Rezension über:

Michaela Walliser-Wurster: Fingerzeige. Studien zu Bedeutung und Funktion einer Geste in der bildenden Kunst der italienischen Renaissance (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 376), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 256 S., 25 Abb., ISBN 978-3-631-37500-6, EUR 40,40
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Till Busse
Koenemann Verlag, Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Till Busse: Rezension von: Michaela Walliser-Wurster: Fingerzeige. Studien zu Bedeutung und Funktion einer Geste in der bildenden Kunst der italienischen Renaissance, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/01/3489.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Michaela Walliser-Wurster: Fingerzeige

Textgröße: A A A

Diese Studie widmet sich einem nur scheinbar speziellen Thema, der Bedeutung und Funktion weisender Figuren in der Kunst des Quattrocento und frühen Cinquecento. Michaela Walliser-Wurster hat damit jedoch eine Reihe von Überlegungen veröffentlicht, die immer wieder benachbarte Themenbereiche anschneiden und vor allem den Blick für die Komplexität einer scheinbar simplen Geste schärfen.

Walliser-Wursters Buch analysiert zunächst den Fingerzeig in seiner Figuren kennzeichnenden Funktion. Er ist beispielsweise charakteristisches Attribut des Täufers, das sich aus Johannes 1:29 ergibt, wo der Täufer Jesus mit diesen Worten bezeichnet: "Siehe, das ist das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt!" Aus dem narrativen Zusammenhang wird die Heiligenfigur herausgelöst und in dieser Bewegungssprache isoliert. Johannes wird oft im Zusammenhang einer 'Sacra Conversazione' mit diesem Gestus gezeigt, doch beschäftigt sich die Autorin auch mit den als Schmuck von Taufkapellen gedachten Einzelfiguren des Johannes, deren Gestik weit weniger eindeutig ist.

Neben dem auf konkrete Orte verweisenden Gestus, der auch bei Propheten anzutreffen ist, existiert jedoch auch eine Ikonographie des Täufers mit weniger festgelegter räumlicher Verortung. Oft weist der Täufer gen Himmel, oder wie der Täufer Leonardos im Louvre, auf einen unbestimmten Ort über sich beziehungsweise hinter sich. Diese Figur deutet Walliser-Wurster als (wohl von himmlischen Dingen redenden) Prediger in der Wüste, dessen Geste den Akt der Rede illustriert. Sie bringt die Figur des Täufers in den - legitimen - Zusammenhang mit Darstellungen der Propheten und Verkündigungsengel.

Die Gestik dieser Figuren wird im Laufe des 15. Jahrhunderts immer natürlicher und ausdrucksstärker, was Walliser-Wurster durch den Einfluss antiker Rhetoriker und Leon Battista Albertis erklärt. Seelenbewegungen werden durch die Körpersprache einer Figur verdeutlicht, doch entsteht durch das Kriterium des Natürlichen auch didaktische Uneindeutigkeit. Den Schriften Albertis entstammt ebenfalls die Figur des Mittlers, der die Trennung zwischen Bildraum und Betrachterraum überbrückt. Ausgehend von Ghiberti erscheint diese Rolle im Laufe des Jahrhunderts in Florenz immer häufiger und wird oft von Maria oder einem Heiligen, manchmal von Johannes dem Täufer übernommen. Deren Mittlerfunktion als Fürbitter, als Instanz zwischen Gott und der Gemeinde ist auch theologisch festgeschrieben.

An der Wende zum 16. Jahrhundert ereignet sich jedoch eine Art Säkularisierung der Geste. Dies verdeutlicht die Autorin an einem Fresko Andrea des Sartos in SS Annunziata in Florenz. Dort weist der Künstler selbst im Gespräch auf den Betrachter. Del Sarto unterstreicht damit die kunsttheoretischen Forderungen nach einer Betrachterorientierung des künstlerischen Werkes und spielt eventuell gleichzeitig auf die Rolle des Künstlers als Schöpfer an, dessen bildinterne Figuren als von ihm erschaffene Wesen erscheinen. Der Künstler baut also einen metasprachlichen Diskurs in sein Bild ein. Im abschließenden Teil der Studie wird der Weisegestus in seiner erzählerischen, sinnstiftenden und kompositionell-choreografischen Funktion eingehend analysiert, vor allem anhand der Werke Masaccios (des "Zinsgroschens" in der Brancacci-Kapelle) und Leonardos (des "Abendmahles"). Der Betrachter wird in seiner Bildschau durch die Weisegesten gelenkt und damit in seiner Deutung des Werks beeinflusst und nicht zuletzt wird ein System weisender Gesten in der Kunst des 16. Jahrhunderts zu einem entscheidenden kompositionellen Mittel.

Walliser-Wursters Verdienst liegt in der genauen Analyse der verschiedenen Sinnnuancen und Deutungsmöglichkeiten eines Details, das oft vergessen wird, aber als entscheidender "Hebel" einer Interpretation dienen kann. Diese Sensibilisierung bedeutet einen fundamentalen Fortschritt. Methodologisch weist die Arbeit jedoch gewisse Mängel auf. Sinnvoll wäre eine Auseinandersetzung mit semiotischen Techniken gewesen, in erster Linie, um mit größerer Begriffsschärfe zu agieren. Auch ist es problematisch, ein Werk des frühen Cinquecento mit Gedanken aus Hegels "Ästhetik" zu interpretieren. Hier wäre - im Sinne Michael Baxandalls - strengeres Vorgehen mit dem Begriff des Erwartungshorizontes (ein Arbeiten mit mehr epochenimmanenten Quellen) zu erwarten gewesen und wiederum mit grundlegenden Gedanken der Rezeptionsästhetik.

Ikonografische Erläuterungen, etwa zum Thema der Anbetung der Könige, sind einige Male nicht auf dem aktuellen Stand. Weiterhin sind Orthografie und Interpunktion des Textes oft nicht korrekt, was sicherlich nicht der Autorin selbst, sondern einer mangelhaften Betreuung durch den Verlag zuzuschreiben ist. Trotz dieser kleinen Mängel stellt Walliser-Wursters Arbeit ein wichtiges Instrument zur Verfeinerung der Bildbetrachtung und Interpretation dar.

Till Busse