Carl A. Hoffmann / Rolf Kießling (Hgg.): Kommunikation und Region (= Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen; Bd. 4), Konstanz: UVK 2001, 442 S., ISBN 978-3-89669-989-3, EUR 49,00
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Der Sammelband "Kommunikation und Region" vereinigt inklusive der Einleitung von Rolf Kießling vierzehn Beiträge, die zu den Kapiteln I. Theoretische Grundlagen und methodische Vorüberlegungen, II. Kommunikation als Faktor regionaler politischer Ordnung, III. Kommunikation und die Strukturen ökonomischer Organisation und IV. Gesellschaftliche Gruppen und regionale Kommunikation gruppiert wurden. Kießling fächert das Begriffsfeld von Kommunikation und Region auf und erläutert die Absicht des vorliegenden Bandes: Aus der Perspektive der Landes- und Regionalgeschichte spezifische Fragestellungen für diesen Themenkomplex zu entwickeln. Im Zentrum steht die räumliche Dimension von Kommunikation. Kießling steuert dabei auf eine inhaltliche Raumbestimmung zu, die jenseits der staatlich-territorialen Einheiten liegt und empirisch zu bestimmen ist. Sie ist mithin nicht Ausgangspunkt, sondern Teil des analytischen Prozesses. "Das Erkenntnisziel liegt darin, die Relevanz eines historischen Phänomens, das heißt die Stellung und Entwicklung einer entsprechenden Raumeinheit ('Region') in der Zeit zu erfassen." (21) Die Leitthese des Sammelbandes formuliert Kießling daher folgendermaßen (22): "Kommunikation konstituiert über ihr Beziehungsgefüge historisch-relevante Räume, wenn ihre nach innen gerichtete Interaktion deutlich dichter ausfällt als die nach außen gerichtete."[1]
Wolfgang E. J. Weber geht es um die Klärung der Leitbegriffe 'Region' und 'Kommunikation'. Eine Region definiert er "als eine objektiv und subjektiv hinreichend abgegrenzte sub- oder suprastaatliche Raumeinheit, die konstituiert ist aus der Wahrnehmung, Bewertung und dem Umgang einer gesellschaftlichen Gruppe (...) mit den geographischen Gegebenheiten (...) vor allem im Hinblick kultureller, sozialer und ökonomischer Bedürfnisse" (46). Kommunikation ist hier als wesentlicher räumlicher Konstitutionsfaktor bereits inbegriffen. Kommunikation wird als Prozess der Übermittlung von in Zeichen repräsentierter Information von einem/mehreren Sender(n) zu einem/mehreren Empfänger(n) gefasst. Sie erfüllt vor allem die Funktionen der Unterrichtung, der Meinungsbildung, der Unterhaltung und der Vergesellschaftung. Für alle vier finden sich beispielhafte Fallstudien in diesem Band. Weber behandelt die soziale, ökonomische, politische und kulturelle Perspektive, unter der Kommunikation ein Kriterium für die Entstehung eines Raumes ist. Auch hierfür bietet der Band eigene Beispiele.
In einem Überblick über die Geschichtsforschung zur Öffentlichkeit diskutiert Carl A. Hoffmann verschiedene Definitionen des Begriffes. Letztendlich erweist sich die begriffliche Definition von Öffentlichkeit für die einzelnen Untersuchungen nicht als entscheidend, wichtiger sind die untersuchten Kommunikationskreise und -räume. "Auffällig sind epochenübergreifende Kontinuitäten politischer Öffentlichkeit gerade bei der Betrachtung kleinerer räumlicher Einheiten." (109)
Es geht darum, die Raumbeziehungen und ihre Entwicklung in bestimmten historischen Phasen zu analysieren. Es fällt dabei ins Auge, dass unterschiedliche Funktionen unterschiedliche Regionen zu konstituieren in der Lage waren. Das Ziel oberschwäbischer Reichsstädte, die einmal erkämpfte Autonomie zu stabilisieren, führte dazu, dass sie auf Grund räumlicher Nähe stärker zusammenarbeiteten. Peer Friess befasst sich mit der politischen Verflechtung der Kommunen innerhalb ihrer Region, mit der Intensität, Reichweite und Zusammensetzung der reichsstädtischen politischen Kommunikationskreise. Es ergibt sich eine "Aufteilung Südwestdeutschlands in politische Landschaften, deren Rückgrat jeweils zentralörtlich strukturierte Städtelandschaften bildeten, die in Aufbau und Funktionsweise deutliche Analogien zur wirtschaftsräumlichen Gliederung aufweisen". (136)
In der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft wurde mit Hilfe ständig neu geknüpfter Bündnisse Frieden und Recht gewahrt. Dorothea A. Christ urteilt, dass auf diese Weise ein flexibles Kommunikationssystem entstanden sei, das gerade auf Grund seiner Wandlungsfähigkeit über Jahrhunderte hinweg bestehen konnte. Das Bündnissystem bot die Voraussetzungen dafür, dass aus Konflikten und gegenseitiger Abgrenzung produktive Kommunikationsprozesse entstanden.
