Christoph Merzenich: Vom Schreinerwerk zum Gemälde. Florentiner Altarwerke der ersten Hälfte des Quattrocento. Eine Untersuchung zu Material, Konstruktion und Rahmenform, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2001, 279 S., 5 Farb-, 173 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2338-5, EUR 102,00
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Frame studies haben sich seit den Neunzigerjahren ein festes Terrain im Spektrum kunsthistorischer Arbeitsfelder erobert. Grob gesagt, lassen sich dabei zwei divergierende Spielarten unterscheiden, die sich im Idealfall fruchtbar ergänzen: Die eine hat eher theoretisches Profil und interessiert sich unter semiotischen, rezeptionsästhetischen oder poststrukturalistischen Prämissen für den konstitutiven Anteil des Rahmens an allen Bildfunktionen [1], die andere ist praktisch orientiert und versucht Licht in die materielle Kultur des Rahmenmachens zu bringen [2]. Die von Christoph Merzenich vorgelegte Studie zu den Florentiner Altarretabeln der ersten Quattrocentohälfte ist unschwer letzterer Gruppe zuzurechnen. Thema des Buches ist das hölzerne Korpus der Retabel, die Gesamtheit von Bildträger und Rahmenwerk als setting der späteren Bemalung. In mühevoller Kleinarbeit hat der Autor, ausgebildeter Restaurator und Kunsthistoriker, zahllose materielle Befunde und archivalische Quellen zu einem beeindruckend detailgenauen Mosaik zusammengetragen.
Der Titel lässt in seiner Doppeldeutigkeit zwei zentrale Themen des Buches anklingen: zum einen den häufig beschworenen Paradigmenwechsel zwischen alter und neuer Retabelform (Polyptychon versus tavola quadrata), zum anderen die Arbeitsteiligkeit von schreinerischer und malerischer Retabelproduktion. Weite Teile des Buches sind auf eben diesen Herstellungsprozess der Retabel zugeschnitten, der modellhaft in allen charakteristischen Stationen vorgestellt wird: Auftragserteilung und Vertragsabschluss, Entwurf und Konstruktion, Vergoldung und Oberflächenbehandlung, Transport und Bezahlung. Für die Herstellung des hölzernen Retabelkorpus waren die "legnaiuoli" verantwortlich, eine, wie dargelegt wird, erstaunlich heterogene Berufsgruppe, deren Leistungsprofil von primitiven Tischlerarbeiten bis zu filigraneren Schnitz- und Drechselkünsten reichte. Gemeinsam ist den legnaiuoli, dass sie eher im Neben- denn im Haupterwerb als Retabelschreiner wirkten, für eine Spezialisierung war die Auftragslage zu unsicher: Normalerweise arbeiteten sie als Bautischler, Chorschreiner oder Architekten. Merzenichs Rehabilitierung dieses lange vergessenen Personenkreises lässt wenig Platz für romantische Idealisierungen: Obwohl die legnaiuoli in Eigenverantwortlichkeit agierten und nicht, wie bisher oft angenommen, als Angestellte der Maler, blieb ihnen bei der Ausarbeitung der Retabel nur geringer innovativer Spielraum. Im Regelfall sorgte der Auftraggeber dafür, dass der Vertrag eine Reihe gestalterischer Auflagen festschrieb. Das übliche Verfahren hierfür war die "modo-et-forma-Auflage", die Nennung von Vorbildern für die äußere Aufmachung des Altarwerks. Eigene Entwurfszeichnungen des legnaiuolo oder des Malers waren weniger gebräuchlich. Die Präferenz für die modo-et-forma-Auflage garantierte die Übereinstimmung mit bereits realisierten Retabelformen innerhalb der städtischen Kirchen. Merzenich kann damit eine wichtige Erklärung für die erstaunliche Kontinuität des Florentiner Retabeldesigns beibringen.
