Rezension über:

Wilhelm Maier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz (Hgg.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000, 262 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7861-2325-5, DM 110,00
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Rezension von:
Thomas Pöpper
Institut für Bildende Kunst, Universität Flensburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Pöpper: Rezension von: Wilhelm Maier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz (Hgg.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 2 [15.02.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/02/2318.html


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Wilhelm Maier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz (Hgg.): Grabmäler

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Ob die Konjunktur der historischen Memoria- und kunsthistorischen Grabmalsforschung mit der Endzeitstimmung des ausgehenden zweiten Jahrtausends zusammenhing, beantwortet der zu besprechende Band - natürlich - nicht. Im Jahre 2000 erschienen, könnte er dessen ungeachtet zu einer Art vorläufigem Schlussstein eines seit langem (nämlich seit den Bahn brechenden Forschungen Erwin Panofskys und Kurt Bauchs, aber auch Leopold D. Ettlingers und Renate Kroos') auf- und zunehmend interdisziplinär ausgebauten Forschungsgewölbes werden. Denn, so hat es bis jetzt den Anschein, das Interesse an der Sepulkralthematik ist nun wieder etwas abgekühlt.

Der sorgfältig edierte und mit einem praktischen Register (aber leider nicht mit einem zusammenfassenden Literaturverzeichnis) versehene Band, der aus einem im September 1997 veranstalteten Kolloquium des Teilprojekts "Grabdenkmäler zwischen Maas und Rhein" im Sonderforschungsbereich "Zwischen Maas und Rhein: Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert" der Universität Trier hervorgegangen ist (siehe den Tagungsbericht von Gottfried Kerscher in: Kunstchronik 51, 1998, 7, 340-344) versammelt zehn Aufsätze von Theologen, Historikern und Kunsthistorikern sowie ein Vorwort (7-10), das seinem Inhalt nach eher ein Nachwort genannt werden müsste. Michael Viktor Schwarz, Mitherausgeber und Autor, skizziert darin das Anliegen und die Thesen des Bandes und wägt zugleich den Ertrag des Unternehmens. Dem Beitrag von Arnold Angenendt ("Das Grab als Haus des Toten. Religionsgeschichtlich, christlich, mittelalterlich", 11-29) wird im Vorwort zugute gehalten, er kläre die ideengeschichtlichen Voraussetzungen von Grabmälern - was zweifellos zutrifft. Angenendts kenntnisreiches Aperçu kann man nur jedem Interessierten zur Einführung in das Thema empfehlen. Schwarz merkt dazu im Vorwort an: "Andererseits zweifelt man, ob visuellen Medien nicht doch noch andere Ergebnisse abzuringen sind als die einer bildwissenschaftlichen Bestätigung und Illustration dessen, was Le Goff, Ariès und andere aus Schriftquellen ableiten (...)" (7) - auch hier wird man zustimmen müssen. Der Gefahr, der sich eine immer stärker auf Quellen fixierte und zunehmend augenscheue Kunstgeschichte ausgesetzt sieht, will der Band das "Gegengift" (8) bereitstellen. Der Aufgabe, das visuelle Surplus zu erfassen, das Grabmäler in ebenso eindrucks- wie wirkungsvolle Mahn- und Denkmäler verwandelt und somit aus liturgischen Realien Kunstwerke werden lässt, stellen sich die großenteils monografischen Aufsätze, welche die Herausgeber in zwei Abteilungen gruppiert haben ("Image und Memoria" sowie "Stiftung und Liturgie") und deren Inhalt hier nicht im Einzelnen referiert werden kann (außer dem genannten Beitrag von Arnold Angenendt ferner Kathryn Brush: "The Tomb Slab of Archbishop Siegfried III von Eppstein in Mainz Cathedral: A Thirteenth-Century Image and its Interpretative Contexts", 33-50; Tanja Michalsky: "'Quis non admireretur eius sapientiam...?' Strategien dynastischer Memoria am Grab König Roberts von Anjou", 51-73; Renate Prochno: "Das Grabmal Philipps des Kühnen (1363-1404) für Champmol. Innovationen und ihre Nachahmung", 75-102; Kerstin Merkel: "Ein Fall von Bigamie - Landgraf Philipp von Hessen, seine beiden Frauen und deren drei Grabdenkmäler", 103-126; Michael Borgolte: "Die Dauer von Grab und Grabmal als Problem der Geschichte", 129-146; Michael Viktor Schwarz: "Liturgie und Illusion. Die Gegenwart der Toten sichtbar gemacht (Naumburg, Worms, Pisa)", 147-177; Sible de Blaauw: "Grabmäler statt Liturgie? Das Presbyterium von Santi Apostoli in Rom als private Grablege 1474-1571", 179-199; Frithjof Schwartz: "Die Memoria bei den Fratres. Das Grabmal des Fra Aldobrandino Cavalcanti und ein dominikanischer Typus für Bischofsgrabmäler", 201-229; Wilhelm Maier: "Grab beim Grabe Christi. Die Memoria des Mainzer Erzbischofs Johann von Nassau", 231-258).

