Stella Fletcher / Christine Shaw (eds.): The World of Savonarola. Italian élites and perceptions of crisis. Papers from the conference held at the University of Warwick, 29-31 May 1998, to mark the fifth century centenary of the death of Fra Girolamo Savonarola (= Warwick Studies in the Humanities), Aldershot: Ashgate 2000, 276 S., 40 s/w-Abb., ISBN 978-0-7546-0250-7, GBP 45,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.
Catherine Atkinson: Debts, Dowries, Donkeys. The Diary of Niccolò Machiavelli's Father, Messer Bernardo, in Quattrocento Florence, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002
Dirk Hoeges: Niccolò Machiavelli. Die Macht und der Schein, München: C.H.Beck 2000
Götz-Rüdiger Tewes: Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation, Tübingen: Niemeyer 2001
Die Gestalt des florentinischen Bußpredigers aus Ferrara, des einflussreichen "Protoreformators" und radikalen Anklägers des mediceischen Regiments der indirekten Herrschaft, der Prior von San Marco Girolamo Savonarola, wirkt auf seltsame Weise nicht zeitgemäß im Kontext der italienischen Renaissance, exotisch fremd angesichts einer Kultur und Epoche, deren eigener - autopoetischer - Mythos viel eher Assoziationen von lebensfrohen und mit allem Gegenwarts- und Zukunftsoptimismus ausgestatteten Humanistenzirkeln als düstere apokalyptische Visionen oder ein kollektives Selbstbewusstsein von Schuld und Askese evoziert. Erfolg und Nachleben Savonarolas beruhten jedoch wesentlich darin, dass er in der Lage war, Befindlichkeiten und Ängste seiner Zeitgenossen zu formulieren und in Taten, politische Aktionen umzusetzen, kurz: in seiner Zeitgemäßheit. Begreift man den Dominikaner als Exponenten seines Zeitalters, so wird die Verbindung von Savonarola und "Krise" verständlich, die das einigende Moment der 1998 in Warwick abgehaltenen Tagung und des daraus resultierenden Sammelbandes bildete.
Michael Mallett macht in seiner Einleitung deutlich, dass Savonarola als Ausgangspunkt für die Erforschung der Wirkungen der "italienischen Krise" von 1494 bis 1530 auf die elitäre Gesellschaft der Apenninhalbinsel fungierte, dass also der - diskutable - Krisenbegriff das Instrumentarium für die Analyse einer sehr weit gefassten, sowohl sozial als auch kulturell begriffenen "Elite" zwischen "continuity and change" bildete. Der erste der folgenden 17 Beiträge, Lauro Martines' "Literary crisis in the generation of 1494", kann als kulturgeschichtliches Credo der Herausgeberinnen gelesen werden - der politik- und sozialgeschichtlichen Interpretation einer Epoche wird gleichsam das Leitbild der Literatur als primärer Indikator, als Schlüssel zu ihrem Verständnis vorangestellt. Martines identifiziert die prononciert politisch konnotierte literarische Produktion in Italien, die er durch große formale Experimentierfreudigkeit und teilweise exzessive und bizzare Elemente charakterisiert sieht, als Reaktion auf die, als Kompensation der krisenhaften politischen und ökonomischen Situation des Landes - über Sprache und Ideologie der Humanisten hinaus wurde so eine supra-kommunale Kommunikation in einer Situation der Zersplitterung und "Fremdherrschaft" etabliert.
Die folgenden drei Artikel sind dem unmittelbaren Verhältnis Savonarolas zu seiner Wirkungsstätte gewidmet: Alison Brown ("Ideology and faction in Savonarolan Florence") unternimmt den Versuch, in der Analyse von Kampfschriften im Zusammenhang mit der Exkommunikation des Dominikaners die Existenz einer neuen, von ihr als "modern" bezeichneten Partei von Moderaten auszumachen, deren unideologische Ideologie - trotz unterschiedlicher Haltungen zu Savonarola - das einigende Band ihrer Mitglieder ausmachte. Die Bürokraten, Juristen und Funktionäre, "Techniker der Macht", in ihrem Patriotismus und Pragmatismus als Vorläufer Machiavellis interpretiert, gelten für Brown als die Wegbereiter eines modernen Politikstils. Nicolai Rubinstein ("Savonarola on the government of Florence") untersucht den "Trattato zirka il reggimento e governo della città di Firenze" im Kontext der Bemühungen des Dominikanerpriors um die Etablierung einer dauerhaften Polykratie beziehungsweise der Abwehr eines monarchischen Regiments unter der Herrschaft der Medici, deren Gleichsetzung mit Tyrannen sich in die traditionsreiche Opposition zu dem prominentesten Vertreter der Familie, Lorenzo il Magnifico, einreiht.
