Heiko Laß (Hg.): Von der Burg zum Schloss. Landesherrlicher und Adeliger Profanbau in Thüringen im 15. und 16. Jahrhundert (= PALMBAUM Texte. Kulturgeschichte; Bd. 10), Bucha bei Jena: quartus-verlag 2001, 231 S., 102 Abb., ISBN 978-3-931505-80-6, EUR 17,40
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Die vorliegende Publikation ist Ergebnis eines gemeinsam vom Marburger Burgen-Arbeitskreises e.V. und dem Förderverein Schloss Beichlingen e.V. organisierten Kolloquiums, das im Oktober 1999 auf Schloss Beichlingen in Thüringen stattfand. Der Titel des Bandes diente bereits so mancher Veröffentlichung als "Headline" und umreißt treffend eine in jüngster Zeit wieder stärker beachtete Thematik - den Übergang von der Burg zum Schloss in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Geradezu ideal und aus thüringisch-hessischer Sicht der Organisatoren evident ist die Wahl des Arbeitsgebietes. Thüringen gliederte sich im 15. und 16. Jahrhundert in wettinische, erzbischöflich-mainzische Herrschaftsgebiete aber auch kleinere Territorialfürstentümer und gehört zu den bestands- und variationsreichsten Burg- und Schlosslandschaften in Deutschland.
Der Band vereint insgesamt elf Beiträge unterschiedlicher Prägung. Dazu zählen architekturtheoretische und entwicklungsgeschichtliche Arbeiten sowie bau- und künstlermonografische Aufsätze zum Burg- bzw. Schlossbau des 15. und 16. Jahrhunderts. Die Beiträge beschränken sich nicht allein auf das Arbeitsgebiet, sondern tangieren auch andere mitteldeutsche Regionen sowie polnische und böhmische Gebiete. Leider folgt die Publikation der allgemeinen Tendenz, auf einen Abdruck der Diskussion und eine abschließende Auswertung der Tagung zu verzichten.
Als Einleitung versteht sich der Aufsatz des Herausgeber Heiko Laß, der Burg und Schloss nicht mehr als getrennte, sondern als gemeinsame, kontinuierliche Bauaufgabe betrachtet. Neben dem historisch-politischen Kontext unterstreicht der Autor auch den gesellschaftlichen Status der Auftraggeber. Diese Faktoren waren für die Wahl tradierter oder innovativer Architekturform mitentscheidend.
Der Beitrag von G. Ulrich Großmann widmet sich den "Verwandlungsprozessen" von der Burg zum Schloss in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Die von der Forschung gezogenen Grenzlinien werden aus drei Richtungen hinterfragt: etymologisch (Burg - Schloss), epochal (Gotik - Renaissance) und baulich (Um- oder Neubau). Mit diesen Kriterien wird die Verwandlung von der Burg zum Schloss an Einzelbeispielen untersucht.
Der böhmischen Burgenarchitektur in der Zeit Wenzels IV. wendet sich der Aufsatz von Tomáš Durdík zu. An 15 Bauten zeichnet Durdík die Entwicklung des böhmischen Burgenbaus von verteidigungsfähigen zu repräsentativen und auf luxuriösen Wohnkomfort ausgerichteten Anlagen nach. Der allmähliche Wandel von der Burg zum frühneuzeitlichen Schloss vollzog sich demnach in Böhmen bereits in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts und betraf nicht nur königliche Bauten, sondern auch Burgen des Hochadels. Inhaltlich nimmt der Autor auf seine Studie von 1997 (Von der Burg zum Schloss) Bezug.
Schloss Beichlingen, speziell das "Hohe Haus" auf der Oberburg, ist Gegenstand des Beitrages von Gerd Strickhausen. Der Autor bemüht sich, die bislang strittige Baugeschichte durch eigene Baubeobachtungen neu zu bewerten. Strickhausen zieht hierfür die Besitzergeschichte des Gebäudes unter den Grafen zu Schwarzburg heran und zeigt Parallelen zu anderen Herrschaftssitzen des Adelsgeschlechtes der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Thüringen auf. Jedoch nicht nur die frühe Baugeschichte, auch die spätere Umwandlung zum Schloss mit der nahezu vollständigen Neugestaltung des Inneren (1510-1512) nach dem Vorbild der Wittenberger Residenz wurden berücksichtigt.
Beachtung verdient der Aufsatz von Stephan Hoppe, der den architektonischen Innovationen im mitteldeutschen Schlossbau um 1470 nachgeht. Neben den "klassischen" Kriterien (Treppenturm, Zellengewölbe, Vorhangbogenfenster und anderes) werden zwei Neuerungen hervorgehoben: Erstens der rhythmisch gereihte Zwerchhauskranz (nicht die Giebelform!), wie ihn das prominenteste Beispiel früher Schlossbaukunst, die Meißner Albrechtsburg, noch heute besitzt. Exkursartig zeichnet Hoppe die Entstehung dieses Architekturmotivs im deutschen Schlossbau im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts nach. Als zweite Innovation stellt Hoppe die Umsetzung einer bestimmten Blickregie bei der Gestaltung von Innenraumsystemen vor. Für besondere Räumlichkeiten, wie Tafel- oder Hofstuben weist der Autor eine dreiseitige Befensterung und damit polyfokale Blickführung nach.
