Rezension über:

Benedykt Zientara: Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien. Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 17), München: Oldenbourg 2001, 411 S., ISBN 978-3-486-56615-4, EUR 39,80
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Immo Eberl
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Immo Eberl: Rezension von: Benedykt Zientara: Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien. Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew, München: Oldenbourg 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/02/1699.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Benedykt Zientara: Heinrich der Bärtige und seine Zeit

Textgröße: A A A

Die vorliegende Arbeit ist trotz der vielfältigen Detailforschung aus deutscher und polnischer Feder die erste Biografie Heinrichs des Bärtigen seit dem 1872 erschienenen Werk von Stanislaw Smolka "Heinrich der Bärtige. Eine Episode aus der Geschichte der piastischen Zeit". Nach einer einleitenden Darstellung des 13. Jahrhunderts und der damaligen polnischen Verhältnisse geht Zientara im nächsten Kapitel ("Die Zukunft Polens entscheidet sich") auf die Kindheit Heinrichs des Bärtigen ein. Heinrich war ein Sohn Herzog Boleslaws, der erst nach dem Tode seines Vaters Wladislaw II. (1162 ) zusammen mit seinen Brüdern Schlesien als väterliches Erbe erhalten hatte. Die ausführliche Darstellung, ob Heinrich nun tatsächlich bereits in Schlesien oder in der deutschen Emigration seines Vaters geboren wurde, erscheint auf dem Hintergrund der so wenig "nationalen" Erziehung mittelalterlicher Fürsten eigentlich überflüssig und dürfte sich aus der Zeit nationaler Emotionen des 19. und 20. Jahrhunderts herleiten.

Bedeutsam ist jedoch die Schilderung der bedrängten Verhältnisse, in denen Heinrich als nachgeborener Sohn eines schlesischen Teilfürsten im Kreis seiner Familie aufgewachsen ist. In dieser Zeit entschied sich das Schicksal Schlesiens, dessen piastische Fürsten sich im Unterschied zu ihren östlichen Vettern dem deutschen Einfluss weiter öffneten. Heinrich selbst heiratete zwischen 1186 und 1190 Hedwig von Andechs und fand damit Anbindung an die führenden politischen Kreise des Stauferreiches. Er übernahm jedoch erst im Jahr 1201 die Regierung von seinem Vater und verlor bereits kurz darauf durch die Maßnahmen seines Onkels Mieszko von Ratibor einen Teil seines Erbes. Der Entwicklung dieses väterlichen Erbes ist das folgende Kapitel gewidmet. Dabei geht Zientara ausführlich auf die deutsche Ostsiedlung ein, mit der er sich auch in den nächsten Kapiteln weiter beschäftigt. Herzog Heinrich war während seiner gesamten Regierungszeit in die deutsche Politik eingebunden, wie die Verlobung seiner Tochter Gertrud mit dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach beweist, deren Lösung vermutlich Anlass für dessen Mord an König Philipp von Schwaben (1208) war.

In gleicher Weise wie in die deutsche Politik war Herzog Heinrich auch in die Auseinandersetzungen der Angehörigen des piastischen Hauses in Polen eingebunden, wobei er versuchte, sich und seiner Familie Vorteile zu verschaffen. Die Ostkolonisation, in die Herzog Heinrich auch die Kirche einband, nutzte er intensiv für die wirtschaftliche Entwicklung seines Herrschaftsgebietes. In der Folge wurde zudem Herzog Heinrichs Beteiligung im Vorfeld der Ansiedlung des Deutschen Ordens in Ostpreußen sichtbar. Der Orden erhielt nicht nur Siedler aus Schlesien, sondern wurde auch in seiner weiteren Entwicklung entscheidend beeinflusst. Die Verwicklung der herzoglichen Familie in die innerpolnischen Streitigkeiten der herzoglichen Familie sieht Zientara im Kontext einer von Heinrich angestrebten Einigung Polens von Schlesien aus. Diese Chance sei, so Zientara, nicht bereits mit dem Tod Heinrichs im Jahre 1238 verspielt gewesen, sondern erst durch Niederlage und Tod seines Sohnes Heinrich in der Schlacht bei Wahlstatt (1241) gegen die Mongolen.

In seiner Zusammenfassung versucht Zientara schließlich Herzog Heinrich, der in der Forschung bislang eher als deutscher Fürst galt, auf die Seite Polens und der polnischen Piasten zu stellen. Der an der europäischen, deutschen und polnischen Politik beteiligte Herzog war jedoch vor allem am Schicksal seines eigenen Familienzweiges und an dessen Vorankommen interessiert. Dieses bedeutende Buch, das neben der politischen Entwicklung auch die mittelalterliche Wirtschaft und Gesellschaft Polens und Schlesiens nachzeichnet, weist die Symbiose deutscher und polnischer Geschichte in diesem Raum nach, die für die weitere Entwicklung Schlesiens so bedeutsam geworden ist. Benedykt Zientara hat zwar weniger eine Biografie Herzog Heinrichs im engeren Sinne verfasst, die sich natürlich auch für einen mittelalterlichen Fürsten in üblicher Weise gar nicht schreiben lässt, sondern er hat alle historischen Faktoren des Zeitalters zu einer umfassenden Gesamtdarstellung zusammengefügt. Von daher erklärt sich auch die Tatsache, dass das Werk nach mehr als einem Vierteljahrhundert 1997 in Polen neu aufgelegt wurde und nun auch eine deutsche Übersetzung erhalten hat.


Immo Eberl