Rezension über:

Caecilie Weissert: Reproduktionsstichwerke. Vermittlung alter und neuer Kunst im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 1999, 235 S., 4 Farb-, 114 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01208-5, EUR 52,00
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Rezension von:
Christof Damelzik
Kunstmuseum Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christof Damelzik: Rezension von: Caecilie Weissert: Reproduktionsstichwerke. Vermittlung alter und neuer Kunst im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 1999, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/01/2300.html


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Caecilie Weissert: Reproduktionsstichwerke

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Seit den 1960er-Jahren wurden der Reproduktion von Kunst zahlreiche Untersuchungen und Ausstellungen gewidmet. Zumeist lagen ihnen kulturanthropologische oder kunstsoziologische Fragen zu Grunde: Wie kommt Rembrandt zu Posterehren? Aber auch für die angestammte Kunstgeschichte erwies sich die Thematik als ergiebig. Hierbei ging es nicht so sehr um die Popularisierung, sondern mehr um ästhetische Diskurse etwa in der englischen oder französischen Kunst des 18. Jahrhunderts. Ikonografie und Kunsttechniken wurden dabei vorrangig untersucht. So ist es möglich, dass gegen Ende der 90er-Jahre ein Buch erschien, das beansprucht, eine Kunstgattung erstmals zu fokussieren, die vorher nicht in ihrer Summe, sondern nur exemplarisch beachtet worden war. Caecilie Weissert publizierte 1999 eine erste Gesamtschau der "Reproduktionsstichwerke" im 18. und frühen 19. Jahrhundert, als Druckfassung ihrer Dissertation "Reproduktionsstichwerke und die Malerei um 1800" von 1997.

Der Untertitel präzisiert, dass diese der "Vermittlung alter und neuer Kunst" dienten; eine leicht missverständliche Formulierung: Im Bücherverzeichnis "Libri" rangiert das Werk in der Rubrik "Kunstpädagogik". Mit Kunstpädagogik haben jene Werke allerdings wenig zu tun. Gleichwohl dienten die behandelten Werke der Vermittlung von Kunstwerken - aber im Sinne einer Rezeptionsgeschichte.

In der Einleitung befasst sich die Autorin zunächst mit der Begriffsklärung und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Sie "möchte den Begriff der Reproduktionsstichwerke auf eine Gattung von Publikationen anwenden, deren ausdrückliche Absicht die Begründung einer Geschichte der Kunst ist" (7). Hieraus ergibt sich eine Betonung des Bild/ Text-Verhältnisses. Für die Gattung gilt, dass sie alle Arten von "Denkmälern" kunst- und kulturgeschichtlicher Art von der Antike bis in die Zeit um 1800 thematisiert. Ein großes Gewicht legt die Autorin allerdings auf die Vorstellung solcher Editionen, die das Repertoire der überlieferten antiken Kunst zum Gegenstand haben. Die im Untertitel angeführte Vermittlung "neuer Kunst" wird eher am Rande thematisiert. Neue Kunst (von Mengs bis Delacroix) wird dennoch umfassend behandelt, insofern sie von Reproduktionsstichwerken beeinflusst ist. Weil Vollständigkeit nicht herstellbar ist, beschränkt sich die Autorin auf die Untersuchung so genannter "Initialwerke", gekennzeichnet durch "innovativen Gehalt" und "Prominenz des Werks" (8). Nur sie sind im abschließenden Katalog aufgeführt (siehe unten).

Die Kapiteleinteilung folgt kunsthistorischen Fragestellungen und einer Chronologie zugleich, wobei sich die jeweils behandelten Zeitspannen überschneiden. Nach einer den Einleitungsteil abschließenden Übersicht über antiquarische Studien vor 1700 setzt das erste Kapitel "Von der Text- zur Bildquelle" mit der "Antiquité expliquée et representée en figures" (ab 1719) des Abbé Bernard de Montfaucon ein. Weissert sieht bei Montfaucon ein überwiegend kulturgeschichtliches Interesse. Beschreibung und Abbildung ergänzen sich zu einer möglichst vollständigen Geschichte. Über Caylus, Mariette und Crozat - die Reihenfolge folgt nicht der Chronologie - gelangt die Autorin zu Winckelmann, dessen sehr unterschiedlichen Reproduktionsstichwerken sie besondere Aufmerksamkeit widmet. Sie beschreibt wie zuvor Strukturen und Intentionen der Ausgaben. Darüber hinaus diskutiert sie Winckelmanns Ästhetik, wobei sich der Zusammenhang zum Hauptthema nicht immer erschließt. Ein erster Exkurs zu Asmus Jacob Carstens skizziert äußerst knapp dessen Rezeption von Reproduktionsgrafik.

