Rezension über:

Erik Forssman: Der dorische Stil in der deutschen Baukunst (= Rombach Wissenschaften. ArchiPictura; Bd. 1), Freiburg/Brsg.: Rombach 2001, 154 S., 57 s/w-Abb., ISBN 978-3-7930-9296-4, EUR 25,00
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Rezension von:
Klaus Jan Philipp
Institut für Architekturgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Jan Philipp: Rezension von: Erik Forssman: Der dorische Stil in der deutschen Baukunst, Freiburg/Brsg.: Rombach 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/06/3466.html


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Erik Forssman: Der dorische Stil in der deutschen Baukunst

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Wer, wenn nicht Erik Forssman, mit dessen "Dorisch, Jonisch, Korinthisch" von 1961 Generationen von Architekturhistorikern aufgewachsen sind, hätte dieses Buch schreiben können! Es ist jedoch kein neuer Aufguss der damals vorgelegten Studien über den Gebrauch der Säulenordnungen in der Architektur des 16. bis 18. Jahrhunderts, sondern ein gelehrter und konzentrierter Essay, der so leichthändig geschrieben ist, wie es vielleicht nur gelingen kann, wenn man auf ein langes Forscherleben zurückblicken kann. Auch ist das Buch mehr als der Titel ankündigt, denn es wird nicht nur die Geschichte eines Stiles dargestellt, sondern das weite Panorama der Geschichte der Architektur in Deutschland umrissen.

In zehn Kapiteln stellt Forssman den Gebrauch der dorischen Ordnung vom antiken Griechenland, über die römische Architektur bis ins 19. Jahrhundert dar. Das fünfte Kapitel über den 1548 erschienenen "Vitruvius Teutsch" von Walter Ryff (Rivius) ist mehr als doppelt so lang wie die anderen und nimmt eine Schlüsselstellung im Buch ein: Für die deutsche Architekturgeschichte beendet der "Vitruvius Teutsch" die Vorgeschichte der Ordnungsarchitektur seit der Antike und markiert den Beginn des Gebrauchs der dorischen Ordnung in vielfältigster Weise.

Vom Gebrauch der dorischen Ordnung bei den Griechen und Römern leitet Forssman kurz zu Vitruv über und gibt nebenbei eine Definition von Architekturtheorie, die bedenkenswert erscheint: Eine "primäre Architekturtheorie" müsse stets den "Bezug zur Praxis der Baukunst" im Auge behalten, sie müsse sich mit der "Sinnhaftigkeit von Baugattungen und Bauformen" beschäftigen und drittens eine "Ästhetik der Baukunst" einschließen, die vor allem an objektivierbaren Qualitäten - etwa den Proportionen - prüfbar sein muss. Dabei setzt Forssman voraus, dass es eine Übereinkunft darüber gibt, ob ein Bauwerk gut oder schlecht proportioniert ist. Dies trifft allerdings nur dann zu, wenn ein strenges Regelwerk angewendet wird. Fehlt ein solches Regelwerk oder besteht kein Interesse an architektonischen Regeln, wie im Mittelalter und noch in der "Dürerzeit" in Deutschland, kommt es zur "Entartung der Säule", die ihre ursprünglich anthropomorphen Proportionen während des Mittelalters nach und nach verloren hatte.

Mit Bramantes Tempietto in San Pietro in Montorio in Rom im Jahr 1500 setzt Forssman die Geburtsstunde des dorischen Stils der Renaissance an. Hier sei die dorische Ordnung aus ihrer bloß dienenden Stellung wieder zu ihrer "ursprünglichen Würde" geführt worden, in dem sie im vitruvianischen Sinne auf den christlichen Helden Petrus verweist. Ryff vermittelt im "Vitruvius Teutsch" die Lehre der Proportionen der Säulenordnungen und der Sinnhaftigkeit der verschiedenen Ordnungen. Zugleich ist Ryffs interpretierende Übersetzung des antiken Textes ein Versuch, die Rolle der Architekten gegenüber dem Handwerker aufzuwerten und der Architektur den Rang einer Wissenschaft zu verleihen. Freilich einer Wissenschaft, die vor allem auf die Praxis des Bauens gerichtet ist.

