Herfried Münkler / Marina Münkler: Lexikon der Renaissance, München: C.H.Beck 2000, 472 S., ISBN 978-3-406-46628-1, EUR 24,90
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In ihrem "Lexikon der Renaissance" versuchen Herfried und Marina Münkler, "das Profil der Renaissance in einzelnen Stichworten" (8) "möglichst breit zu entwerfen" (9). Dazu tragen der Professor für Theorie der Politik und die Literaturwissenschaftlerin (beide Humboldt-Universität, Berlin) 82 thematische und biografische Artikel zusammen. Einige auf Städte bezogene Lemmata zu Augsburg, Ferrara, Florenz, Nürnberg, Rom und Venedig sollen konkrete Einzelfälle aufzeigen. Dabei erweist sich, dass das Phänomen der Renaissance geografisch hier wesentlich auf den italienischen und deutschen Raum eingegrenzt wird. Durch Artikel zu "Reformation" und "Luther" wird indes deutlich gemacht, dass die Entwicklung im Deutschen Reich während des hier behandelten Zeitraumes vom 14. bis zum 16. Jahrhundert eine durchaus andere Grundstimmung als diejenige in Italien aufweist.
Die einzelnen Artikel sind im Stil von Essays abgefasst. So werden viele Lemmata mit einem Zitat eröffnet, um zeitgenössische Meinungen einzufangen. Eine vage Chronologie wird durchbrochen von schlaglichtartigen Konkretisierungen allgemeiner Ausführungen, Erklärungen, kunsthistorischen Exkursen und humanismusgeschichtlichen Einwürfen. Im Artikel zu "Florenz" beispielsweise werden wirtschaftshistorische und soziopolitische Grundsäulen kurz genannt. Die Konspiration von 1466 wird eingehend beleuchtet (nicht dagegen der Wechsel zum Regime der Medici 1433/34). Der neun Seiten lange Artikel "Florenz" behandelt den ersten Großherzog der Toskana, Cosimo I. (1519-1574), nur im letzten Satz. Unter dem Lemma "Medici" findet sich mehr zum sogenannten Medici-Regime des 15. Jahrhunderts (auch hier wenig zu Cosimo I.). Es mangelt den Artikeln mitunter an Stringenz. Die Artikel schließen mit der Nennung von Werkeditionen, Literaturangaben und einigen Verweisen auf andere Lemmata.
Statt die Lektüre zu beleben, erschwert die essayistische Form der Artikel die Suche nach bestimmten Inhalten: Die Kunstgeschichte der Renaissance wird zum Beispiel unter diversen Lemmata wie "Malerei", "Künstler", "Leonardo da Vinci" et cetera thematisiert. Wer gar den Motiven der Auftraggeber für die im vorliegenden Band so zahlreich herausgegriffenen Kunstwerke auf der Spur ist, muss sich seine Erkenntnisse mühsam zusammenklauben: "Künstler", "Malerei", "Florenz", "Kaufleute", "Päpste/Papsttum" gehören zu den Lemmata, unter denen der Suchende bruchstückhaft fündig wird. So lädt dieses "Lexikon der Renaissance" eher zum Schmökern als zum Studium ein.
Zur Frage der Auswahl und des Schwerpunkts von Artikeln kann stets gestritten werden: Die Konzeption des vorliegenden Lexikons, allgemein als bedeutungsvoll erachtete Gesichtspunkte der Renaissance zu präsentieren, bietet offenbar kaum die Möglichkeit, neue Begriffe einzubringen oder auf die üblicherweise genannten, exemplarischen Persönlichkeiten zu verzichten. Bei nur 82 Lemmata gerät bereits die Auswahl zu einem prekären Grenzwertverfahren. Wenn die oben erwähnten sechs Städte mit je einem eignen Artikel versehen werden, warum nicht Mantua, Neapel, Mailand, Brügge, Gent, Brüssel, Toledo oder Krakau? Warum werden einem Exponenten des fürstlichen Kriegsherrentums wie Federico da Montefeltro oder seinem mustergültigen Renaissance-Hof in Urbino keine Artikel gegönnt? Wie die Renaissance in West- und Nordeuropa nur sehr sporadisch eingeflochten wird, so bleibt sie hinsichtlich Osteuropas völlig ausgespart. Ähnliche Bemerkungen können mit Blick auf die Literaturhinweise gemacht werden: Unter "Sforza" wird etwa der Klischee-Schinken von Klaus Schelle nachgetragen, der besonderen Gewichtung der deutschen Perspektive zum Trotz das Buch von Eckhard Bernstein "German Humanism" (Boston 1983) hingegen nicht angeführt.