Das zweite Kapitel ist Reproduktionen antiker Malerei gewidmet. Ihre Rezeption durch verschiedene Künstler wird in Exkursen beschrieben, unter ihnen Anton Raphael Mengs, Jacques-Louis David, John Flaxman und Jean-Auguste-Dominique Ingres. Ausführlich würdigt die Autorin die Bedeutung der Umrisslinienreproduktion. In dieser Passage wird deutlich, dass die Analyse der Gestaltungsmodi der Bildtafeln zu grundlegenden Erkenntnissen führen kann. Zumeist aber bleiben die Beschreibungen einzelner Tafeln und Bilder durch die Autorin zu allgemein. Zur Bedeutung der Umrisslinie in Stichwerken stellt sie abschließend fest: "Letztlich werden die sich in der Reproduktion manifestierenden, nicht antiken, sondern modernen Ideen zur Grundlage einer neuen Kunst. (...) gerade weil das Medium der Stichreproduktion den gestellten Ansprüchen einer exakten Wiedergabe nicht genügen kann, werden die Wiedergaben eigenständig (...). Entscheidend ist, dass durch ihre Abbildungen ein ästhetisches Potenzial transportiert wird, das unter dem Etikett wahrer reiner Kunst neue starke Ausdrucksmittel dem rezipierenden Auge vertraut macht." (130)

Anhand der Editionen "Musée Français", "Annales du Musée" und "Musée des Monumens Français" fokussiert die Autorin im dritten Kapitel die Gedächtnis stiftende Funktion von Reproduktionsstichwerken. Sie setzten "die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht mehr nur unter dem Aspekt der Wissenschaft und Schulung ein, sondern auch zur Vermittlung individueller und patriotischer Werte" (141). Allerdings geraten die Abschnitte sehr kurz. Die Forschungen zum kulturellen Gedächtnis und zu ästhetischen Mentalitäten sind nicht berücksichtigt. So mündet das Kapitel im Ausblick auf die Entwicklung des illustrierten Sammlungsführers. Hierzu jedoch hätte es sich angeboten, ein früheres Werk in den Katalog aufzunehmen, die 1778 erschienene "Galerie Electoral de Dusseldorff ou Catalogue Raisonné et figuré de ses Tableaux (...)" des Nicolas de Pigage. Sie erfüllt die eingangs erwähnten Auswahlkriterien, weil sie innovativ und vorbildhaft war. Dieser erste "Catalogue Raisonné" zeigt in zahlreichen Kupfern die gesamte Düsseldorfer Kunstsammlung in der Wandabwicklung. Ergänzt wird der Katalog durch ausführliche Beschreibungen. Im Jahr 1805 erschien eine Art Taschenbuchausgabe des voluminösen Werks.

Der Katalog der behandelten Reproduktionsstichwerke beschließt den Band. Er lässt einige Wünsche offen. Er ist beschreibend gehalten, darunter leidet die Übersichtlichkeit. Sehr uneinheitlich ist der Informationsgehalt der einzelnen Katalogabschnitte. Nur zwei Beispiele seien genannt: Es ist nicht möglich, die Erscheinungsdaten einzelner Bände von Werken mit mehrjähriger Erscheinungsdauer aufzufinden. Verlagsangaben finden sich nicht. Erschwert wird die Benutzung auch dadurch, dass bibliografische Angaben zusätzlich im Literaturverzeichnis nachzuschlagen sind. Zur Ausstattung des Bandes gehört ein Tafelteil mit vier Farb- und 110 Schwarz-Weiss-Abbildungen von akzeptabler Qualität, aber leider zu oft in Miniaturformaten.

Insgesamt ist es sehr begrüßenswert, dass die Autorin den Entwurf einer Gattungsgeschichte der Reproduktionsstichwerke geliefert hat. Künftige Forschungen können das Gebiet nun leichter erschliessen. Anknüpfungspunkte bietet das Buch zur Genüge.

Christof Damelzik