Rezension über:

Günter Berger (Hg.): Apostel des Friedens. Die Korrespondenz zwischen Wilhelmine von Bayreuth und Voltaire, Berlin: Duncker & Humblot 2023, 104 S., ISBN 978-3-428-18703-4, EUR 24,90
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Rezension von:
Holger Böning
Deutsche Presseforschung, Universität Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Holger Böning: Rezension von: Günter Berger (Hg.): Apostel des Friedens. Die Korrespondenz zwischen Wilhelmine von Bayreuth und Voltaire, Berlin: Duncker & Humblot 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 7/8 [15.07.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/07/38055.html


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Günter Berger (Hg.): Apostel des Friedens

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Über den Quellenwert der Aussagen Wilhelmines von Bayreuth in ihren Memoiren wie in ihren Briefen ist von einer preußenfreundlichen Historiographie zumeist abwertend gesprochen worden, galt sie wegen ihrer degoutanten Schilderungen des königlichen Familienlebens doch gerne als notorisch phantasievoll und unzuverlässig. Schaut man genau hin, dann erhält durch ihre Äußerungen auch das traditionell gebotene Bild von der Lieblingsschwester Friedrichs II. Risse. Gegen die überwiegend behauptete harmonische Beziehung zu ihrem königlichen Bruder hat man sich mehrfach auf unveröffentlichte Briefwechsel berufen, an denen Wilhelmine beteiligt war, und es wurde darauf hingewiesen, dass es an der Zeit sei, besonders die noch nicht edierten Briefwechsel zwischen den Geschwistern Friedrichs II. sorgfältig auszuwerten und zugänglich zu machen. [1]

Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch der hier vorgelegte Briefwechsel zwischen Wilhelmine und dem großen Freund des großen Königs Voltaire, lässt er doch erkennen, wie sehr das Verhältnis zwischen Wilhelmine und Friedrich auch in der Beziehung zu dem französischen Philosophen von Konkurrenzgebaren bestimmt und explosiv konfliktbeladen war. Für den König ging es stets darum, das Heft des Handelns selbst in der Hand zu behalten, wenn er beispielsweise 1753 seine Schwester eindringlich aufforderte, dem aus Potsdam geflüchteten Voltaire nicht eigenhändig zu schreiben (8). Tatsächlich gehorchte sie hier ihrem Bruder und verzichtete auf Antworten auf vier Bitt- und Rechtfertigungsbriefe des aus dem preußischen Machtbereich Geflohenen. Auch wird durch diesen Briefwechsel offenbar, dass es in den politischen und militärischen Auseinandersetzungen, in die Friedrich II. verwickelt war, für die Markgräfin durchaus nicht selbstverständlich war, rückhaltlos für den Bruder Partei zu ergreifen, sei es bei den Erbansprüchen, die auch der Markgraf von Bayreuth auf das jülisch-bergsche Erbe geltend machte, sei es bei der Parteinahme für Preußen und gegen Österreich im Ersten Schlesischen Krieg oder sei es mit einem geheimen Subsidienvertrag, den der Markgraf von Bayreuth im Frühjahr 1757 mit Frankreich abschloss und der nur als Verrat an Preußen interpretiert werden kann (12).

Die vorliegende Übersetzung aus dem Französischen stellt eine erstmalige Publikation der 46 überlieferten Briefe zwischen den Briefpartnern in deutscher Sprache dar, ihr liegt die Edition in der französischen Originalsprache zugrunde, die Theodore Bestermann vorgenommen hat. Vorgelegt wird sie von dem Romanisten Günter Berger, der bereits für eine neue Übersetzung der Erinnerungen Wilhelmines von Bayreuth sowie für Editionen der Briefe Friedrichs II. an seine Schwester und des Briefwechsels zwischen Friedrich II. und Luise Dorothea von Sachsen-Gotha verantwortlich zeichnete. [2] Diese beiden Briefeditionen haben anschaulich gezeigt, wie aufschlussreich Neueditionen sein können, wenn - wie im Falle der Briefe Friedrichs II. - preußenverbundene Forscher mit ihren Quellenerschließungen der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einseitig interpretierende und aus verschiedensten Gründen verkürzte und problematisch übersetzte Editionen vorgelegt haben. Im Falle des Briefwechsels Friedrichs II. mit seiner Schwester Wilhelmine zeigt sich etwa, dass diese Korrespondenz keineswegs ein Gegenbild zu deren angeblich die historische Realität entstellenden Memoiren bietet, wie dies Gustav Berthold Volz in seinen Editionen gemeint hat, und sie auch nicht als intime Herzensergüsse zweier Königskinder gelten können, sondern dass es sich hier um sehr bewusst gestaltete Zeugnisse zweier Briefpartner handelt, denen die Bedeutung eines Briefes als Teil höfischer Repräsentation mit der Muttermilch vermittelt wurde. Auch ist der Briefwechsel Friedrichs mit der Schwester ein sprechendes Beispiel dafür, in welchem Maße die Quellenerschließungen seitens borussischer Wissenschaftler in einer Auswahl vorgenommen wurden, deren Gründe und Implikationen sehr verschieden sein konnten, deren Existenz aber bei jeder Verwendung solcher Quellen bewusst sein muss.

