Die Bedeutung von Reisen für die Päpste des Mittelalters lässt sich aus der Retrospektive teilweise gar nicht hoch genug einschätzen. Pars pro toto sei auf die Frankreichreise Papst Alexanders III. von 1162 bis 1165 verwiesen, die entscheidend zur Stabilisierung seiner Obödienz im seit der Doppelwahl von 1159 bestehenden sogenannten Alexandrinischen Schisma (1159-1177) beitrug. [1] Diese Reise steht aber nur exemplarisch für eine Vielzahl von päpstlichen Reisen im Mittelalter, auf die durch den von Christopher Kast und Claudia Märtl herausgegebenen Band nun erstmals ein umfassendes Schlaglicht geworfen wird.
Der Sammelband geht auf eine Tagung am Römischen Institut der Görres-Gesellschaft im Oktober 2022 zurück. Dabei stellte der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dieser Thematik die von Christopher Kast im Jahr 2021 eingereichte und 2023 publizierte Dissertation dar, die sich den Reisen der Päpste von Martin V. (1417-1431) bis Pius II. (1458-1464) widmet. [2] Ausgehend vom 15. Jahrhundert fragten die Herausgeberin und der Herausgeber des Bandes, ob sich ähnliche Aspekte auch zu anderen Zeiten beobachten und ob sich Entwicklungslinien von Papstreisen im Mittelalter nachzeichnen lassen. Dafür werden nach einer Einleitung von Kast und Märtl insgesamt 15 verschiedene, chronologisch geordnete Fallstudien geboten, die sich vom 11. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts erstrecken. Die Beiträge stellen aber nicht nur verschiedene Papstreisen des Hoch- und Spätmittelalters vor, sondern bieten zahlreiche weitere Themen aus dem Bereich der Kultur-, Mentalitäts-, Politik-, Kunst- und Wirtschaftsgeschichte. Damit unterstreichen sie erneut die Bedeutung und Interdisziplinarität des Themenkomplexes "Reisen" für die mediävistische Forschung.
Aspekte zur Organisation und zum Ablauf von päpstlichen Reisen werden unter anderem in den Beiträgen von Jochen Johrendt (29-45), Markus Krumm (87-118), Pascal Montaubin (119-146), Marco Ciocchetti (183-196), Ralf Lützelschwab (233-251), Jörg Voigt (277-296), Maria Krumm (329-345) und Tobias Daniels (346-375) behandelt. Demnach lässt sich nach Johrendt gerade für die Zeit der Reformpäpste eine wesentlich geringere Planung der päpstlichen Reisen feststellen, als dies etwa Lützelschwab und Maria Krumm zufolge im 14. Jahrhundert beziehungsweise zu Beginn des 16. Jahrhunderts der Fall ist. Die stärkere Organisation einer Reise dürfte sicherlich auch mit der Institutionalisierung der römischen Kurie zusammenhängen, deren Keimzelle, wie Johrendt betont, auf ebenjene "Reisekurie" der Päpste des späten 11. Jahrhunderts zurückgeht. Handelte es sich dabei noch um einen kleinen Personenkreis, der es den Päpsten ermöglichte, wesentlich schneller zu reisen und größere Strecken zurückzulegen, wuchs die Entourage der Päpste besonders im 13. Jahrhundert deutlich an. Mit den Päpsten zogen zu diesem Zeitpunkt teilweise Kardinäle mit ihrer bis zu 400-köpfigen familia, worauf Ciocchetti zu Recht näher eingeht. Die Altersunterschiede und Vermögensverhältnisse der Kardinäle dürften dafür verantwortlich gewesen sein, dass sie durchschnittlich nur 14 km am Tag zurücklegen konnten. Daher brachen die Kardinäle teilweise vor dem Papst auf oder reisten diesem hinterher. Auch Teile der päpstlichen Kanzlei begleiteten den Papst im 15. Jahrhundert nicht auf seinen Wegen, sondern hielten sich länger an Orten auf, die einen größeren Umfang der päpstlichen Reiseroute abdeckten, wie Voigt überzeugend nachweisen kann. Eine Reise musste aber auch finanziert werden, worauf Montaubin kurz für das 12. Jahrhundert eingeht. Erst dadurch konnten etwa auch Transportmittel beschafft werden, von denen nach Markus Krumm für das 11. und 12. Jahrhundert vor allem das Pferd / Maultier und das Schiff von Bedeutung waren. Teilweise hatten die Päpste aber auch zu Fuß zu gehen, wie Maria Krumm für Julius II. belegen kann. Gerade das Schiff als Transportmittel der Päpste über das gesamte Mittelalter steht im Zentrum des Beitrags von Daniels, der dabei auf Gefahren von Reisen hinweisen kann. Dazu zählten zur See neben den Wetterbedingungen auch Piraten, während Markus Krumm zu Land noch Meuterei, Erschöpfung, Krankheit und Seuchen sowie feindliche Truppen ergänzt.
