Das numismatische Mammutprojekt 'Roman Provincial Coinage' [1] hat im Verlauf der letzten Jahrzehnte eine enorme Materialmenge standardisiert erfasst und einfach zugänglich gemacht. Weiterhin stellen allerdings Studien, die sich detailliert mit der monetären Produktion eines einzelnen Gemeinwesens auseinandersetzen, den fruchtbarsten Weg zu einer umfassenden historischen Kontextualisierung und Auswertung der Münzprägung einer Stadt dar. Eine eindrucksvolle Bestätigung dessen stellt Julius Rochs Dissertation über die kaiserzeitliche Münzprägung Milets dar, mit welcher er zudem eine langjährige numismatische Forschungslücke schließt.
Grundlage der Arbeit bildet ein 198 Münztypen und 897 Exemplare umfassender Katalog, in dem auch die Stempel der Vorder- und Rückseiten notiert sind. Wie der Verfasser in der Einleitung (1-10) darlegt, untersucht seine Studie vor allem die Ikonographie der Münzen, um Aufschluss über die Orientierung Milets im Principat im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu erhalten. Dabei richtet sich sein Fokus besonders auf die Auseinandersetzung der Stadt mit dem Kaiserhaus und den römischen Institutionen. Vor dem Hintergrund der Forschungsgeschichte zielt Rochs Arbeit nicht zuletzt auch auf eine Neubewertung der - vermeintlich untergeordneten [2] - Rolle Milets in der Kaiserzeit.
Die Beschäftigung mit der Münzprägung Milets im Principat setzt die Kenntnis der Geschichte der Polis und ihres extraurbanen Apollonheiligtums in Didyma sowie - besonders auch im Hinblick auf den Übergang zwischen Hellenismus und Kaiserzeit - der Münzproduktion der Stadt in den vergangenen Jahrhunderten voraus. Beiden Themenkomplexen widmet der Autor folgerichtig ein zusammenfassendes Kapitel (11-39).
Im anschließenden Hauptteil der Arbeit bespricht Roch zunächst die chronologische Entwicklung des Nominalsystems der kaiserzeitlichen Münzprägung Milets (41-48): Anhand des durchschnittlichen Durchmessers der Münztypen lassen sich acht Nominale unterscheiden. Während eine Prägeserie meist nur ein oder zwei Münznominale umfasste, zeigt sich eine zunehmende Ausweitung des Nominalsystems. Fundmünzen bezeugen ferner die regionale Zirkulation milesischen Geldes, wobei der Autor eine bemerkenswerte - zumindest theoretische - Kompatibilität mit Nominalstrukturen anderer Poleis feststellt. Sodann erläutert Roch die Einbettung der Münzproduktion in die städtische Verwaltung und Politik (48-56). Ein prosopographischer Überblick zu den für die Münzprägung verantwortlichen Magistraten weist sie als Angehörige der lokalen Elite aus, die als Mitglieder des beschlussfassenden Rats der Stadt im Wesentlichen auch die Wahl der Bildthemen bestimmten.
Anschließend diskutiert der Verfasser kurz die Vorderseiten (56-61), wobei er auch die einzige Prägung Milets ohne kaiserliches Porträt thematisiert und anhand von neu erkannten Stempelkoppelungen die Beobachtungen Konrad Krafts [3] ergänzen kann. Die Rückseiten behandelt Roch in neun thematischen Gruppen (61-135). Die einzelnen Typen werden dabei stets vor dem Hintergrund ihres Prägekontextes, im Vergleich mit Münzen anderer kleinasiatischer Städte und unter Einbeziehung sämtlicher zur Verfügung stehender Quellen - wie etwa Inschriften, Skulpturen oder Schriftquellen - analysiert. Aus der Fülle der so gewonnenen Einzelergebnisse seien hier einige besonders signifikante Erkenntnisse herausgegriffen: Ausgehend von den relevanten Münztypen gelingt Roch eine plausible Rekonstruktion der Neokorien Milets (61-67), in der er unter anderem überzeugend gegen eine Aberkennung des unter Caligula erstmals an die Stadt verliehenen Vorrechts auf die Einrichtung und Pflege eines regionalen Kaiserkults argumentiert. Aufmerksamkeit verdient auch die singuläre Parallelisierung von Apollon mit Caligula auf einem Münztyp, der offenbar deren Kultgemeinschaft im Didymaion thematisierte (78-79). Ein Dreifuß, der nur unter Traian als Attribut des Apollon auf Münzen erschien, lässt sich möglicherweise mit einem Orakelspruch aus Didyma verbinden, der dem künftigen Kaiser die Herrschaft vorausgesagt haben soll (80-83). Ferner kann Roch nachweisen, dass einige alexandrinische Bronzemünzen antoninischer Zeit milesische Rückseitenbilder aufgreifen (84. 110. 121-122. 129-130) - eine schlüssige Erklärung dieses ungewöhnlichen Phänomens bleibt allerdings aus.