Auch die materielle Realisierung der Altarwerke wurde in hohem Maße von den Wünschen der Auftraggeber diktiert, sie legten die Fertigungszeiten fest, die je nach Kassenlage verkürzt oder gestreckt wurden, sie drängten auf kostensparendes Arbeiten, das die Verwendung teurerer Holzarten in der Regel ebenso ausschloss wie filigrane Schnitzapplikationen oder aufwändige Holzverbindungen. So entsteht das Bild einer oft anspruchslosen und improvisierenden, bisweilen sogar regelrecht mängelbehafteten Produktion der legnaiuoli. In den Augen der Auftraggeber waren die Retabelschreine ein bloßes Trägermedium, welches später hinter der prächtigen Oberflächenwirkung von Vergoldung und Bemalung zum Verschwinden gebracht wurde. Selbst Maler wie Fra Angelico erhielten unter diesen Umständen wurmstichiges Holz für ihre Arbeiten geliefert. Zunftvorschriften mit Qualitätsnormen, dies wird wiederholt betont, fehlten im Florenz der Frührenaissance, die Einhaltung qualitativer Standards blieb den Gesetzen des freien Marktes überlassen.
Die Aushändigung des fertig geschreinerten Altarwerkes setzte dann einen deutlichen Schnitt innerhalb des Herstellungsprozesses, der unter Umständen mit einer längeren zeitlichen Zäsur einhergehen konnte. Grundierung wie Vergoldung von Malfläche und Rahmen oblagen dem Werkstattbetrieb des Malers. Die bisher in verschiedenen Fällen vermuteten langen Herstellungszeiten von Retabeln entpuppen sich so oft als das Ergebnis langer Ruhephasen, in denen der Auftraggeber die nötigen Mittel zur weiteren Finanzierung erwirtschaften musste. Der eigentliche Löwenanteil der Kosten, dies zeigt der Überblick über ein halbes Hundert von Altarpreisen, stand zu diesem Zeitpunkt nämlich noch aus, kam die Arbeit des Malers doch in den meisten Fällen drei- bis siebenmal teurer zu stehen als die des Schreiners.
Wichtige Anknüpfungspunkte für eine eher theoretisch orientierte Rahmenforschung bildet das umfangreiche Kapitel zur Typologie der Altarwerksformen. Merzenich verzichtet sinnvollerweise auf eine allzu kasuistische Feingliederung und konzentriert sich ganz auf den elementaren Kontrast der beiden Grundtypen Polyptychon und tavola quadrata. Seine diesbezügliche These lautet, dass die Leitformen der Rahmen aus den Leitthemen der Bilder erklärt werden können. Das Polyptychon, so der Autor, dominiert in einer Phase, in der hierarchische Gruppierungen heiliger Personen das bevorzugte Sujet der Retabel abgeben. Der Aufstieg der tavola quadrata wäre dann mit einer Bevorzugung narrativer Hauptthemen verknüpft, die nach durchgängigen Fiktionsräumen verlangten. Gegen diese verführerisch einfache Formel ist jedoch sogleich einzuwenden, dass die mittelalterliche Bildkunst ungezählte Beispiele vielteiliger Rahmenformen kennt, die für narrative Füllungen ersonnen wurden. Eine rein ikonografische Klassifikation der Bildgegenstände zur Erklärung der Rahmentypologie greift also zu kurz. Vielmehr ist mit neueren Forschungen davon auszugehen, dass die Emergenz der rechteckig gerahmten Renaissance-Pala von einem neuen Bildkonzept getragen wurde. Bestandteil dieses Bildkonzepts waren neue Maßstäbe perspektivischer Ansichtigkeit aber auch planimetrischer Überschaubarkeit des Gemalten [3].