Dieser Gemeinplatz wird in den Ausführungen Lorenzo Poliziottos ("Savonarola and the Florentine oligarchy") deutlich relativiert: Während man von einer ursprünglichen Interessengemeinschaft Savonarolas und Lorenzo de' Medicis ausgehen kann, wurde - vor allem durch Savonarolas Anhänger - die Feindschaft beider ex post in die frühen Wirkungsjahre des Dominikaners rückprojiziert. Der Schwerpunkt von Poliziottos Untersuchung liegt jedoch in den wechselnden Konjunkturen des Konvents San Marco hinsichtlich der florentinischen Elite: Nach 1494, mit dem Beginn der zentralen Rolle Savonarolas in der Florentiner Innenpolitik, wurde der Konvent, der lange unter mangelnder Akzeptanz in den Kreisen des Patriziats gelitten hatte, zu einer der attraktivsten und elitärsten Rekrutierungsstätten für kirchlich ambitionierte Mitglieder der Oberschicht und zugleich zu einem wichtigen sozialen und ökonomischen Treffpunkt der Stadt. Der rapide Bedeutungsverlust San Marcos nach 1530/32 liest sich unter diesem Gesichtspunkt als exaktes Spiegelbild der politischen und sozialen Geschichte von Florenz im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts.
Die folgenden vier Beiträge stehen unter dem Thema der Krise der Kirche; Melissa Meriam Bullard konfrontiert die Theologie Savonarolas, weltverneinend, gespeist aus frühen monastischen Idealen, mit der des venezianischen Kardinals Marco Barbo, den sie zu einem Protagonisten der Renaissance-Theologie erhebt. Barbo - dessen Integrität sowohl in seinen humanistischen Aktivitäten als auch in seiner kirchenkritischen Haltung und seiner persönlichen Lebensführung verortet wird - gerät jedoch eben nicht zum Repräsentanten einer Epoche, fungiert nicht als Illustration zeitgenössischer Rollenvorstellungen, sondern wird von Bullard ausschließlich als Individuum wahrgenommen - für die Vormoderne ein höchst zweifelhaftes Unterfangen. Gigliola Fragnito geht in ihrem Beitrag "Ecclesiastical censorship and Girolamo Savonarola" dem Verlauf der Diskussion um die Indizierung der Werke Savonarolas in der Indexkongregation nach. Auffällig ist die Verschränkung theologischer und politischer Momente hinsichtlich der Bewertung des Dominikaners, so beispielsweise ablesbar am grundsätzlichen Wohlwollen Clemens' VIII. Aldobrandini, der als Angehöriger einer Familie von "fuorusciti" den antimediceischen Affekt des Reformators mit dem seiner Sippe verband. Die Aufsätze von Stephen D. Bowd ("Vincenzo Querini and the Florentine Piagnoni, 1511-1514") und Ross Brooke Ettle ("Savonarola vs. History: prophetic legacy and historical interpretation") gehen der geschichtsphilosophischen bzw. heilsgeschichtlichen Rezeption nach, die Savonarola in seiner Heimatstadt erfuhr.
