Rezension über:

Claudia Parhammer: Schönheit, Kraft und Jugend. Bilder des Männlichen im Kontext der Lebensreformbewegungen (1890-1930), Baden-Baden: NOMOS 2022, X + 286 S., 32 Farb-, 48 s/w-Abb., ISBN 978-3-8288-4720-0, EUR 62,00
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Rezension von:
Stefan Rindlisbacher
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Rindlisbacher: Rezension von: Claudia Parhammer: Schönheit, Kraft und Jugend. Bilder des Männlichen im Kontext der Lebensreformbewegungen (1890-1930), Baden-Baden: NOMOS 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 12 [15.12.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/12/38029.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Claudia Parhammer: Schönheit, Kraft und Jugend

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Die Geschichte der Lebensreform ist ein relativ junges Forschungsfeld. Die ersten wissenschaftlichen Studien über Vegetarierinnen und Vegetarier, FKK-Vereine sowie Naturheilsanatorien erschienen zwar schon ab den 1960er Jahren, bis zur Jahrtausendwende blieb das Thema jedoch ein akademisches Randphänomen. Seither wurde die Erforschung der Lebensreform nicht nur durch neue methodische Zugänge aus der Körper- und Diskursgeschichte, durch transnationale Perspektiven und praxeologische Ansätze ergänzt, auch der Forschungsgegenstand wurde stark erweitert. Hatten sich die ersten Studien noch auf einen engen Kreis an schillernden Aussteigerfiguren und antibürgerlichen Siedlungsexperimenten konzentriert, interessiert sich die aktuelle Forschung viel stärker für den Einfluss lebensreformerischer Ernährungspraktiken, Gesundheitsvorstellungen und Körperbilder auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen.

In diesem Forschungskontext lässt sich auch die Dissertation von Claudia Parhammer verorten. Die Kunsthistorikerin untersucht den Einfluss der Lebensreformbewegung auf die Kunst zwischen 1890 und 1930. Dem neuen Forschungsparadigma folgend stehen dabei nicht die "sektiererische[n] Vegetarier im härenen Gewand" (3) im Fokus, die immer mal wieder in kunsthistorischen Darstellungen als Randnotiz erwähnt wurden. Vielmehr soll die "Rolle der Lebensreformbewegung für essenzielle Entwicklungen in der Kunst" (3) aufgezeigt werden. Dabei konzentriert sich Parhammer auf Bilder des Männlichen, die im Kontext lebensreformerischer Ideen, Ideale und Diskurse entstanden sind. Besonders interessiert sie sich für die Ambivalenzen maskuliner Darstellung, die von androgynen Männerbildern bis soldatischen Idealkörpern reichten. Parhammer betrachtet die Entwicklung dieser Ikonografie des Männlichen vom deutschen Kaiserreich bis zur Weimarer Republik; wobei sie den Fokus auf lebensreformerisch geprägte Kunst aus der "bürgerlichen Mitte" (8) legt, die nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend unter den Einfluss völkischer und faschistischer Bewegungen geriet.

Die Studie folgt in drei Kapiteln den Begriffen "Schönheit", "Kraft" und "Jugend", die Parhammer als zentrale Eigenschaften der Lebensreform ausmacht. Warum die Autorin gerade diese drei Kategorien auswählte, wird jedoch nicht erklärt. Viel naheliegendere Kategorien wie "Natur" und "Gesundheit" werden zwar in einem kurzen Zwischenkapitel erwähnt, ohne dass dabei jedoch auf den Konstruktionscharakter damit verbundener Begriffe wie "Ganzheitlichkeit", "Natürlichkeit" oder "Harmonie" eingegangen wird. Die fehlende Distanz zur Quellensprache fällt auch im weiteren Verlauf des Buches immer wieder auf.

Im ersten Kapitel zur "Schönheit" stehen die Fotografien der Freikörperkulturbewegung im Fokus. Diese Teilströmung der Lebensreformbewegung verfolgte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert das Ziel, die öffentliche Darstellung von Nacktheit zu enttabuisieren und dabei das lebensreformerische Ideal des gesunden, schlanken und sportlichen Männerkörpers zu popularisieren. Einen neuen Zugriff auf den nackten Körper, dessen Darstellung nicht mehr durch akademische Konventionen eingeschränkt wird, suchten zur gleichen Zeit unter anderem auch die "Brücke"-Malerinnen und -Maler. Anstelle standardisierter Posen im Atelier wollten sie den nackten Menschen in möglichst natürlicher Bewegung in der Natur einfangen. Andere Künstlerinnen und Künstler versuchten die lebensreformerische Idee, dass sich Schönheit durch Arbeit am Körper herstellen lässt, auf ihre Kunstwerke zu übertragen. Zugleich inszenierten sich FKK-Aktivistinnen und -Aktivisten in ihren Aktfotografien als lebendige Kunstwerke. Damit verweist Parhammer in diesem Kapitel auf interessante Analogien zwischen Kunst und Lebensreform um 1900. Inwiefern es einen konkreten, anhand historischer Quellen nachvollziehbaren Austausch zwischen Künstlerinnen und Künstlern wie Max Klinger auf der einen, sowie Lebensreformerinnen und Lebensreformern wie Richard Ungewitter auf der anderen Seite gab, wird hingegen nicht untersucht.