Der Transfer von Informationen oder Geld stand in den folgenden Beispielen im Vordergrund: Der Hospitalorden von Santo Spirito sammelte in seinem ganzen Verbreitungsgebiet (Frankreich, deutschsprachiger Raum, Italien) gezielt Almosen. Seine Organisationsstrukturen waren vornehmlich auf den finanziellen Aspekt gerichtet. Der Orden hatte während des Mittelalters ein weitreichendes, effektives Geldtransfernetz zwischen Rom und den einzelnen Spitälern aufgebaut. Gisela Drossbach zeigt, dass es einerseits möglich war, dass eine Niederlassung sich in der Selbstdeutung sehr weit vom Mutterhaus entfernte, während sie andererseits über das Geldtransfernetz und die Organisation des Almosenwesens aufs engste mit Rom verbunden war.
Andreas Meyer stellt dar, wie die Mitglieder der "Großen Ravensburger Handelsgesellschaft" in der Region durch Konnubium untereinander verknüpft waren. Mark Häberlein untersucht das Kommunikationsnetz einer großen oberdeutschen Handelsgesellschaft, der Welser-Vöhlin-Gesellschaft (1496-1517). Er definiert Kommunikation in diesem Kontext als soziale Interaktion, im Vordergrund steht der wechselseitig stattfindende Prozess der Bedeutungsvermittlung. Die Kommunikationsnetze der Faktoreien bildeten die Grundlage für ein Nachrichtensystem, das sowohl interne Informationen wie auch allgemeine Neuigkeiten verbreitete. Die letzteren erreichten vor allem Fürsten, Gelehrte, Stadtpolitiker und Drucker. Damit wurde ein Beitrag zur Entstehung vormoderner Öffentlichkeit geleistet. Faktoreien können aber auch als Felder sozialer Interaktion beschrieben werden, in denen Ressourcen und Informationen ausgetauscht wurden. Durch ihre Verknüpfungen mit dem regionalen wie dem überregionalen, europäisch-überseeischen Raum waren Handelsgesellschaften Schnittstellen zwischen regionalen und überregionalen Wirtschaftssystemen.
Wolfgang Scheffknecht untersucht die Kommunikationsnetze der Grafen von Hohenems. Über die technischen Aspekte wie Botenwesen und Knotenpunkte hinaus interessieren ihn die sich daraus ergebenden Wahrnehmungshorizonte und die Kommunikationsstrukturen. Die Entwicklung des gräflich hohenemsischen Kommunikationsnetzes verlief von fallweiser Nachrichtenübermittlung über ein eigenes, recht weit verzweigtes Botensystem bis zur Integration dieses Systems in die Reichspost.
Für die Migrationsforschung könnte Kommunikation eine wichtige analytische Kategorie werden. Migration als Beziehung zwischen Regionen und als Beitrag zur Bildung von Regionen ist das Thema des Aufsatzes von Reinhold Reith. Die räumliche Dimension des Augsburger Arbeitsmarktes war vor allem lokal/regional. Viele Gesellen pendelten aus dem Umland in die Stadt zur Arbeit. Dementsprechend wurde der regionale Arbeitsmarkt von der Stadt dominiert, die in Augsburg geltenden Regelungen fanden auch im Landhandwerk Geltung. Überregionale Beziehungen gab es durch Saisonarbeiter, die vor allem aus Tirol kamen, und in kleinen, stark spezialisierten Handwerken.
