Rezension über:

Julia Wallner / Susanne Blöcker (Hgg.): Goldene Zeiten der holländischen Malerei. Sammlung Kremer trifft Sammlung Rau (= Kunstkammer Edition; Bd. 21), Landesstiftung Arp Museum 2023, 127 S., ISBN 978-3-933085-11-5
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Rezension von:
Dietmar Spengler
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Dietmar Spengler: Rezension von: Julia Wallner / Susanne Blöcker (Hgg.): Goldene Zeiten der holländischen Malerei. Sammlung Kremer trifft Sammlung Rau, Landesstiftung Arp Museum 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/38468.html


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Julia Wallner / Susanne Blöcker (Hgg.): Goldene Zeiten der holländischen Malerei

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Kaum eine Epoche ist reicher an Kunst als das 'Goldene Zeitalter' der Niederlande, in dem Holland zur See- und Handelsmacht aufstieg und die Kunst sich emanzipierte von Klerus und Königtum um sich der Bürgerschaft zuzuwenden. Wo bei Rubens und bei Poussin prunkvolles Schauspiel aufgeführt wurde, verhandelte holländische Genremalerei das Alltagsleben von Proleten und Kleinbürgern. Fortan durfte Kunst auch still und intim sein, auf schöne Weise bereichernd erscheinen, wie die Ausstellung im Arp Museum deutlich macht.

Vorab sei bemerkt, dass der Katalog durch knapp gehaltene Textbeiträge erfreut und übersichtlich gestaltet ist.

Die Ausstellung feierte zwei Privatsammlungen, deren Fokus auf die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts gerichtet ist. Es sind die Kunstsammler Dr. Gustav Rau [1] und das Ehepaar George und Ilone Kremer, welche diese Preziosen der 'Goldenen Zeiten' zusammengebracht haben. [2] Gezeigt wird ein Querschnitt niederländischer Kunst: charaktervolle Porträts und launige Alltagsszenerien, stimmungsvolle Landschaften und dramatische, religiöse Gemälde sowie bezaubernd bunte Stillleben. Mit prominenten Malernamen, wie ter Brugghen, Dou, Hals, Honthorst, Sweerts und Rembrandt lockt der Katalog. In drei Kapiteln und mit 50 Gemälden werden über 35 Maler vorgestellt. Ein Werkverzeichnis mit ausführlichen Literaturangaben sowie eine zweiseitige Eloge auf den Arzt und Stifter Gustav Rau ergänzen den Band.

Von einem "Dialog über Menschheitsthemen" wird in der Einleitung des Katalogs gesprochen. "Dialog" soll auch zwischen den beiden Sammlungen herrschen (8f.). Rede und Gegenrede, gar Wechselrede oder Anrede - schauen wir uns die Bilder an. Schon das erste Gemälde Das Kabinett eines Kunstliebhabers (1661-72) von Jan Siberechts (14) relativiert den frommen Wunsch der Kunsthistorik, niederländische Kunst sei soziales Medium gewesen. Denn gelangweilt, dem Alltag fern und nachdenklich, sinnt das wohlhabende Patrizierpaar im seinem Prunkkabinett über den nächsten Bilderkauf nach.

Im Kapitel "Künstler und Sammler" gibt Susanne Blöcker einen knappen historischen Abriss über die wirtschaftliche Macht und den Kunstmarkt in den Niederlanden (12f.). Als Paradestück der Kremer Collection figuriert eingangs die Büste eines alten Mannes mit Turban vom jungen Rembrandt, 1627-28 geschaffen (16). Das Ausstellungs-Motiv, lange in der Zuschreibung umstritten und bereits in der Kölner Kremer-Schau [3] gezeigt, ist, gemessen am Man in a Turban (1632) im New Yorker Metropolitan Museum, schlichte Helldunkel-Malerei. Der Name macht den Event! Danach ein nicht minder berühmter Name aus Kremers Schatzkiste: Frans Hals, der expressivste und versierteste Porträtist des Goldenen Zeitalters. Das Bildnis eines Mannes von 1637-40 hat Van Suchtelen mit knappen Sätzen als technisch auslaborierte lebensnahe Darstellung charakterisiert (22). Highlight von Ausstellung und Katalog ist das eindringliche Bildnis des jungen Hausmädchens (ca. 1660) von Michiel Sweerts (24). Nicht nur dass der Maler die Frau zeigt, "wie sie ist" (Epco Runia), er streicht mit feinster Pinselarbeit die Innigkeit, das Seelenvolle der Dargestellten heraus! Peter van der Ploeg würdigt die Akribie und Virtuosität von Gerrit Dou mit dem qualitätvollen Selbstbildnis von ca. 1645 (28). Susanne Blöcker präsentiert die 'Dou-Ikone' Die Köchin (ca. 1660-65) aus der Sammlung Rau (30) als Geschichten-Erzählerin und präzisiert die Feinmalerei des Holländers.

