Wolfgang Breul-Kunkel: Herrschaftskrise und Reformation. Die Reichsabteien Fulda und Hersfeld ca. 1500-1525 (= Quellen und Forschungen zur Regionalgeschichte; Bd. 71), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2000, 366 S., ISBN 978-3-579-01739-6, EUR 39,95
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Die Geschichte der geistlichen Territorien des Alten Reiches erfreut sich im Kontext des 200. Jubiläums der Säkularisation im Jahre 1802/1803 zunehmenden Interesses. Zahlreiche Kongresse setzen sich gegenwärtig mit den - lange Zeit im Schatten der wissenschaftlichen Forschung stehenden - Fürstbistümern und Reichsabteien auseinander, die ein gewichtiges Strukturelement des Heiligen Römischen Reiches bildeten und aufgrund ihrer machtpolitischen Schwäche bewusst die Nähe des Kaiserhofes suchten. Die neuere wissenschaftliche Forschung verfolgt verschiedene Ansätze. Während kulturgeschichtlich orientierte Studien sich der Fest- und Erinnerungskultur der geistlichen Territorien widmen, analysieren verfassungsgeschichtliche Arbeiten die Struktur einzelner Territorien, - zu nennen wäre etwa die Arbeit von Wolfgang Wüst über das Hochstift Augsburg. Hierbei zeigt sich, dass die angebliche Rückständigkeit der geistlichen Herrschaften gegenüber den weltlichen Territorien nur zum Teil der Wirklichkeit entspricht; besonders in der Schul- und Sozialpolitik erweisen sich einzelne geistliche Territorien wie zum Beispiel Würzburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als durchaus modern, - und weltlichen Territorien sogar überlegen.
Auch die - jetzt osthessische - Fürstabtei Fulda, die 1752 zum Fürstbistum erhoben wurde, ist Gegenstand mehrerer jüngerer Untersuchungen. Genannt seien zwei Dissertationen: Berthold Jäger thematisiert in seiner 1986 erschienenen Arbeit den Komplex Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung, während die 1992 erschienene Studie von Johannes Merz die Reformationsgeschichte der fuldischen Landstadt Hammelburg aufarbeitet. Im Gegensatz dazu lässt sich die Forschungslage zur nördlich von Fulda gelegenen, ebenfalls durch Bonifatius gegründeten Reichsabtei Hersfeld als eher dürftig charakterisieren.
Die vorliegende Studie Wolfgang Breul-Kunkels, die im Sommersemester 1998 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen wurde, fokussiert die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts, die mit den Begriffen "vorreformatorisch" und "frühreformatorisch" charakterisiert werden können. Die Arbeit, die auf eingehendem Quellenstudium in den Archiven in Marburg, Meiningen, Weimar und Würzburg basiert, lenkt den Blick auf eine Zeit, in der Fulda und Hersfeld eine "Herrschaftskrise" (Berthold Jäger) erlebten.
In der Einleitung stellt Breul-Kunkel die Erträge der Regionalgeschichte zur vor- und frühreformatorischen Geschichte Hersfelds und Fuldas und zum Bauernkrieg vor; den überregionalen Kontext liefert ein vorangestellter Abriss des Forschungsstandes zur Geschichte der Reichskirche in der Reformationszeit. Anschließend skizziert der Autor den eigenen Forschungsansatz, in dessen Zentrum drei Fragen stehen: Entstehung, Verlauf und Ergebnisse der Krise, die Herrschaftsträger sowie die Bedeutung auswärtiger Fürsten.
Die politische Entwicklung in den Reichsabteien Hersfeld und Fulda von 1500 bis 1520 analysiert das zweite Kapitel, das wohl die meisten neuen Erkenntnisse enthält. Am Anfang gibt der Autor einen Überblick über die früh- und hochmittelalterlichen Grundlagen der Landesherrschaft, den Ausbau der territorialen Herrschaft im Spätmittelalter und das religiöse Leben um 1500. Im Folgenden verfährt Breul-Kunkel kontrastierend: So folgt auf die Herrschaftskrise in der Reichsabtei Hersfeld von 1493 bis 1516 die Herrschaftskrise in der Reichsabtei Fulda von 1516 bis 1521. Beschlossen wird das zweite Kapitel von einer Darstellung der Entwicklung in der Reichsabtei Hersfeld von 1516 bis 1521. Der mehr als zwei Jahrhunderte währende Konflikt zwischen der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Stadt Hersfeld und dem gleichnamigen Stift, das die Landeshoheit beanspruchte, führte um 1500 zu einer offenen Auseinandersetzung. Diese erfasste auch die südlich von Hersfeld gelegene Reichsabtei Fulda, die kurzfristig im Einverständnis mit dem Hersfelder Stiftskapitel, das sich davon eine nachhaltige Schwächung der oppositionellen Stadt Hersfeld und des hessischen Einflusses versprach, die Inkorporierung Hersfelds erreichte - auf dem Augsburger Reichstag des Jahres 1513 erhielt Fürstabt Hartmann von Kirchberg die Hersfelder und Fuldaer Regalien verliehen.
