Peter Ainsworth / Tom Scott (Hgg.): Regions and Landscapes. Reality and Imagination in Late Medieval and Early Modern Europe, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000, 244 S., ISBN 978-3-906765-32-7, EUR 39,40
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Geografisch konzentriert sich der Band auf den burgundischen Herrschaftsbereich im 15. Jahrhundert. Hinzu kommen eine Studie zum Oberrhein (16. Jahrhundert) und zum nördlichen Holland (um 1800) sowie je eine zu Weltkarten des Mittelalters und zu Höllenlandschaften in der italienischen Freskenmalerei. Die verfolgten Ansätze sind einerseits kunsthistorisch, andererseits wirtschaftshistorisch, in einem Fall allgemein historisch. Der Sammelband geht auf ein 1997 veranstaltetes Kolloquium unter demselben Titel in Leeds zurück. Jeder Beitrag ist für sich genommen zweifellos interessant, aber es kommt entgegen den Hoffnungen der Herausgeber keine wirklich interdisziplinäre Atmosphäre auf. Die Vereinigung von Beiträgen von AutorInnen verschiedener historischer Disziplinen macht noch keine Interdisziplinarität aus, es findet kein Methodenaustausch, kein Eingehen auf die Ansätze und Methoden der anderen Disziplinen statt, obwohl zu vermuten ist, dass dies während des Kolloquiums selber geschehen ist. Die Beiträge sind auch nicht als transdisziplinär zu bezeichnen, was zu sein im übrigen Herausgeber und AutorInnen auch nicht beanspruchen.
Was die meisten Beiträge eher miteinander verbindet, ist ein stadtgeschichtlicher Bezug, der sich einerseits daraus ergibt, dass die nördlichen Regionen des burgundischen Herrschaftsbereich stark verstädtert waren, andererseits, dass mehrfach Walter Christallers Konzept der "zentralen Orte" diskutiert wird. Dieser größte gemeinsame Nenner wird jedoch kaum genutzt, um dem Band einen synthetischen Charakter zu geben. Deshalb kann im Folgenden nur jeder Beitrag für sich gewürdigt werden.
Margriet Hoogvliet befasst sich mit der Hermeneutik mittelalterlicher Weltkarten. Sie reproduzieren eine Weltsicht, die aus dem Alten und Neuen Testament, einigen Kirchenvätern, mittelalterlichen Enzyklopädisten und so weiter als Quellen schöpft. Diese Einsicht ist zwar nicht neu, aber es geht der Autorin nicht um eine neue These, vielmehr führt sie diese Einsicht sehr quellennah und wohltuend gelehrt aus und entschlüsselt dabei die landschaftlichen Strukturelemente der Weltkarten.
Joanne Snow-Smith analysiert mittelalterliche "Höllenlandschaften" am Beispiel von Fresken, die das Jüngste Gericht zum Gegenstand haben. Faktisch treten die Landschaftselemente dann in den Hintergrund; thematisiert werden kunsthistorische Prägungen des Sujets wie die durch Giotto oder die Rezeption literarischer Vorlagen in der Freskenmalerei (Dante, Boccaccio) sowie die Veränderung des Sujets durch die Große Pest um 1348: "The Black Death thus provided an immediate and terrifying preview of the torments, pain and misery which the populace believed awaited the Damned in perpetual Hell" (68).
Der Beitrag des Frankreichspezialisten Peter Ainsworth über die Miniaturen in der Berliner Froissart-Handschrift (Froissarts Chroniken) ist stark kunsthistorisch und quellenkritisch ausgerichtet. Von allgemeinerem Interesse ist lediglich die erörterte Frage, wie die Stadtdarstellungen in den Miniaturen zu bewerten sind. Ainsworth bleibt diesbezüglich aber äußerst zurückhaltend: "Vielleicht" seien sie nicht nur Idealisierungen, sondern Ausweis eines ansetzenden "trend towards naturalism" (102). Sie könnten unter Umständen auch als Ausdruck burgundischen Stolzes und burgundischer Ambitionen gewertet werden.
Ein vierter, sich mit "Imaginationen" von Landschaft befassender Beitrag stammt von Lisa Deam, die sich mit Miniaturen in einer Brüssler Handschrift der "Fleur des Histoires" (zirka 1446-51) auseinandersetzt. Ihr zufolge haben die Miniaturen die Funktion, chronikalischen Bericht (Text) und Erd-Kunde miteinander zu vermitteln. Die Landschaften sind insoweit weder als Idealisierungen noch als Fantasiegebilde zu verstehen, sondern als symbolischer Ausdruck der im Text beschriebenen historischen Ereignisse beziehungsweise Verhältnisse. Hinzu kommt, dass "the cartographic landscapes do not simply locate events within the reign of one monarch or empire, but visually situate these events within the larger and sacred context of world history" (135).
Etwas für sich steht eine kurze Studie von Godfried Croenen über das Problem der Ausbildung einer regionalen Identität in den (burgundischen) Niederlanden beim Adel. Der Autor bestätigt, was andere Studien auch erwiesen haben, dass immer mehrere Möglichkeiten der Identifikation wahrgenommen wurden. Die Grenzen einer Grafschaft führten kaum zu einer geografisch-regional radizierten Identität.
Der Band schließt mit drei wirtschaftsgeschichtlichen Aufsätzen. Tom Scott zeigt am Beispiel des Oberrheins (von Basel bis Strassburg, zirka 1450-1600), dass die Definition von Wirtschaftsregionen anhand von Kriterien wirtschaftlichen Austauschs (hier: Getreide- und Fleischhandel; Rappenmünzbund) durchaus problematisch ist. Seine empirischen Erhebungen fasst er wie folgt zusammen: "At an elementary level, the variability and mutability of regional economic interests and identity should caution us against envisaging an economic region primarily (...) in areal, spatial or geographical terms (...). More importantly, however, any attempt to equate the economic region with a core area common to all the spatial configurations of economic activity is doomed to failure" (176). Dies ist bei der weiteren Auseinandersetzung mit dem Konzept der zentralen Orte oder des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie ebenso zu berücksichtigen wie bei dem Versuch, so genannte "Wirtschaftsregionen" zu definieren.
Peter Stabel schreibt über die Städtelandschaft des spätmittelalterlichen Flanderns. Anhand vorwiegend wirtschaftshistorischer Kriterien zeigt er die tiefgreifende Veränderung des gesamten Raums im Zuge der Verstädterung, die in dieser Form vor der Industrialisierung nicht Ihresgleichen fand (Stabel geht natürlich auf die oberitalienische Städtelandschaft, die man einwenden würde, ein).
Clemens Lesger beschließt den Band mit einer Untersuchung über "zentrale Orte" im nördlichen Holland (zeitlicher Schwerpunkt: um 1800). Es geht ihm um eine Differenzierung, aber nicht Verwerfung des Christaller'schen Konzepts. Die Differenzierung erfolgt durch eine genaue Analyse der Konsumgewohnheiten der Bevölkerung, ergibt aber durchaus für Nordholland eine Bestätigung des für Süddeutschland entwickelten Konzepts: "(...) central-place theory goes a long way towards explaining and predicting the actual distribution of service functions in Holland and the changes that took place over time" (231).
Alle Beiträge sind quellen- und materialgesättigt. Abbildungen (zumeist leider in wenig hilfreicher Qualität), Tabellen und Grafiken sowie einige Dokumentationsanhänge, schließlich ein Register machen den Band trotz der eingangs geäußerten Kritik zu einer nützlichen Publikation.
Wolfgang Schmale