Wir sind damit bereits mitten in der Diskussion der Epochenschwelle zwischen "Schreinerwerk" und "Gemälde" angelangt, auf die der Titel des Buches ja ebenfalls anspielt. Laut der von Merzenich - sehr ausschnitthaft - nachgezeichneten Forschungsdebatte ist der Übergang zum rechteckigen Mono-Retabel eine Erfindung, die über die neue Ausstattungskonzeption der Brunelleschi-Kirchen eingeführt und institutionalisiert wird [4]. 1434 fasst das Kapitel von San Lorenzo den Beschluss, zur Ausstattung der Kapellen nur noch eine einzelne tavola quadrata vor weißer Wand zuzulassen. Gardner-von Teuffel und Locher haben dieses Ausstattungskonzept Brunelleschi zugeschrieben und darin einen Funktionswandel der Retabelrahmung erkannt, die nunmehr als Grenze zwischen dem realem Raum des Kirchenbaus und dem fiktionalem Raum des Bildes diene. In diesem Zusammenhang sei ein architektonischer Rahmenaufbau aus Pilaster- und Gebälkelementen privilegiert worden. Die Einwände Merzenichs gegen diese Argumentation sind keineswegs neu und von der Forschung bereits als Schwierigkeit gesehen worden: vor 1450 ist kein Originalrahmen einer tavola quadrata bekannt, der durchgängig all'antica, das heißt allein aus Pilaster-Gebälk-Elementen aufgebaut wäre (ein früherer Präzedenzfall im Medium der Steinskulptur, auf den Locher verweist, ist Donatellos Cavalcanti-Verkündigung). Angesichts von nur fünf erhaltenen Pala-Rahmungen dieses Zeitraums ist dies aber keine zwingende Widerlegung der Brunelleschi-These, zumal gerade in einer solchen Umbruchphase ein hohes Maß an variierender Streuung zu erwarten ist. Dazu kommt, dass die technischen Beobachtungen des Autors in vielerlei Hinsicht den Eindruck eines Paradigmenwechsels bestätigen: Mit der tavola quadrata verknüpfen sich andere (stärker arithmetisch basierte) Proportionierungsverfahren und andere Herstellungsabläufe, die zu einem gewandelten Verhältnis von Bild und Rahmung führen: wo Malfläche und Rahmenwerk im Fall der Polyptychen eine unauflösliche konstruktive Einheit bildeten, werden sie im Fall der Renaissance-Pala prinzipiell voneinander lösbar. Damit wird im Florenz dieser Zeit eine Entwicklung greifbar, die zum heutigen Modell der Bild-Rahmen-Relation überleitet.
Merzenichs Studie kommt das Verdienst zu, einen wichtigen Beitrag zur Bergung einer immer wieder vernachlässigten und vergessenen Praxis geliefert zu haben, welche die Arbeit der Maler entscheidend vorstrukturierte. Ein umfangreicher Anhang zu Quellen und Proportionsberechnungen sowie ein sehr kompletter Abbildungsapparat machen das Buch zu einem nützlichen Werkzeug für zukünftige frame studies. An einigen Stellen hätte ein Mehr an didaktischer Aufbereitung dazu beitragen können, die interessanten Beobachtungen des Autors leichter nachvollziehbar zu machen (einer ausführlicheren Erläuterung hätte insbesondere das Kapitel über Maße und Proportionen, aber auch so mancher Abbildungshinweis bedurft). Trotz dieser Einschränkung machen die Akribie der Sammlung und Durchdringung des Materials das Buch zu einer lohnenden Lektüre.
Anmerkungen:
[1] vgl. Paul Duro (Hrsg.), The Rhetoric of the Frame, Cambridge 1996.
[2] z.B. Pieter J.J. van Thiel, Framing in the Golden Age. Amsterdam 1995.
[3] Hubert Locher, Das gerahmte Altarbild im Umkreis Brunelleschis, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 56 (1993), 487-507.
[4] neben der in [3] genannten Studie Lochers fehlt in diesem Zusammenhang der Aufsatz von Viktor Schmidt, Filippo Brunelleschi e il problema della tavola d'altare, in: Arte Cristiana 80 (1992), 451-461.
David Ganz