Dass nahezu alle öffentlichen oder halböffentlichen Äußerungen Wilhelmines stets auch das Verhältnis zu ihrem Bruder mitbetreffen, zeigt beispielhaft die hier vorliegende Edition des Briefwechsels mit Voltaire. Für beide Briefpartner ist der gegenseitige Briefkontakt maßgeblich durch ihre Beziehung zum preußischen König geprägt. Die Briefe umfassen alle überlieferten Zeugnisse, sie sind für den Zeitraum von 1742 bis 1758 vorhanden, wobei die Briefe aus den Anfangsjahren des Siebenjährigen Krieges besonders aufschlussreich sind und der Edition den Titel gegeben haben. Dieser Titel ist allerdings ebenso ein wenig wichtigtuerisch wie die von Ludwig XV. durchschauten Bemühungen der beiden Briefpartner, zwischen Frankreich und Preußen einen Separatfrieden zu vermitteln und so die Alliierten zu spalten. Immerhin aber haben die Briefe ihren Wert als Zeugnisse eines für Preußen negativen Höhepunkts des Krieges, da Friedrich II. mit der Niederlage von Kolin seinen Nimbus als Feldherr gefährdet sieht und ebenso von Suizidgedanken gequält wird wie seine Schwester. Im September 1757 schreibt Wilhelmine, der Zustand, in dem sie sich befinde, sei "schlimmer als der Tod selbst. Ich sehe den größten Mann unserer Epoche, meinen Bruder, meinen Freund, in der schrecklichsten Not" (76). "Adieu", heißt es Ende Oktober 1757 in einem Gruß Wilhelmines an Voltaire, "wünschen Sie mir den Tod: Das ist das größte Glück, das mir passieren kann" (83).

Antimilitaristische Gesten besonders seitens Voltaires sind auch schon für die frühen Briefe bezeichnend. Von ihnen ist schwer zu sagen, wie sehr sie lediglich spielerischen Charakter haben; jedenfalls charakterisieren sie ein spöttisch-distanziertes Verhältnis zum preußischen König: "Ich schreibe das alles beim Schall von Trommel und Trompeten und tausend Gewehrschüssen, die meine friedfertigen Ohren betäuben", so schreibt Voltaire im Dezember 1751 aus Berlin: "So etwas ist gut für Friedrich den Großen. Er braucht morgens Armeen und nachmittags Apollo. Er hat alles: Er stellt Bataillone und Perioden im Karree auf." (23-25). An anderer Stelle spricht Voltaire im Juli 1757 von "diesem ganzen grausamen Krieg", der Deutschland verwüste (72), Wilhelmine stimmt ein in diese Klage über den "so unmenschlichen, grausamen Krieg", auch die Behauptung von "Grausamkeiten, welche die Russen begehen" und die Natur erschaudern ließen, ist nicht neu (77). Im November 1757 schreibt sie, wie sehr ihr Bruder doch zu bemitleiden sei: "Er verbringt seine Zeit mit Blutvergießen und Gemetzel. Das ist das Schicksal von Helden, aber ein richtig trauriges Schicksal für einen Philosophen." (89). Zugleich spricht Voltaire seine Briefpartnerin mit Bezug auf die militärischen Ambitionen und Leistungen Friedrichs als eine eines Helden würdige Schwester an (20) und schmeichelt ihr ganz wie ihrem Bruder als philosophische Prinzessin, Förderin der Künste und vollkommene Musikerin (18).

Ein kurzes Resümee mag darin bestehen, dass die Substanz dieses auch von seinem Umfang her nicht sehr bedeutenden Briefwechsels sich in Grenzen hält, solche Editionen aber gleichwohl verdienstvoll sind, indem sie die zeitgenössischen Quellen in den Vordergrund stellen und - wenn auch im vorliegenden Fall nur sehr begrenzt - neue Gesichtspunkte bieten und neue Erkenntnisse ermöglichen.


Anmerkungen:

[1] Siehe beispielsweise Eva Ziebura: August Wilhelm von Preußen, Berlin 2006.

[2] Neuere Quelleneditionen werden ebenso wie die neuere Forschungsliteratur zu Friedrich II in einer eigenen Monographie vorgestellt bei Holger Böning: 300 Jahre Friedrich II. Ein Literaturbericht zum Jubiläumsjahr 2012. Eingeschlossen einige Gedanken zum Verhältnis des großen Königs zu seinen kleinen Untertanen, zu Volksaufklärung und Volkstäuschung sowie zur Publizistik (= Presse und Geschichte - Neue Beiträge; Bd. 75), Bremen 2013.

Holger Böning