Das Kapitel "Über die Schönheit der Natur" zeigt Stimmungsbilder und Landschaftsmalerei vom Feinsten. Salomon van Ruysdaels Flusslandschaft (1634) und Jan Josephsz van Goyens Das Gewitter (1637), beide aus der Sammlung Rau (44, 50), kontrastieren mit ihrem zauberhaften Spiel von Licht, Wolken und Wasser mit Abraham Bloemaerts Gemälde Bauernhof mit Ziegenmelkerinnen (ca. 1620) aus der Sammlung Kremer, das in seinem Formalismus noch an den Manierismus erinnert (42). Dem Kapitel wurde auch das 'Stillleben' zugeschlagen, was leicht irritierend wirkt, zumal Melchior d'Hondekoeters Hahnenkampf (ca. 1670-80) mit seinem artifiziellen Touch sich gar nicht ins Naturbild einfügen will (58). Mit knappen Anmerkungen stellen Lea van der Vinde Judith Leysters feinkoloriertes Stillleben mit Obstkorb (ca. 1635-40) und Hans-Joachim Raupp das hart funkelnde Frühstücksstillleben (ca. 1660) von Willem van Aelst (66) vor. Was Paulus Moreelses charmante Schäferin (1617) aus der Kremer Collection und weitere typologische Tronien (74-78) hier zu suchen haben, bleibt Geheimnis der Kuratorin.

Mit dem Kapitel "Die Macht der Geschichte: Historien aus Alltag, Bibel und Antike" wird barocke Kostümschau mit naturalistischem Realismus kontrastiert. Gestik, Mimik und Ausdruck paaren sich mit semantischen Topoi - dem genießenden Betrachter als Erschwernis. Um den Werken nahe zu kommen, empfiehlt die Kuratorin sich in die "Bilder ein(zu)fühlen" (83), ein Rat, der unabsehbare emotionalen Risiken birgt! Da zeigt die Kremer Collection neben einer Suite qualitätvoller Halbfiguren-Tronien einen gealterten Bauern als Lachender Demokrit (1622) von Dirk van Barburen (84) und Rau kontert mit einer neapolitanisch inspirierten Vision des Hl. Hieronymus (ca. 1640) von Matthias Stom (97). Pieter Lastmans barocker Guter Samariter (ca. 1612) dialogisiert mit Michiel Sweerts brillanten Nachtlandschaft Empfang der Pilger (1650) (108-110). Einen Antwerpener Klassizisten, der sich hierhin verirrt hat, präsentiert schließlich die Kremer Collection mit Abraham Janssens (100). Seine Jungfrau Maria mit dem Jesuskind und Johannestäufer als Knaben (ca. 1617-20) zelebriert Helldunkel-Malerei in bester Qualität, betrübt jedoch im Kommentar von Quentin Buvelot durch die irritierende Beschreibung hinsichtlich von Janssens Gemälde im Museo de Arte de Ponce aus dem Kölner Katalog (2008, 111, Abb. 1). [4] Pathos und malerische Perfektion kulminieren in Kremers Der reuige Petrus (ca. 1618-20) von Gerrit van Honthorst (106), der mit seinem Genre, den Tronien und Historien für ausgesuchte Qualität garantiert.

Mit der Gegenüberstellung der Auswahl beider Kollektionen - einen Wettstreit der Sammlungen möchte man meinen - hat das Arp Museum nicht nur der Sammlungsgeschichte einen großen Verdienst geleistet, vielmehr der Öffentlichkeit die Schönheit niederländischer Kunst nahegebracht: dem Kunstfreund zur Freude, dem Kenner zum Vergnügen, Sammlerleidenschaft unter die Lupe zu nehmen. Der Katalog enthält die notwendigen Informationen, ohne den Genuss der qualitätvoll gedruckten Gemälde mit kunsthistorischem Ballast zu behindern.

Anmerkungen:

[1] Rau brachte eine der größten und wertvollsten privaten Kunstsammlungen unserer Zeit zusammen. Der aktuelle, stark durch Versteigerungen geplünderte Rumpfbestand, ist bis auf weiteres ans Arp Museum ausgeliehen. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Rau_(Kunstsammler) .

[2] "Goldene Zeiten", eine beliebte Metapher, immer wieder aufgelegt und leider sehr verbraucht.

[3] Vgl. Peter van der Ploeg / Lea van der Vinde (Hgg.): Niederländische Malerei - die Sammlung Kremer, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud. München 2008. Die Kölner Ausstellung wurde als Gemeinschaftsprojekt mit Kassel und Haarlem durchgeführt, der Katalog ist umfangreicher und mit Referenzabbildungen ausgestattet. Die Texte sind zum Teil von denselben Autoren verfasst und partiell übernommen.

[4] Der Christusknabe sitzt nicht, sondern steht auf dem Schoß Marias und nicht des Knaben, sondern Marias Hand weist auf das Lamm. Auch der Segensgestus ist in der offenen Handhaltung nicht erkennbar.

Dietmar Spengler