione a tutti i membri della dinastia" (18).
Methodisch wird dabei mit dem Briefwesen eine Quellengattung ins Zentrum gerückt, die im 15. Jahrhundert einen quantitativen und qualitativen Entwicklungssprung vollzog. Wie viel unerforschtes Material noch immer in den Archiven lagert, macht eine im Anhang beigefügte Auflistung aller Briefe Eleonores an ihren Ehemann deutlich: Allein diese Briefe bilden ein Corpus von 592 Episteln! Der Ansatz, Briefe als ein politisches Medium zu betrachten, folgt jüngeren Forschungsergebnissen. [1] Die Korrespondenz Eleonores wird nach Kategorien untersucht, die klassische Felder der Kulturgeschichte des Politischen darstellen: Ausbildung, Vermittlung von Heiratsverbindungen, Rechtsprechung und Finanzen, Beziehung zu den Untertanen in Krisensituationen, kurz: "una storia che potremmo dire 'globale', dove la presenza femminile rappresenta 'l'altra voce'" (22). Auch damit folgt Prisco der jüngeren Forschung, die bei der Untersuchung von Fürstinnen vermehrt soziale Praktiken und kulturelle Strukturen in den Blick nimmt. [2]
Im ersten, relativ knapp gehaltenen Abschnitt (25-43), werden Kindheit und Ausbildung Eleonores behandelt. Mit Nachdruck wird deutlich gemacht, dass ihre Erziehung von Anfang an darauf ausgelegt war, sie zur Übernahme von Regierungsverantwortung zu befähigen (39). Als wesentliche Faktoren werden das Vorbild von Eleonores Mutter, Isabella von Chiaromonte, sowie die Beherrschung schriftlicher Kommunikation betont.
Das zweite Kapitel (45-80) nimmt die komplexen diplomatischen Konstellationen zwischen den politischen Mächten der italienischen Halbinsel in den Blick, die 1472 zur Auflösung der Verlobung Eleonores mit dem mailändischen Fürstensohn Sforza Maria Sforza und im Zuge einer Verständigung zwischen dem Königreich Neapel und dem Herzogtum Ferrara 1473 zur Ehe zwischen ihr und Herzog Ercole I. d'Este führten. Hier wären Stammbäume hilfreich gewesen - der Leser kann jedoch auf ein ausführliches Register zurückgreifen.
Den Kern des Buches bildet jedoch das dritte Kapitel, das das politische Wirken Eleonores als Herzogin von Ferrara untersucht und entsprechend großen Raum einnimmt (81-209). Hier werden die politischen Handlungsfelder Eleonores aufgezeigt und analysiert. Als wesentliches Ereignis wird dabei der Krieg von Ferrara (1482-1484) ausgemacht, der zwischen Ferrara und Neapel einerseits und dem Papsttum und Venedig andererseits geführt wurde. In diesen Jahren übte Eleonore in Abwesenheit des Herzogs als Regentin die Regierungsgeschäfte aus. Wie die überlieferten Briefe zeigen, spielte die Herzogin in vielen Bereichen eine wesentliche Rolle in der internen Verwaltung (Rechtsprechung, Finanzen), der Aufrechterhaltung der Beziehung zwischen Fürst und Volk sowie der Organisation der Kriegslogistik. Auch in Anwesenheit des Herzogs übte sie eine bemerkenswerte Autonomie in politischen Entscheidungen aus (176). Damit bestätigt Eleonore das Bild der jüngeren Forschung, die weitreichende politische Handlungsspielräume von Fürstinnen nicht als Ausnahme, sondern als die Regel ansieht.
Obwohl die Briefe sich somit als ergiebige Quelle erweisen und die Zitate daraus großen Raum einnehmen, sucht man ein eigenes Kapitel über Materialität, Aufbau, Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten dieser so vielfältigen Quellengattung jedoch vergebens. Das Potential einer brieftheoretischen Auswertung wird mehrmals angedeutet: Von einem "dialogo codificato" (43), einem "linguaggio fammiliare" (192) und einem "registro particolarmente intriso di oralità" (86) wird gesprochen, ohne dass eingehende Analysen folgen. Mehrere Briefe Eleonores seien zudem eigenhändig, manu propria, verfasst worden (86), ebenso wie vier Briefe Ferdinands I. an seine Tochter, die sich in der Anrede von den Kanzleibriefen unterscheiden würden (217). Eine Einordnung in die internationale Forschung zum spätmittelalterlichen Briefwesen fehlt: Wenn in Briefen Emotionalität, Sehnsucht nach dem Briefpartner oder die eigene prekäre Lage betont werden (87, 98f.), erinnert das z.B. an die von Julian Holzapfl ausgemachten Formulierungskonventionen in Fürstinnenbriefen. [3]
Wie ergiebig diese Ansätze sein können, wird im abschließenden vierten Kapitel (211-235) demonstriert, wo auf Basis des Briefwechsels Eleonores mit ihrem Vater Ferdinand I. von Neapel und anderen Quellen (z.B. den Eleonore gewidmeten Memoriali Diomede Carafas) die Grundprinzipien der Ideologie der königlichen Dynastie Neapel-Aragón herausgearbeitet werden. Als zentrale Instrumente der eigenen Legitimation erscheinen dabei die Konzepte der Abstammung (sangue) und Tugend (virtù) - letztere besteht im Fall Eleonores vornehmlich aus der Tugend der Umsicht (prudenza), welche allem Regierungshandeln zugrunde liegen sollte ("La sapienza del governare veniva così a identificarsi con la prudenza", 234). Außerdem wird in den Briefen das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer königlichen Dynastie deutlich. Bereits in den vorherigen Kapiteln wurde die zentrale Bedeutung des Rangbewusstseins betont, das alle Mitglieder der Dynastie miteinschloss (z.B. symbolische Gesten und Repräsentation (87) oder der Umstand, dass Eleonore bis zu ihrem 24. Lebensjahr am elterlichen Hof lebte (38)). Auch nach der Übersiedlung nach Ferrara empfing Eleonore weiterhin Ratschläge ihres Vaters.
Die Kritikpunkte ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die Autorin mit ihrer Studie einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der politischen Handlungsspielräume spätmittelalterlicher Fürstinnen vorgelegt hat. Gerade das Medium des Briefes, in dem persönliche und politische Aspekte eine eigentümliche Symbiose bilden, erweist sich dabei als unschätzbare und in vielen Fällen noch unerschlossene Quelle, um die Vorstellungshorizonte der handelnden Akteure zu erfassen. So ist die Monographie nicht nur als biographisches Werk von hoher Relevanz, sondern kann auch künftigen Forschungen wertvolle Impulse liefern.
Anmerkungen:
[1] z. B. Bruno Dumézil / Laurent Vissière (Hgg.): Épistolaire politique. 1: Gouverner par les lettres (Cultures et civilisations médiévales; 62), Paris 2014.
[2] Klaus Oschema / Peter Rückert / Anja Thaller (Hgg.): Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches, Stuttgart 2022.
[3] Julian Holzapfl: Fürstenkorrespondenz, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung; 15/III), hg. von Werner Paravicini, Ostfildern 2007, 299-328.
Valentina Prisco: Eleonora dAragona. Pratiche di potere e modelli culturali nell'Italia del Rinascimento (= I libri di Viella; 434), Roma: Viella 2022, 292 S., ISBN 978-88-3313-995-1 , EUR 29,00
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