Wichtiger für die Praxis als Vitruvs Text und die Übersetzung Ryffs waren die Exegeten Vitruvs, die dessen Lehren auf die aktuellen Bedürfnisse abstimmten und einfache Rezepte für die Bauten und Entwürfe der Architekten anboten. Nicht überschätzt werden darf die Wirkung der "Regole" Sebastiano Serlios, deren erster Band 1537 in Venedig erschien. Fünf Jahre später folgte eine deutschsprachige Übersetzung, die es den deutschen Werkmeistern ermöglichte, die Regeln anzuwenden. Mit deren Beherrschung setzt - so Forssman - die Neuzeit in der deutschen Baukunst ein. Bereits mit dem Erscheinen von Wendel Dietterlins "Architectura" 1598 mit ihren an Formen und Ideen überreichen Radierungen ist für Forssman der "absolute Höhepunkt der deutschen Säulenideologie" erreicht.

Zeitgleich mit solcher Architektur auf dem Papier, die alle Ordnungen behandelte, wurde in der Praxis vor allem die dorische Ordnung verwandt; Forssman geht gar so weit, von einer "dorischen Bewegung" zu sprechen, deren Beginn er in der Mitte des 16. Jahrhunderts ansetzt und die sich über alle Bauaufgaben erstreckt. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert löst die reich geschmückte Corinthia die Dorica ab, die nun vor allem bei solchen Bauten Verwendung findet, die militärischen oder heroischen Charakter haben (etwa Zeughäuser).

Die Krise des Vitruvianismus in der Aufklärung ist für die dorische Ordnung wegen der Wiederentdeckung der Tempel von Paestum und der Möglichkeit, Griechenland zu bereisen und dort die dorischen Tempel zu betrachten und zu vermessen, eine Erfolgsgeschichte. Wie im späten 16. Jahrhundert erobert sich die Dorica wieder einen zentralen Platz in der Architektur. Sie galt als einfache, natürliche Ordnung im Gegensatz zu den gekünstelten anderen Ordnungen und wird sowohl bei Kirchen als auch bei Gartenbauten, Universitätsgebäuden, privaten und öffentlichen Bauten, Denkmälern, Stadttoren und Wachhäusern eingesetzt. Letztlich verbindet sich der Gebrauch der dorischen Ordnung in ihrer tugendhaften und bescheidenen Einfachheit bei all diesen Bauaufgaben mit einem humanistischen Bildungsideal. So vermittelt der dorische Stil in seiner Ausprägung im Klassizismus in Deutschland auch eine Haltung, die als zeitlose Forderung an die Architektur gestellt werden kann.

Irritierend an diesem bravourösen Buch des Doyens der deutschen Architekturgeschichte sind nur die Bezugnahmen zur aktuellen Architekturszene. Eine Zeichnung des Poseidontempels in Paestum von Oswald Matthias Ungers leitet den Text ein und mit Léon Kriers Verständnis vom Nutzen der alten Architektur klingt das Buch aus. Forssmann verschafft so den beiden postmodernen Architekten einen Traditionsbezug, in den sie nicht gehören. Und die aktuelle Architektur hat mehr als diese Beiden zu bieten und andere Probleme als den Rückbezug auf Vitruvs firmitas, utilitas und venustas. Das Ende des Vitruvianismus und das Ende der Säulenordnungen als sinnstiftende Bauglieder liegen 200 Jahre zurück. Die neuen Materialien - Glas, Eisen, Beton, Kunststoffe - , neue Bautechniken, neue Bauaufgaben und die moderne Gesellschaft generieren Bedürfnisse und verlangen nach Lösungen, auf die Vitruv keine Antworten geben kann.


Klaus Jan Philipp