sehepunkte 24 (2024), Nr. 10

Marc Buggeln: Das Versprechen der Gleichheit

Vor über zehn Jahren gründete sich das internationale Netzwerk Global Alliance for Tax Justice. Ziel der Organisation, die sich aus regionalen Netzwerken in Asien, Afrika, Europa sowie Nord- und Südamerika zusammensetzt ist es, sich durch Publikationen und Veranstaltungen für eine progressive und umverteilende Steuerpolitik einzusetzen. Steuerpolitik wird in diesem Sinne als eine zentrale gesellschaftliche Stellschraube wahrgenommen, mit der Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Ländern entgegengewirkt werden kann. In eine ähnliche Richtung argumentiert die Studie von Marc Buggeln, die unter dem Titel "Versprechen der Gleichheit" erschienen ist und die auf der Habilitationsschrift des Verfassers beruht, für die er 2021 den Carl Erdmann Preis zugesprochen bekam. Buggeln legt, und das sei direkt vorneweg bemerkt, eine beeindruckende Gesamtdarstellung vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart vor, die interessierte Leserinnen und Lesern nicht nur in die Geschichte der Steuern einführt, sondern gleichzeitig eine deutsche Gesellschaftsgeschichte bietet, die für ganz verschiedene Forschungskontexte anschlussfähig ist und die durch eine beeindruckende Syntheseleistung besticht.

Das Buch konzentriert sich zwar auf Deutschland, schärft diese Konzentration aber durch internationale Vergleiche, vor allem zu Großbritannien, Frankreich, den USA und den skandinavischen Ländern, bei denen bisherige Befunde der Forschung gegen den Strich gebürstet und in größere Kontexte eingeordnet werden. So wird beispielsweise deutlich, dass die in Deutschland eingeführte Kriegssteuer zur Zeit des Ersten Weltkriegs gerade im internationalen Vergleich weniger progressiv war als bisher angenommen. Buggeln gelingt durch seine zahlreichen Vergleiche in einer Anlehnung an den "Varities of Capitalism" Ansatz eine Art Typologisierung, die zukünftiger Forschung helfen könnte, Differenzierungen zwischen diesen Varietäten dann noch stärker herauszuarbeiten. Transfers zwischen den von ihm untersuchten Gesellschaften rücken hingegen nur vereinzelt in den Blick und werden nicht systematisch untersucht.

Dass der Fokus auf Deutschland liegt, verdeutlicht bereits der Aufbau des Buches, für den die Zäsuren der deutschen Geschichte strukturierend wirken. Buggelns Studie ist chronologisch in neun Kapitel untergliedert und wird von einer Einleitung sowie einem Schluss gerahmt. Der erste Teil führt in die Entstehung des modernen Steuerstaats vor 1914 ein und zeigt den Wandel von einer liberalen zu einer sozialliberalen Steuerpolitik auf. Der zweite Teil zielt vor allem darauf, sich mit der in der Forschung viel diskutierten These des Ersten Weltkriegs als großem Gleichmacher auseinanderzusetzen. Buggeln akzentuiert hier noch einmal, dass zwar der Weltkrieg den Anstoß für den Siegeszug progressiver Steuertarife gab, betont aber in diesem Kontext die Bedeutung der Diskussionen vor 1914 für diese Umsetzung. Teil drei widmet sich den Jahren von 1919 bis 1933 und besticht durch dichte und auch mitunter überraschende Beschreibungen von exemplarischen Fallstudien. So lesen sich die Ausführungen zu den Steuerhinterziehungen der Zwischenkriegszeit als patriotischem Akt ausgesprochen anregend. Teil vier zeichnet die Entwicklungen von 1933 bis 1939 nach und argumentiert vor allem gegen Götz Alys These, dass das Steuersystem der Nationalsozialisten die Vermögenden wesentlich stärker in die Verantwortung genommen habe und die Massen mit Steuererleichterungen gewonnen habe. Buggeln kann vielmehr aufzeigen, wie sehr gerade das obere ein Prozent von der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Nationalsozialismus profitiert hat. Teil fünf nimmt die kurze Spanne der Besatzungszeit in den Blick. Deutlich wird hier, inwiefern die Steuerpolitik der Alliierten ausgesprochen progressiv war. Dies tritt besonders durch die Ergebnisse hervor, die Buggeln für seinen Teil sechs erarbeiten kann, der illustriert, wie bereits vor 1949 angestoßene Maßnahmen nach und nach durch Steuererleichterungen abgemildert, dann sogar zurückgenommen wurden und sich eine ordoliberale Steuerpolitik durchsetzte, die trotz einzelner Reformvorschläge in der Zeit der Egalität unter der sozialliberalen Regierung der 1970er Jahre in eine neoliberale Steuerpolitik spätestens in den 2000er Jahren mündete. Die Zeit der Bundesrepublik untergliedert der Verfasser anders als die vorherigen Kapitel in drei Zeitabschnitte: Teil sieben beschäftigt sich mit der Periode bis 1966, Teil acht mit der Zeit bis 1982, und Teil neun greift schließlich bis zur Ära Merkel. Letztere Kapitel machen gleichzeitig deutlich, dass Buggeln sich auf die westdeutsche Geschichte der Steuerpolitik konzentriert, denn die DDR spielt in seiner umfassenden Darstellung der deutschen Steuergeschichte keine Rolle.