Auf systematisierende Schlagworte wie Kommunikation - oder Post - wird ebenso verzichtet wie auf die spezielle Erörterung des soziopolitischen Klientelismus (etwa als Schlagwort: Nepotismus). Das für die Epoche der Renaissance so prägende Phänomen der Kunstpatronage - oder auch des Mäzenatentums - muss ohne Lemma auskommen. Problematisch erscheinen auch typologisierende Artikel wie etwa der über die "Kaufleute". Dieser liefert nämlich (lediglich) einen weitgehend geistesgeschichtlichen Abriss über die Umgehung des Zinsverbotes nebst Hinweisen auf die doppelte Buchführung, die Bildung von Handelsgesellschaften und kollabierende Banken. Der Artikel "condottieri", der zu den längsten des Lexikon gehört, enthält uns eine Worterklärung vor: Nach zwei Andeutungen erfährt erst auf der letzten der elf Seiten wenigstens der Begriff "condotta" eine Übersetzung.
Der gesamte Bereich der Religiosität kommt ziemlich kurz. Der Artikel "Frömmigkeit" setzt sich nur mit Frömmigkeitsbewegungen auseinander. Unter "Architektur" trifft man auf einige wichtige Kirchenbauten, unter "Malerei" auf einige Werke mit religiösen Motiven, im Artikel "Kaufleute" wird von der bis weit ins Mittelalter zurückreichenden Wucherverbotsdebatte (ohne Verweis auf Jacques Le Goff) berichtet. Eine thematische Auseinandersetzung mit der für die Renaissance so eigentümlichen Form der Spiritualität oder dem Verhältnis von Glaube, Wort und Bild unterbleibt weitestgehend.
Hinsichtlich inhaltlicher Ungereimtheiten sei nur ein weiterer illustrierender Themenkreis angerissen: Im Artikel "Künstler" wird zwar wiederholt vom "sozialen Typus" des Künstlers gesprochen, doch wird allenfalls eine schmale Elite als eine Reihe von Exzentrikern vorgestellt, allgemeine Züge des sozialen Typus werden indes nicht herausgearbeitet. Vasari taucht hier nur als Organisator auf, während er immerhin unter seinem eigenen Lemma als Hofkünstler charakterisiert wird. Architekten werden im Artikel "Künstler" nur in einem unspezifischen Absatz berücksichtigt, unter "Architektur" kommen die Autoren dagegen gänzlich ohne den Hinweis auf die Bedeutung der Fortifikationsarchitektur aus. Ein vager Hinweis auf Fortifikationen findet sich unter "Idealstadt" (hier: Sabbioneta). Dabei dienten gerade die Fortifikationsaufgaben den Architekten - einer Gruppe, die hier unter "Künstler" verbucht wird - als Hebel zur Aufwertung ihrer Tätigkeit, zudem betrieben sie vermittels ihrer eigenen (humanistischen) Schriften ihren bedeutungsvollen Aufstieg.
Aufschlussreicher stellt sich das Lemma "Malerei" dar: Allgemeine Tendenzen werden herausgearbeitet, auf den unterschiedlichen Charakter der flämischen Malerei wird hingewiesen. Allerdings, über die Ikonographie der Renaissance, Symbolik, über Topologien oder "Motivwanderungen" wird kaum ein Wort verloren: Wie sollte man aber sonst den Stilwandel beziehungsweise kulturellen Wandel, der die Renaissance ausmachte, verstehen? Man erhält keinen Hinweis auf Michael Baxandall (auch nicht auf Francis Haskell oder Aby Warburg). Die Debatte um Kunstinvestitionen indes wird auf veraltetem Niveau geführt (ohne Richard Goldthwaites "Wealth and the Demand for Art in Italy" aus dem Jahre 1993 zu zitieren, um nur ein jüngeres Buch zur Problematik des Kunstmarktes herauszugreifen).
Außer den Initialen (aus dem Figurenalphabet des Meisters E. S., 1466/67) verfügt das "Lexikon der Renaissance" über keine Abbildungen (!) oder Kartenmaterialien. Ein ausführlicher Personenindex (mit Lebensdaten und Kategorisierung) hilft, ein allgemeiner Index, der die Suche nach bestimmten Themen erleichtert hätte, fehlt.
Fazit: Das eingangs erwähnte Vorhaben, die Renaissance stichworthaft und weitgefasst darzustellen, verwirklichen die Autoren durchaus. Die Verlagskonzeption (vergleiche 9f.) dieses "Lexikons" aber scheint verfehlt, da man den vorliegenden handlichen Band nicht als eigentliches, ausführliches Nachschlagewerk bemühen kann. Ein zusammenhängender Aufsatz zur Epoche der Renaissance - oder ein "Grundwissenbuch" - wäre wohl die geeignete Form, um das reiche Material, das Herfried und Marina Münkler zusammengetragen haben, mit größerem Gewinn zu präsentieren.
Heinrich Lang