Es folgen sechs Artikel, die den Blick auf die gesamtitalienischen Verhältnisse um 1500 eröffnen. Als Gewährsmann für das Konzept "Italien" gilt Niccolò Machiavelli (Humfrey Butters, Power, force, diplomacy and the Roman model in the writings of Niccolò Machiavelli); dem in Machiavelli verkörperten, durch den Rückgriff auf die römische Antike gespeisten, flammenden Aufruf zur Einheit stehen Darstellungen von drei italienischen Einzelstaaten entgegen. Carol Kidwell ("The Neapolitan elites and the French and Spanish invasions") identifiziert vier Gruppen innerhalb der neapolitanischen Oberschicht (Barone, Stadtadel, den "popolo grasso", Humanisten und Beamte) und stellt deren unterschiedliche Loyalitäten hinsichtlich wechselnder Regierungen und Dynastien - zwischen Aragon und Anjou - dar. Michael Malletts "Venetian elites in the crises of the early sixteenth century" konzentriert sich dagegen auf die inneren Entwicklungen des venezianischen Patriziats in einer primär ökonomisch begriffenen Krisensituation; Mallett kann zeigen, dass sich - im Anschluss an die Bankenkrise von 1499 und die Bedrohung des venezianischen Gewürzhandels durch neue portugiesische See- und Handelswege - sowohl auf politischem als auch auf sozialem Gebiet in Venedig deutliche Abschließungs- und Aristokratisierungstendenzen innerhalb der Oberschicht ausmachen lassen. Tessa Beverleys Ausführungen ("Venetian ambassadors on the eve of the French invasion") sind der Versuch, einen Idealtyp des republikanischen Diplomaten zu zeichnen, der - als Teil der politischen Klasse und damit auch innenpolitischer Amtsträger - deutlich von der Figur des fürstlichen Diplomaten, des professionellen Botschafters abgegrenzt wird.
Die letzten zwei Beiträge dieser Sektion sind der Konkurrentin der Arnometropole, Siena, gewidmet: Christine Shaw zeichnet die Etablierung der Alleinherrschaft durch Pandolfo Petrucci im Zusammenhang mit der französischen Invasion und den Konjunkturen der Medici in Florenz nach; Fabrizio Nevola illustriert diese innenpolitischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Architekturgeschichte und kann am Beispiel von zwei Seneser Stadtvierteln - Via del Capitano und Piazza Postierla - demonstrieren, wie deutlich sich Verschiebungen innerhalb der Führungsschicht im Stadtbild niederschlugen, das somit zur Bühne für konkurrierende Machtansprüche wurde.
Der Sammelband endet, wie er beginnt: künstlerisch. Die drei Beiträge, die unter dem Titel "Cultural change" zusammengefasst sind, befassen sich im weiteren Sinne mit römischen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts: Loren Partridge ("Patterns of papal response to the crisis of church authority, 1494-1524") interpretiert die Ausstattung der vatikanischen Stanzen von Julius II. bis zu Clemens VII. als vermehrte Präsentation und Prätention päpstlicher Allmacht angesichts massiver Anfragen an ihre Autorität. David Rosand deutet das Bildprogramm der "Stanza della Segnatura", vor allem die "Schule von Athen" Raphaels, als Ausdruck selbstbewussten und individualistischen Künstlertums unter dem neuen Paradigma der Inspiration. Iain Fenlons Ausführungen ("Music and reform: the Savonarolan legacy") schließlich binden einerseits die Stränge "Savonarola", "Florenz" und "Rom" zusammen, eröffnen andererseits abschließend mit der Musikwissenschaft ein völlig neues Untersuchungsgebiet. Gegen die These von der unbestreitbaren Macht des Tridentinums über kirchenmusikalische Entwicklungen betont Fenlon die im Mönchtum begründeten Kontinuitäten, die - ausgehend von den im Florenz Savonarolas gepflegeten "laudes" - im Oratorium Filippo Neris ihren Ort fanden.
Der Band wird durch keinen Versuch der Zusammenfassung beschlossen - die extrem heterogenen Beiträge, denen auch in der Einleitung kein wirklich gemeinsames Dach, keine sichtbare Fragestellung vermittelt wurde, bleiben somit gänzlich unverbunden. Die Zusammenführung verschiedener Disziplinen kann bei einem chronologisch, geografisch und thematisch derart breiten Zugriff auf ein Phänomen (man ist versucht zu fragen: "Welches?") nicht überzeugen. Viele der Beiträge sind auffallend kurz (vor allem Bowd, Butters, Beverley) und gehen über Apercus kaum hinaus. Um die Synthese nicht allein dem Verlagshaus zu überlassen, wäre eine Klärung der von Mallett einführend angesprochenen schwierigen Begrifflichkeiten (Elite, Krise) unabdingbar gewesen. Doch auch ansonsten wirkt die thematische Zusammenstellung der hier versammelten Untersuchungen recht willkürlich - um ein Panorama Italiens in der Nach-Savonarola-Ära zu entwerfen, hätte der Band wesentlich breiter angelegt sein müssen. Peccato!
Christian Wieland