Den Interessen der Autoren entsprechend, treten die technischen und funktionalen Aspekte des profanen und geistlichen Angedenkens oder die rituellen und institutionellen Kontexte der Monumente in den Vordergrund. Den meisten, überwiegend jüngeren Autoren ist dabei wohltuender Weise eines gemein: Sie machen den Grabstein, den sie thematisieren, auch zu ihrer ersten Quelle und zum Prüfstein ihrer Thesen. In dieser nicht ganz neuen Methode trete dem Leser, so Schwarz im Vorwort, die "gute alte Kunstgeschichte" entgegen (8). Diese 'alte Kunstgeschichte' - was immer das auch sei - beweist, da sie gewöhnt ist, von der Einheit von "message" und "medium" auszugehen, dass sie bestens gewappnet ist, den neuen Medien- und Bilderwissenschaften wichtige, vielleicht sogar unverzichtbare Impulse zu liefern. Entsprechend fehlt es den Aufsätzen nicht an modischem Vokabular. 'Strategie', 'Politik', 'Inszenierung', 'Image-Probleme' und den Versuch der nachhaltigen 'Image-Pflege' wittert man allenthalben; gerne wird auch pointiert (zum Beispiel Schwartz: "Die Grabmonumente vom Cavalcanti-Typus sind demnach Stein gewordene Zeugnisse klerikaler Machtkämpfe"; 229). Doch tut das der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil, die einzelnen Aufsätze werfen neue Schlaglichter auf die Monumente und werden sicher gerne zur Kenntnis genommen werden.

Doch besteht das Verdienst des Bandes - wie sein Untertitel zu Recht betont - nicht vor allem in der Belebung der Spezialforschung, sondern in der Exemplifizierung von tauglichen Methoden und ersprießlichen Möglichkeiten, dem komplexen geistes- und kulturgeschichtlichen Phänomen des Grabmonuments auf neue Weise gerecht zu werden. Besonders erwähnenswert in dieser Hinsicht sind die Aufsätze von Michael Borgolte und Michael Viktor Schwarz. Schwarz macht nachdrücklich auf die Funktion von Grabfiguren 'in persona defuncti', das heißt als schauspielerische Darsteller (Worms) bzw. als veristische Vertreter des Toten (Naumburg) aufmerksam, die in der Messfeier ihr 'Libera Me' - wohlgemerkt: in der Ichform - sprechen könnten. Folgt man bis hier, stellt sich die Frage nach dem Erinnerungswert von eher idealen, ikonischen 'toten' Grabfiguren und dem Vertretungsanspruch beziehungsweise der illusionistischen Realpräsenz von 'lebendigen' Totenfiguren neu.

Eine liturgisch aktive Qualität eigne, so Schwarz, auch dem Gisant vom Grabmal des Kaisers Heinrich VII. (Pisa), der ebenso wie die Naumburger Stifterfiguren in den Zeitgenossen die Illusion der persönlichen Präsenz hervorrief. Schwarz verweist für das Heinrich-Monument auf eine bekannte Miniatur in der Bilderhandschrift "Kaiser Heinrichs Romfahrt" (um 1330/40; Landeshauptarchiv Koblenz), die den Gisant nicht als Marmorfigur, sondern als liegenden Toten wiedergibt. Inwieweit die Materialnegation in der Zeichnung topisch sein könnte und auf Darstellungskonventionen der grafischen Gattung beruhen dürfte, wird nicht erörtert. Ohne es ausdrücklich anzusprechen, ist damit im Grunde ein anderes Forschungsfeld eröffnet, das der historischen, psychologischen, künstlerischen (und so weiter) Wahrnehmung und Rezeption von Grabmälern, ein Feld dem - bislang - empirisch schwer beizukommen ist.

Michael Borgoltes Ansatz weist ebenfalls über das Grabmal als Realie hinaus. Am Beispiel des Grabes Karls des Großen in Aachen sowie der Gräber der berüchtigten Borgia-Päpste Kalixt III. und Alexander IV. in Rom bemängelt er pointiert das Desinteresse der Kunsthistoriker dort, wo es kein authentisches Grabmal mehr gibt. Die Dauer von Grab von Grabmal, das heißt deren Wandel in der Zeit (zum Beispiel durch Verfall, Renovierung, Umbau, Verlagerung und so weiter - das heißt immer auch: durch Bedeutungswandel im sozialen Kontext) aber sei eine wichtige Perspektive historischer und sozialhistorischer Forschung. Tatsächlich tut sich hier eine interessante Fragestellung auf, die stärker als bisher versuchen sollte, das im Zeitlauf stets anders instrumentierte 'Nachleben' bestimmter Toter und deren Grabstätten zu erfassen. Dass deshalb aber die schriftlich dokumentierten "unendlich vielen Bestattungen" (134), denen kein Grab im Erdreich mehr zugeordnet werden kann, als Desiderat der Kunstgeschichte bezeichnet werden müssten, ist wohl nicht der Fall.

An dem betagten Forschungsgebäude, das sich über die Grabmäler erhoben hat, sind also wieder neue Gewölbeanfänger angebracht.

Thomas Pöpper