Horst-Rüdiger von Jarck / Gerhard Schildt (Hgg.): Die braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, 2. Auflage, Braunschweig: Appelhans Verlag 2001, 1264 S., über 500 Abb., ISBN 978-3-930292-28-8, EUR 34,80
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Der Braunschweigische Geschichtsverein genießt den Vorzug, im Falle eines Jubiläums eine Landesgeschichte finanziert zu bekommen. So geschah es 1976 zum 75-jährigen und 2001 zum 100-jährigen Bestehen. Die neue Festgabe übertrifft die alte in allem, was Gewicht, Ausstattung und Umfang angeht. Gemeinsam ist beiden Werken nur der Beitrag von Wolfgang Meibeyer über die Landesnatur; denn in dieser hat sich verständlicherweise wenig geändert.
Sonst tut sich allenthalben Neues auf, ein deutliches Zeichen für ein Vierteljahrhundert Veränderungen an Auffassungen und Erkenntnissen. Es beginnt schon mit dem Buchtitel: Hatte man das ältere Werk bescheiden "Braunschweigische Landesgeschichte im Überblick" genannt, so betont man jetzt: "Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region". Was bedeutet der bestimmte Artikel? Ein durchaus vergleichbares Buch heißt etwa "Geschichte des Landes Oldenburg". Es geht hier nicht um Haarspalterei, sondern dahinter versteckt sich die Frage: Welches Braunschweig ist gemeint, wenn es um seine Geschichte geht?
Es gibt eine Stadt dieses Namens, der 1235 einer Fürstenfamilie zum Herzogstitel wurde. Um diese Stadt bildeten sich im späten Mittelalter Landstände, die sich in diesem Namen vereint fühlten. Das mag man das ältere Land Braunschweig nennen, das jüngere bestand von 1643 bis 1918 (oder 1946) in festen Grenzen als Fürstentum Wolfenbüttel oder Herzogtum Braunschweig. Im 20. Jahrhundert wurde abgetreten und zugefügt, sodass wir heute einen Verwaltungsbezirk Braunschweig haben, dessen nördlichen Teil eine neue Braunschweigische Landschaft ausmacht, wie es im letzten Beitrag "Nicht mehr Land und doch Region" von Gudrun Fiedler beschrieben wird.
Was also Braunschweig in verschiedenen Zeiten bedeutet, muss jedes Mal neu bestimmt werden - und darum stört mich der bestimmte Artikel "Die". Unter dieser Voraussetzung ist ein Buch von vielen Beiträgern verfasst und sorgfältig redigiert worden, das großen Respekt verdient und in vielen Beziehungen die moderne Auffassung von Landesgeschichte vorführt. Das Neue fängt schon mit der Gesamtgliederung an. Der Vorgängerband unterschied zwischen allgemeiner und Kulturgeschichte und handelte die einzelnen Themen in Längsschnitten ab. Die andere Konzeption unterscheidet nach Zeitepochen und führt diese Themen innerhalb deren zusammen, wobei mir die Kirchengeschichte ein wenig zu kurz gekommen zu sein scheint. Weil die Beiträge durchweg lesbar geschrieben sind, hat der historisch interessierte Laie, für den das Buch ja bestimmt ist, auch ein gewisses Vergnügen bei der Lektüre; und das dem so ist, beweist eine zweite Auflage innerhalb des Erscheinungsjahres. Ausdrücklich zu loben sind in diesem Zusammenhang die vielen Genealogien und Karten, die das Werk auszeichnen.
Umstürzend Neues darf man in diesem Zusammenhang nicht erwarten. Neu ist aber durchaus die Zusammenfassung der im letzten Vierteljahrhundert erzielten Ergebnisse zur Braunschweiger Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Menge der Beiträge und ihrer Verfasser verbietet ausführliches Eingehen auf Einzelheiten. Darum beschränke ich mich auf einen Punkt. Ich vermisse zum 19. Jahrhundert die Bilder der beiden letzten Herzöge des alten Welfenhauses, des skurrilen Carl II. (und wenn es sein Denkmal in Genf gewesen wäre!) und des biederen Wilhelm. Dessen Porträt hätte man auf dem goldenen 20-Mark-Stück von 1880 zeigen können, einmal unter Bezug auf Thomas Manns Definition des 19. Jahrhunderts, zum anderen hinsichtlich des Euro unserer Tage, wo man ja wie im Zweiten Kaiserreich auf einer Münzseite die Gesamtdarstellung - also damals das Reichswappen - hat, auf der anderen die lokale, in diesem Falle der goldene Abschied eines alten Mannes. Wussten Sie schon, dass Land und Region Braunschweig sich rühmen können, man habe in ihrem Bereich "acht Speere aus Fichtenstämmchen", an die 400.000 Jahre alt gefunden, die als die ältest erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit angesehen werden?
Walter Deeters