Im zweiten Kapitel des Buches mit dem Oberthema "Kraft" beschäftigt sich Parhammer mit den Gemälden einiger Künstlerinnen und Künstler, die selbst Teil der Lebensreformbewegung waren - etwa Fidus, Ludwig Fahrenkrog und Karl Wilhelm Diefenbach. Lebensreformerische Motive wie der ausgeprägte Licht-, Luft- und Sonnenkult wurden hier direkt im Sinne einer "Ideenmalerei" (111) in Bildsprache übersetzt. Als ikonisch ist beispielsweise das "Lichtgebet" von Fidus zu nennen, das eine nackte Personen mit zum Himmel ausgestreckten Armen zeigt. Auf der Suche nach dem kraftstrotzenden, männlichen Körper griffen lebensreformerisch geprägte Künstlerinnen und Künstler den völkischen "Ariermythos" (147) auf oder versuchten ihre Vorstellung des nietzscheanischen "Übermenschen" (127) zu visualisieren. Der in diesen Körperkonzepten angelegte Rassismus und Sozialdarwinismus wurde dann später durch Arno Breker und andere aufgenommen und in Form von Propagandakunst für den Nationalsozialismus eingesetzt. Anders als im ersten Kapitel ist hier der Zusammenhang zwischen Kunst und Lebensreform nicht nur über ähnliche Darstellungsweisen, Motive sowie Ideen gegeben. Weil Parhammer in diesem Kapitel jedoch vor allem Künstlerinnen und Künstler in den Mittelpunkt rückt, die bereits seit Jahrzehnten Gegenstand der etablierten Forschung sind, bleibt der Erkenntniswert eher gering. Aufschlussreich sind hingegen die Ausführungen zu bisher wenig beachteten Akteurinnen und Akteuren wie der Fotografin Hanni Schwarz, die mit ihren Bildern in der Zeitschrift "Die Schönheit" die Ikonografie der FKK-Bewegung mitprägte. Es wäre spannend gewesen, noch mehr über die Rolle von Frauen und queeren Menschen bei der Inszenierung männlicher Körper zu erfahren.

Der dritte Teil Parhammers Buches steht im Zeichen der "Jugend". Als Chiffre für den oft postulierten "neuen Menschen" sowie die Erneuerung der Kultur waren Kinder und Jugendliche beliebte Motive in der lebensreformerisch inspirierten Kunst - ob in den Fotografien der FKK-Bewegung, als Illustration der verjüngenden Kraft des Wassers in Werbebildern für Naturheilanstalten oder als Sinnbild für die utopisch-paradiesischen Zukunftsprojekte der Lebensreformbewegung. Besonders in der Jugendbewegung inszenierten sich die Heranwachsenden auch selbst als Trägerinnen und Träger eines neuen Körpergefühls und einer neuen Zeit. Leider verliert Parhammer in diesem Kapitel ihre Forschungsfragen immer mal wieder aus den Augen und bespricht die zahlreichen aufgeworfenen Motive nur exemplarisch. So werden beispielsweise die "Bildwelten der Jugendkultur" (207) auf nur wenigen Seiten abgehandelt. Hier wäre es zielführender gewesen, sich auf die Kernbereiche der Lebensreformbewegung zu konzentrieren und beispielsweise auch Illustrationen aus der vegetarischen und ernährungsreformerischen Bewegung miteinzubeziehen.

Insgesamt zeichnet sich die Dissertation von Claudia Parhammer über die Bilder des Männlichen im Kontext der Lebensreformbewegung durch eine große Variation an untersuchten Motiven, Kunstformen sowie Künstlerinnen und Künstlern aus, wobei auch die abwechslungsreiche und hochwertige Bebilderung des Buches hervorzuheben ist. Die Vielfalt des Materials führt jedoch auch zum größten Kritikpunkt: Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist kaum nachvollziehbar und die Forschungsfragen (Männlichkeit und Lebensreform) werden nicht stringent verfolgt. Trotzdem öffnet das Buch den Blick für ein bisher wenig beachtetes Forschungsfeld, zeigt viele spannende Verbindungslinien zwischen Kunst und Lebensreform auf und regt hoffentlich zu weiterführenden vertiefenden Untersuchungen an.

Stefan Rindlisbacher