Elmar Brohls Aufsatz untersucht den Einfluss polnischer Bauhandwerker auf den mitteldeutschen Festungsbau für den Zeitraum von 1479 bis 1532. Vorrangig bei Wasserbauten (Brunnen, Wassergräben und Wallbau) avancierten polnische Arbeiter an der Wende zur Frühen Neuzeit zu Spezialisten und lösten zwischenzeitlich sogar die Vorherrschaft niederländischer Fachkräfte ab. Ihren Erfahrungsvorsprung hatten sie nach Brohl während der Hussitenkriege gewonnen. Der Anteil der zeitgleich in Deutschland tätigen holländischen und böhmischen Werkmeister bleibt in der Studie jedoch unbeachtet. Brohls Argumentation, der Transfer der Spezialkenntnisse zum Wasserbau erfolgte über den polnischen Ochsenhandel nach Deutschland, ist nur schwer nachvollziehbar.
Die einzige Künstlermonografie des Bandes von Lutz Unbehaun ist Nickel Gromann gewidmet, der dreißig Jahre als Landbaumeister (1536- 1566) in den Diensten der ernestinischen Kurfürsten und Herzöge stand. Der Autor zeichnet den Entwicklungsweg Gromanns vom Baumeister der Osterburg in Weida bis hin zum Architekten des Französischen Baus auf der Veste Heldburg nach. Für eine intensivere Beschäftigung mit dem Baumeister kann hier auf Unbehauns Arbeit von 1993 verwiesen werden, aus der der Autor den vorliegenden Aufsatz destillierte.
Die 1998/99 durchgeführten bauarchäologischen Untersuchungen zum Alten Schloss Dornburg, eines zum Ensemble dreier Schlösser unterschiedlicher Epochen gehörenden Gebäudes im Jenaer Saaletal, stellt Burkhard Lohmann vor. Das Alte Schloss ging aus einer Burganlage hervor, deren Reste im Bergfried und teilweise in den Umfassungsmauern der einzelnen Flügel erhalten sind. Zwischen 1560 und 1573 erfolgte ein etappenweiser Umbau zu einem modernen Schloss, wobei man sich bei der Gestaltung der Fassaden und Innenraumsysteme am Torgauer Schloss orientierte. Nicht zuletzt wegen der umfangreichen Einblicke in die verschiedensten Methoden der modernen Bauarchäologie ist der Aufsatz lesenswert.
Baugeschichtliche Untersuchungen wurden am Schloss Kranichfeld, einer der wohl malerischsten "Thüringer Schlossburgen", bereits durchgeführt. Dennoch birgt die Anlage noch immer Fragen. Elmar Altwasser, mit seiner baumonografischen Arbeit von 1998 (Das Oberschloss Kranichfeld) Experte des Objektes, geht der Frage nach, was an der Kranichfelder Anlage eigentlich noch Burg und was schon Schloss ist. Der Autor versucht vor allem die hochmittelalterliche Dynastenburg, die Umbauten der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts und die prägenden Neubauten aus den 1530/40er-Jahre "herauszufiltern", um zu verdeutlichen, dass es sich beim Ausbau zum Schloss um eine sukzessive Bauaufgabe mehrerer Generationen handelte.
Nur noch wenige sichtbare Befunde standen Frank Boblenz bei seiner Untersuchung der nicht mehr vorhandenen Wasserburg Schloss Frohndorf zur Verfügung. Der einstige Herrensitz der Grafen zu Werthern wurde im 16./17. Jahrhundert als Schwesternanlage zu Schloss Beichlingen errichtet. Auf Grund des umfangreichen Quellenmaterials zu diesem Bau ist es dem Autor gelungen, eine nahezu vergessene Schlossanlage wieder ins Interesse der Forschung zu rücken.
Hermann Wirths abschließender, wissenschaftsgeschichtlicher Aufsatz analysiert die verschiedenen Aspekte der Burgen- und Schlossforschung und kann sowohl als Warnung vor einer Überinterpretation der Fülle an Baubefunden als auch als Anregungen für die künftige Forschung verstanden werden. Wirth spannt den Bogen seiner Betrachtung vom Römischen Kastell über die frühgeschichtliche Wall- und Fliehburg zur mittelalterlichen Burganlage und schließlich zum Schloss, das einen Nachgesang in der bürgerlichen Villa fand.
Der Initiative der beiden Burgen-Vereine verdankt die Forschung ein wissenschaftliches Kolloquium auf hohem Niveau mit einer Publikation in gelungenem Lay-out und hervorragender Druckqualität. Eine Fortsetzung des Seminars wäre ebenso wünschenswert wie die Einbeziehung weiterer Burgenvereine und eine Erweiterung des Forschungsgebietes.
Anke Neugebauer