Rezension über:

Maria Muallem: Das Polenbild bei Ernst Moritz Arndt und die deutsche Publizistik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur; Bd. 1796), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 256 S., ISBN 978-3-631-36939-5, EUR 40,40
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Rezension von:
Michael Imhof
Stadthagen
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Michael Imhof: Rezension von: Maria Muallem: Das Polenbild bei Ernst Moritz Arndt und die deutsche Publizistik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/3267.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Maria Muallem: Das Polenbild bei Ernst Moritz Arndt und die deutsche Publizistik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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Die vorliegende Veröffentlichung, eine Dissertation an der Universität Posen (Poznań) von 1997, will als literaturwissenschaftliche Arbeit mit interdisziplinären Bezügen das stereotype Polenbild in den publizistischen Schriften Ernst Moritz Arndts (1769-1860) analysieren. Arndt, von Hause aus Historiker, gehörte zu den prägenden Autoren, die im Bereich von Literatur ("Was ist der Deutschen Vaterland?") und Publizistik ab 1812 den Diskurs des Nationalen in Deutschland fortschrieben. Den Schwerpunkt bildet eine diachronische Untersuchung der publizistischen Texte.

Die ehemals polnischen Territorien und deren Bewohner werden selten zu einem eigenständigen Gegenstand der historisch-politischen Betrachtungen Arndts, doch gelingt es Maria Muallem, durch eine akribische Zusammenstellung der Fundstellen die Bestandteile des Polenbildes herauszuschälen. Die Themen kreisen konstant um die Physiognomie des polnischen Landes, seiner Geschichte, vor allem um die Teilungen und die Frage nach einer möglichen Wiederherstellung des Staates sowie um gegenwärtige soziale Verhältnisse in den Teilungsgebieten. Zusammen mit anderen historisch-politischen Verknüpfungen des "Polenproblems" - mit der "Judenfrage", dem Stereotyp der "polnischen Wirtschaft" und der Diskussion um die Rolle des polnischen Katholizismus - ergibt sich als Basis aller Anmerkungen Arndts zu Polen die Sicht eines "polnischen Nationalcharakters", auf den sich letztlich jede Entwicklung in der Vergangenheit zurückführen lasse. "Die Weltgeschichte ist Weltgericht", so das "Dogma" (179) der Arndtschen Geschichtstheorie. Arndt sieht sich als Verkünder des Urteils, er kann die Begründungen für den Zustand der Gegenwart liefern, nicht nur durch die auf Polen bezogenen Heterostereotypen, sondern - als eigentliche Wirkungsabsicht - für die auf die Deutschen zielenden Autostereotypen zur Bildung der eigenen nationalen Identität. Polnische "Sklaverei", "Schmutz", "Unbeständigkeit" und "Leichtfertigkeit" werden zu Antonymen der Erwartungshaltung und Selbsteinschätzung des deutschen Nationalcharakters.

Die Verfasserin kommt nach der Interpretation der "Denkmuster in Arndts Polenbild" zu dem Schluss, der Schriftsteller habe mit seinem gesteigerten Nationalhass, ausgedrückt in einem Netz von miteinander verknüpften Stereotypen, in einer historisch sensiblen Phase maßgeblich zur Bildung einer deutschen Identität durch Feindbilder beigetragen. Abschließend zeigt die Autorin, dass die Ansichten Arndts über Polen keine Ausnahme in dieser Zeit waren, sondern dass er zu einer starken Gruppe Gleichgesinnter gehörte, der nur wenige Autoren in Deutschland mit einer propolnischen Haltung gegenüberstanden.


Michael Imhof