Zugleich lösten die Hersfelder Vorgänge eine Intervention der hessischen Landgrafenwitwe Anna von Mecklenburg aus, was wiederum in Fulda selbst eine Auseinandersetzung zwischen Fürstabt Hartmann und seinem Kapitel bewirkte. Letztere endete 1521 mit einer Niederlage Hartmanns. Dieser behielt zwar offiziell die Abtswürde, die Geschicke der Fürstabtei wurden aber von dem Koadjutor Johann III. von Henneberg gelenkt.
Ein weiteres destabilisierendes Element stellte die reformatorische Bewegung dar, die in beide Fürstabteien Einzug hielt. Das dritte Kapitel, das den Titel "Die religiöse und politische Entwicklung in den Reichsabteien Hersfeld und Fulda 1521-1526" trägt, erhellt die frühreformatorische Zeit. So analysiert der Autor die evangelische Bewegung in der Stadt Hersfeld unter drei Fragestellungen. Hierzu gehören: Herkunft und Studium der evangelischen Prediger, die Anfänge der evangelischen Bewegung und die Entwicklung von der evangelischen Predigt zum "Pfaffensturm" - Hersfelder Handwerker hatten im Dezember 1523 nach der Entlassung zweier reformatorisch gesinnter Prediger die Häuser von zehn Klerikern gestürmt, die im Konkubinat lebten.
Das Unterkapitel, das sich mit der evangelischen Bewegung in der Reichsabtei Fulda von 1521 bis 1524 auseinander setzt, beginnt ebenfalls mit dem Bildungsgang der evangelischen Prediger in der Reichsabtei Fulda und skizziert die Anfänge der evangelischen Bewegung in Fulda. Zu deren bedeutendsten Vertretern gehörte Georg Witzel, der später den - gescheiterten - Versuch unternehmen sollte, von ihm als richtig erkannte reformatorische Anliegen in der alten Kirche zu verwirklichen.
Politische und religiöse Faktoren verbanden sich 1525 im Bauernkrieg, dessen osthessisches Zentrum Fulda bildete, zu einem explosiven Gemisch. Breul-Kunkel zeichnet in Anlehnung an eine bereits 1904 erschienene Studie von Otto Merx über den Bauernkrieg in den Stiften Fulda und Hersfeld den Verlauf des Bauernaufstandes in beiden Reichsabteien nach, geht in einem eigenen Unterkapitel auf die Rolle Landgraf Philipps ein und schenkt den Folgen der hessischen Einnahme Hersfelds und Fuldas breiten Raum. 1525 waren beide geistliche Territorien in ihrer Existenz bedroht, als Bürger und Bauern die Umwandlung der Fürstabteien in weltliche Fürstentümer forderten. Kunkel betont in diesem Zusammenhang, dass die reformatorische Predigt im Bauernkrieg eine Radikalisierung und eine partielle Störung der Kontinuität erfuhr: Die Verknüpfung der evangelischen Verkündigung mit (kirchen-)politischen Aktionen wie der Verwüstung von Klöstern und die Forderung nach einer Umwandlung der geistlichen Territorien in weltliche Herrschaften fand nicht die Unterstützung gemäßigter reformatorisch gesinnter Geistlicher, zu denen auch Georg Witzel gehörte. Allein das Eingreifen Landgraf Philipps von Hessen stabilisierte die politische Situation. Die Reichsabtei Hersfeld als politisch eigenständige Größe hatte faktisch aufgehört zu existieren - der Landgraf konnte große Teile des Stiftsterritoriums besetzen und installierte in Hersfeld selbst einen von den Direktiven Hessens abhängigen Schultheiß. Fulda hingegen vermochte aufgrund des Widerstandes von Stiftskapitel und Ritterschaft und der Unterstützung der Grafen von Henneberg, des Mainzer Kurfürsten und des Kaisers seine relative Unabhängigkeit zurück zu gewinnen.
Ein ausführliches Resümee greift nochmals die wesentlichen Fragen der Arbeit auf. Thematisiert wird hier die vorreformatorische Herrschaftskrise in den Reichsabteien Hersfeld und Fulda, die Bedeutung der evangelischen Bewegung in den beiden Reichsabteien als Herausforderung für die geistliche Herrschaft und die Herrschaftskrise des Jahres 1525. Umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnisse ermöglichen eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema; ein Personenindex erschließt den Band.
Breul-Kunkels überaus sorgfältige Arbeit präsentiert die Fülle der verwerteten Quellen und Literatur in gut lesbarer Form und liefert zugleich einen wichtigen Beitrag zur regionalen Vor- und Frühreformationsgeschichte. Wünschenswert wären weitere regionalgeschichtliche Studien, die einen Vergleich der Entwicklungen in der Umbruchszeit von 1500 bis 1525 auf vergleichbar solider Basis ermöglichten.
Stefan W. Römmelt