Mit der Migration von Savoyarden befasst sich Martin Zürn. Sein Ziel ist es, Kommunikation und Region als grundlegende Kategorien von Migrationsprozessen zu analysieren. Er arbeitet mit dem Begriff des Forums als sozial verdichteter Institution, die gestufte Öffentlichkeitsformen schafft. Durch Zugangsregelungen ist jede Verständigungsform vorstrukturiert und in ihrem Verlauf reglementiert. Ein Forum hat die Tendenz, zwischen System und Lebenswelt zu vermitteln, es hat demnach zentrale sozialisierende kommunikative Funktionen. In fünf Arbeitsschritten - von der statistischen Erfassung der Migration der Savoyarden über Heiratsstrategien, Vergleich mit vagierenden Savoyarden, der Untersuchung zeitgenössischer Ausdrucksformen dieser Strukturprobleme bis hin zur Migration als Resultat von Systemzwängen - gelingt es Zürn, Integration und sozialen Aufstieg, aber auch Abrutschen in die Armut und vagierendes Leben zu erklären.
Die formellen und informellen Beziehungen zwischen Anführern und Befehlsleuten, Söldnerunternehmern und Werbern, Obristen und Kriegsknechten eines Söldnerheer wiesen verschiedene Kommunikationsknotenpunkte auf. Jedem Fähnleinsführer standen bestimmte Amtsträger zur Verfügung, die jeweils eine bestimme Aufgabe wie die Versorgung der Männer, Rechtsprechung oder Aufstellung der Zug- und Schlachtordnung hatten. Daneben gab es, so Reinhard Baumann, die vom ´gemeinen Mann´, also den Knechten, besetzten sogenannten Gemeinämter. Auf diese Weise war der Tross von einem Ämternetz durchzogen, welches wiederum die Kommunikation zwischen allen beteiligten Gruppen ermöglichte und strukturierte.
Als wichtigstes Element kommunikativer Beziehungen einer Adelsgesellschaft auf dem Lande charakterisiert Barbara Kink die Pflege verwandtschaftlicher und nachbarlicher Kontakte. Auch über weitere Entfernungen wurden tragfähige Kommunikationsnetze geknüpft. Die verbindende soziale Komponente war das gemeinsame Standesethos. Adelige erlebten demnach nicht so sehr eine regionale Identität, sondern vielmehr eine vom sozialen Stand gestiftete.
Sabine Ullmann beschreibt eine besondere Form von Kommunikation: den Prozess vor einem Reichsgericht. Konflikte, die vor dem Reichshofrat entschieden wurden, waren häufig im Zuge des territorialstaatlichen Arrondierungsprozesses im Reich entstanden. Kontroversen um konkurrierende Hoheitsrechte waren dabei typische Begleiterscheinungen. Das Hauptaugenmerk richtet Ullmann auf einzelne Verfahrensschritte und auf den Weg, auf dem der Reichshofrat schließlich die Einigung erzielte. Es schälen sich folgende kommunikative Strategien eines Krisenmanagements heraus: Die Verlegung des Gerichtsortes von Wien in die Region durch den Einsatz einer Kommission, schriftlicher Austausch von Petitionsschriften und eine umfangreiche Zeugenbefragung.
Leider fehlt einigen Beiträgen eine genauere Definition von Kommunikation und Region beziehungsweise der Hinweis, dass die Leitthesen von Kießling oder die Definitionen von Weber übernommen werden. Nicht jeder Beitrag kann das Versprechen einlösen, Kommunikation als konstituierenden Faktor für eine Region zu analysieren und auf diesem Weg eine Region räumlich zu skizzieren. Trotzdem bietet der Band durchweg gute und interessante Fallstudien und darüber hinaus das Unternehmen, Region und Kommunikation als analytische Kategorien der Geschichtswissenschaft miteinander zu verknüpfen.
Ursula Löffler