Ausschlaggebend für eine Reise waren durch die Ereignisgeschichte bedingte individuelle Gründe. So führt Francesco Massetti (46-66) die Aktivitäten Leos IX. auf dessen erweiterte Handlungsspielräume und ein verändertes Amtsverständnis zurück, während die Reformpäpste ab Stephan IX. nach Johrendt oftmals ihre alten Wirkungsstätten aufsuchten, wo sie Ämter teilweise weiterhin ausübten. Reisen in die Ferne waren ab dem späten 11. Jahrhundert oftmals mit politischen Notwendigkeiten verbunden, so etwa Georg Strack zufolge (67-83) die Frankreichreise Urbans II., bei der entgegen der aktuellen Forschung der Kreuzzugsaufruf nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Während des 12. Jahrhunderts wurden die Päpste durch unliebsame Kontrahenten um den Stuhl Petri oder die römische Bevölkerung gezwungen, Rom zu verlassen, was Montaubin am Beispiel Innocenz' II. und Eugens III. verdeutlicht. Gesundheitliche Erwägungen, familiäre Verbindungen, besonders aber die herrschaftliche Durchdringung des Patrimonium Petri sind nach Stefania Zucchini (149-175) Gründe für den Aufenthalt der Päpste des 13. Jahrhunderts im Umfeld Roms. Die zunehmende Lösung des Papstes von der Stadt Rom im 12. und 13. Jahrhundert führte nach Agostino Paravicini Bagliani (197-209) auch zu ideellen und rituellen Neuerungen, die in symbolischer Weise mit den von Zucchini festgestellten neuen päpstlichen Residenzen in der Umgebung Roms korrespondierten. Diese finden sich aber nicht nur im 13. Jahrhundert um Rom, sondern auch im 14. Jahrhundert um Avignon, was von Patrick Zutshi eingehend dargestellt wird (213-232).
Schließlich waren gerade mit den Papstreisen auch zeremonielle Akte verbunden, von denen besonders der Adventus zu nennen wäre. Ist diese besondere Zeremonie sonst meist aus einer normativen Perspektive betrachtet worden, so stellen Markus Krumm, Ursula Gießmann (255-276) und Maria Krumm konkrete Beispiele aus Benevent im 11. und 12. Jahrhundert, aus Basel im 15. Jahrhundert und aus dem Kirchenstaat im frühen 16. Jahrhundert vor. Der Verfasser und die beiden Verfasserinnen gehen hier auf individuelle Anpassungen ein, Maria Krumm aber auch auf die damit verbundenen Schwierigkeiten, die ergänzt werden durch Beobachtungen von Daniels zum Adventus bei Schiffsreisen. Nicht zuletzt war die Ankunft oder der Aufenthalt eines Papstes ein besonderer Anlass, der durch Inschriften und Bilder festgehalten wurde, womit sich Claudia Märtl (297-326) anhand zahlreicher Beispiele beschäftigt.
Der Sammelband bietet einen Strauß verschiedener Eindrücke, die weit über das enge Feld der Reisen oder der Papstgeschichtsschreibung hinausgehen. Die Beiträge gewähren uns nicht nur wichtige Erkenntnisse, sondern laden durch zahlreiche Hinweise auf Desiderata auch zum weiteren Nachdenken ein. Es ist zu hoffen, dass die eine oder andere Anregung aufgegriffen wird, denn der Band zeigt eindrucksvoll, dass sich die Themenstellung lohnt!
Anmerkungen:
[1] Werner Maleczek: Das Schisma von 1159 bis 1177. Erfolgsstrategie und Misserfolgsgründe, in: Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen (= Papsttum im mittelalterlichen Europa; 1), hgg. von Harald Müller / Brigitte Hotz, Wien / Köln / Weimar 2012, 165-204, hier 198f.
[2] Christopher Kast: Der Papsthof auf Reisen. Die Reisen der römischen Kurie in den Pontifikaten von Martin V. bis Pius II. (1417-1464) (= Papsttum im mittelalterlichen Europa; 12), Wien / Köln 2023.
Christopher Kast / Claudia Märtl (Hgg.): Papstreisen im Mittelalter. Organisation - Zeremoniell - Rezeption (= Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte; Bd. 71), Freiburg: Herder 2024, 420 S., ISBN 978-3-451-39570-3, EUR 58,00
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