Buggelns Interesse in diesen neun Kapiteln liegt zum einen auf der Einkommens-, Erbschaft- und Vermögensteuer und zum anderen auf der Gouvernementalität. Er arbeitet deswegen mit dem Konzept von Michel Foucault, das ihm zur Thesenbildung seiner Periodisierung dienlich ist: Dabei unterscheidet er Phasen einer liberalen, einer sozialliberalen, einer militarisierten, einer ordoliberalen und eine neoliberalen Gouvernementalität. Sein Zugang ist demnach an den politischen Auseinandersetzungen mit dem Steuersystem interessiert und nicht an Praktiken und Erfahrungen der zu Besteuernden. Dementsprechend stellen sich auch seine Quellen zusammen: Er greift auf der einen Seite auf Parlamentsprotokolle und Reformvorschläge zurück, um politische Debatten über die Steuerpolitik nachzuzeichnen. Zum anderen referiert er die wissenschaftlichen und politisch geprägten Auseinandersetzungen in der Staats- und Rechtswissenschaft, den Sozialwissenschaften und der (National-)Ökonomie. Dabei tritt durch den transepochalen Zuschnitt klar vor Augen, wie stark die Diskussionen von einem politischen Lagerdenken über die geschichtlichen Zäsuren hinweg gekennzeichnet waren, die in der Argumentation nur bedingt einem Wandel unterlagen und vielmehr in der Wiederholung von einer fast überraschenden zeitlosen Gleichheit geprägt waren.

Weniger theoretisch ausgeleuchtet als der Gouvernementalitätsbegriff bleibt hingegen der Begriff der Gleichheit, der eine so prägende Stellung im Titel seines Buches hat. Den (Un-)Gleichheitsbegriff und Gerechtigkeitsbegriff bezieht Buggeln allein auf die Vergleiche von Steuerlast und Eigentumsstrukturen und klammert dabei den sich zeitlich wandelnden, und auch länderspezifisch unterscheidenden gesellschaftlichen Gleichheitsbegriff größtenteils aus. Diese Engführung des Begriffes resultiert mitunter auch daraus, dass sich Buggeln eben nicht für die Praktiken und Aneignungen der Steuerpolitik interessiert und demnach auch nicht dafür, wie das Versprechen der Gleichheit verstanden, gedeutet und eingefordert wird. Trotzdem könnte man argumentieren, dass es auch für sein Forschungsinteresse sicherlich lohnend gewesen wäre, die unterschiedlichen Konzepte von Gleichheit miteinzubeziehen, schließlich haben diese Einfluss auf politische Normsetzungen und Politiken.

Insgesamt legt Buggeln aber eine beeindruckende, lesenswerte und enorm anregende Studie vor, die als eine Art Kompendium eine wichtige Grundlage und Referenz für kommende Forschung darstellen wird. Seine zahlreichen Befunde laden zudem an vielen Stellen zum Weiterdenken ein und verdeutlichen nicht zuletzt, dass die Geschichte der Besteuerung ein noch keineswegs ausgeschöpftes Forschungsfeld ist, sondern in den kommenden Jahren noch einiges an Erkenntnispotenzial bereithält.

Rezension über:

Marc Buggeln: Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 2338), Berlin: Suhrkamp 2022, 1039 S., ISBN 978-3-518-29938-8, EUR 38,00

Rezension von:
Eva Gajek
Köln
Empfohlene Zitierweise:
Eva Gajek: Rezension von: Marc Buggeln: Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute, Berlin: Suhrkamp 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/10/37897.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.