In der folgenden Auswertung (136-164) führt der Autor die erzielten Ergebnisse im Sinne seiner Fragestellung zusammen: Lokale Gottheiten, besonders Apollon Didymeus und Artemis Pythie, dominierten die Rückseiten der kaiserzeitlichen Münzen Milets, deren Prägung erst unter Caligula - möglicherweise anlässlich der Neokorie-Verleihung - einsetzte. Auf den Vorderseiten erschienen hingegen beinahe ausschließlich Mitglieder des römischen Kaiserhauses - die kaiserliche Familie fand dabei allerdings erst ab hadrianischer Zeit zunehmend Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu anderen kleinasiatischen Poleis lässt sich in Milet indessen kein systematischer Zusammenhang zwischen der dargestellten Person und der Nominalgröße feststellen. Schwerpunkte in der Darstellung römischer Themen - wie etwa Neokorien, kaiserlicher Bekränzungsszenen oder Personifikationen des Senats - zeichnen sich darüber hinaus in iulisch-claudischer und severischer Zeit ab. Nicht zuletzt die gelungene Einflechtung der Münzprägung in die kaiserzeitliche Stadtentwicklung Milets zeigt schließlich die ungebrochene Bedeutung der Polis und ihres Heiligtums auch im fortgeschrittenen Principat.
Ein vergleichendes Kapitel (165-202) widmet sich den Münzen elf weiterer kleinasiatischer Poleis sowie den Prägungen des Städtebunds von Zypern und deren Auseinandersetzung mit römischen Themen. Als Vergleiche dienen vorwiegend Gemeinden in der Provinz Asia, deren kaiserzeitliche Münzen in Typenkatalogen erfasst sind. In der Summe lassen sich einige allgemeine Tendenzen im Umgang mit römischen Themen beobachten: Die Porträts der Angehörigen des Kaiserhauses beherrschten überall die Vorderseiten der Münzen und wurden bisweilen mit bestimmten Attributen oder theomorphen Darstellungsweisen an Gottheiten angeglichen. Dabei lässt sich im frühen Principat eine besonders intensive Auseinandersetzung mit dem Kaiserhaus feststellen. Die den Kaiser abbildenden Rückseiten visualisierten meist die geläufigen Herrschertugenden. Der Princeps erschien ferner oft zusammen mit der jeweiligen Stadtgottheit, während Darstellungen wie der Capricornus oder die Göttin Roma ebenfalls einen Bezug zum Kaiserhaus oder zum römischen Gemeinwesen herstellten. Vor dem Hintergrund dieser generellen Tendenzen kann Roch deutlich machen, dass die Polis Milet mit ihrer Münzikonographie an gängigen Darstellungsweisen partizipierte, um ihr Verhältnis zur römischen Autorität zu artikulieren.
In einer kurzen Zusammenfassung (203-206) unterscheidet der Verfasser drei Ebenen, auf denen sich Milets Auseinandersetzung mit dem Kaiserhaus und den römischen Institutionen fassen lässt: die Porträts der Kaiserfamilie auf dem Avers sowie die Darstellung römischer Themen und die Verknüpfung von lokalen Bildern mit der römischen Autorität auf den Rückseiten der Münzen. Es folgt ein umfangreiches Literatur- und Abkürzungsverzeichnis (207-239) sowie der sorgfältig erarbeitete Typenkatalog (241-338), in dem Roch besonders im Vergleich mit den Vorderseiten der Reichsprägung sowie skulpturalen Bildnissen eine solide Feinchronologie der kaiserzeitlichen Münzprägung Milets etablieren kann. Im reich ausgestatteten Tafelteil (339-391) finden sich Abbildungen beinahe aller Vorder- und Rückseitenstempel. Ein Anhang mit ebenso übersichtlichen wie anschaulichen Tabellen (393-406) beschließt den Band. An dieser Stelle vermisst man allerdings ein Register, das sicherlich zur Benutzerfreundlichkeit des Buches beigetragen hätte.
Julius Roch hat mit seiner Dissertation eine mustergültige Darstellung der Münzprägung Milets in der Kaiserzeit vorgelegt. Vor dem Hintergrund des vorbildlich aufbereiteten Materials und der enormen Fülle an aufschlussreichen Einzelergebnissen fallen dabei einige wenige sprachliche Ungereimtheiten nicht ins Gewicht. Die Arbeit wird für Jahrzehnte ein unverzichtbares Referenzwerk nicht nur für die kaiserzeitliche Münzproduktion Milets, sondern auch für die ikonographische Auseinandersetzung kleinasiatischer Städte mit dem Kaiserhaus und den römischen Institutionen bilden.
Anmerkungen:
[1] Michel Amandry / Andrew Burnett / Chris Howgego / Jerome Mairat (eds.): Roman Provincial Coinage, London / Paris 1992-2022 und Jerome Mairat / Chris Howgego / Volker Heuchert: Roman Provincial Coinage Online, https://rpc.ashmus.ox.ac.uk (10.06.2024).
[2] So etwa: Hertha Schwarz: Soll oder Haben? Die Finanzwirtschaft kleinasiatischer Städte in der Römischen Kaiserzeit am Beispiel von Bithynien, Lykien und Ephesos (29 v.Chr. - 284 n.Chr.), Bonn 2001, 405 und Peter Weiß: Städtische Münzprägung und zweite Sophistik, in: Barbara E. Borg (ed.): Paideia: The World of the Second Sophistic (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n.Chr.; 2), Berlin 2004, 189.
[3] Konrad Kraft: Das System der kaiserzeitlichen Münzprägung in Kleinasien. Materialien und Entwürfe (= Istanbuler Forschungen; 29), Berlin 1972.
Julius Roch: Die kaiserzeitliche Münzprägung Milets. Fallstudie zur Entwicklung der Repräsentation, Perzeption und Integration der römischen Autorität im kollektiven Selbstverständnis der Städte Kleinasiens (= Berliner Numismatische Forschungen. Neue Folge; Bd. 13), Regenstauf: Battenberg Gietl Verlag 2024, X + 407 S., zahlr. Farb-Abb., ISBN 978-3-86646-244-1, EUR 49,00
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