Henning Kahmann: Die Bankiers von Jacquier & Securius 1933-1945. Eine rechtshistorische Fallstudie zur "Arisierung" eines Berliner Bankhauses (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 258), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 243 S., ISBN 978-3-631-38987-4, EUR 40,40
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Zu den aktuellen, aber auch den brisanten Themen in der wirtschaftshistorischen Forschung zählt im Augenblick sicherlich die Konfiskation jüdischer Vermögenswerte und die "Arisierung" jüdischer Firmen und Immobilien während des Nationalsozialismus. Angestoßen durch Sammelklagen und internationalen Druck, beschäftigt sich gegenwärtig eine Reihe von Kommissionen mit den wirtschaftlichen Dimensionen des Holocausts. Einige Publikationen liegen bereits vor, weitere werden in absehbarer Zeit folgen. Im Hinblick auf die "Arisierungstätigkeit" der Berliner Großbanken hat sich unser Kenntnisstand durchaus erweitert, vergleicht man ihn mit dem von vor zehn Jahren. Dennoch gibt es weiterhin Lücken und Forschungsdesiderate. Dazu zählt fraglos die "Arisierung" jüdischer Privatbankhäuser durch "arische" Erwerber. Dies überrascht, zählten doch gerade die jüdischen Privatbankiers über eine lange Zeit hinweg zu den wichtigen Säulen der deutschen Kreditwirtschaft, bevor sie durch die Folgen der Weltwirtschafts- und Bankenkrise sowie durch die von den Nationalsozialisten praktizierte Wirtschafts- und Bankenpolitik fast vollständig verschwanden.
Daher ist es durchaus begrüßenswert, wenn sich Kahmann in seiner Studie der Entwicklung eines alteingesessenen jüdischen Berliner Privatbankhauses während der NS-Herrschaft zuwendet. Jacquier & Securius gehörte lange Zeit zu den mittelgroßen, aber gut fundierten und für die Berliner und mitteldeutsche Wirtschaft wichtigen Privatbankhäusern. Es hat jedoch im Gegensatz zu seinen größeren und prominenteren Konkurrenten kaum archivalische Spuren hinterlassen, so dass es bisher fast gar nicht Gegenstand der bankhistorischen Forschung gewesen ist. Es ist deshalb verdienstvoll, dass sich Kahmann auf die Spurensuche zu diesem Bankhaus begeben hat und einiges an verstreutem und disparatem Material zusammengetragen hat, wenn er auch einräumen muss, dass das Gros der Quellen zu Jacquier & Securius wohl für immer verloren ist.
Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert. Nach der Einleitung folgt ein erster großer Abschnitt zur Entwicklung des Bankhauses bis 1933. Dabei steht jedoch weniger die Tätigkeit des Unternehmens im operativen Geschäft im Vordergrund als das Sozialprofil seiner Inhaber, vor allem das der langjährigen Mehrheitsgesellschafter Hermann Frenkel, Eugen Panofsky, Max Landesmann und Alfred Panofsky. Leider ist die Darstellung hier oft nur skizzenhaft bis fragmentarisch, was sich wahrscheinlich auf die spärliche Quellengrundlage zurückführen lässt. Gleiches gilt für die Darstellung des Bankhauses Richard Lenz & Co. und seines Inhabers, des späteren Erwerbers von Jacquier & Securius.
Das dritte Kapitel beginnt mit einem vergleichsweise langen Abschnitt über die Spezifika des NS-Wirtschaftssystems und der Verdrängung der Juden aus diesem. Ärgerlich ist hier erneut die nur skizzenhafte Art der Darstellung zu einzelnen Aspekten, in der zudem vielfach neuere Forschungsergebnisse und -literatur nicht berücksichtigt werden. Ausführlich und facettenreich wird dagegen der Karriereweg von Richard Lenz nach 1933 nachgezeichnet. Kahmanns Darstellung lässt verständlich werden, warum im Wirtschafts- und Bankensystem des Nationalsozialismus opportunistische und mediokre Personen wie Richard Lenz Karriere machen und schließlich sogar Schlüsselpositionen besetzen konnten. Dagegen wird die Geschäftsentwicklung von Jacquier & Securius erneut nur thesenartig und eng mit dem Lebens- und Karriereweg seiner Inhaber verknüpft präsentiert.
Das vierte Kapitel bildet das eigentliche Kernstück der Arbeit. Hier wird die Geschäftsübernahme und "Arisierung" von Jacquier & Securius durch das Bankhaus Richard Lenz & Co., die weitere Entwicklung des verbliebenen Restes des "arisierten" Instituts unter dem Namen Alfred Panofsky & Co. i. L. sowie die Geschäftstätigkeit von Jacquier & Securius (neu) geschildert. Kahmann bemüht sich, anhand der Übernahmeverträge die Spezifika der "Arisierung" nachzuzeichnen. Die Übernahme geschah in der Form eines "asset deals", wobei der "good-will" - wie in dieser Zeit häufig - nicht als Aktivum ("asset") betrachtet wurde. Damit hat Kahmann ein zentrales Problem bei dieser Art von "Arisierungen" angesprochen. Ob das zweite zentrale Problem, die Bewertung von Aktiva und Passiva bei einem "asset deal", die dabei zugrunde gelegten Kriterien und die sich daraus ergebenden Handlungsspielräume vom Autor ausreichend reflektiert worden ist, wird in seiner Darstellung jedoch nicht transparent. Nicht zuletzt deshalb lässt sich Kahmanns Schlussfolgerung, bei der "Arisierung" von Jacquier & Securius hätten sich die Erwerber fair verhalten, nicht exakt überprüfen und nachvollziehen. Der Verdacht bleibt, dass sich Kahmann zu sehr auf den seiner Meinung nach aus berechtigten Gründen nicht gezahlten "good-will" fixiert und die Besonderheiten bei der Bewertungspraxis sowie die diesen zugrunde liegenden Rahmenbedingungen zu wenig berücksichtigt. Die Geschäftsentwicklung von Jacquier & Securius (neu), zahlreiche Hinweise darauf, dass der neue Inhaber und "starke Mann" Richard Lenz trotz seiner Parteimitgliedschaft eher eine regimekritische Haltung eingenommen hat, sowie seine Tätigkeit als Mitglied im Vorstand der Berliner Börse bilden den zweiten Schwerpunkt dieses Kapitels. Die Abwicklung des nun als Alfred Panofsky & Co. i.L. firmierenden alten Bankhauses von Jacquier & Securius tritt demgegenüber leider deutlich zurück. Waren hierfür allein Quellenprobleme der Grund?
Das fünfte Kapitel, in dem der versuchte Neuanfang von Jacquier & Securius und der Streit um die Wiedergutmachung für dessen Altinhaber thematisiert wird, ist ebenfalls nur skizzenhaft und daher unbefriedigend. Da Kahmann wohl genügend Material der Wiedergutmachungsämter, Spruchkammerakten und Quellen aus privatem Besitz zur Verfügung standen, bleibt unverständlich, warum er diese Art der Darstellung gewählt hat. Auch hier wäre eine "Anreicherung" mit neuen Forschungsergebnissen und neuer Forschungsliteratur wünschenswert gewesen.
Zu kritisieren ist auch die mangelhafte Überarbeitung und Redaktion des Textes für die Drucklegung. So treten sehr häufig Schreib- und Tippfehler auf. Die Lektüre wird zudem oft durch sprunghafte, nicht nachvollziehbare oder oft unverständliche Textpassagen erschwert und gerät dadurch zu einem Ärgernis. So heißt es zum Beispiel auf Seite 159 oben: "Da Harold James als Experte für die Schweizer Goldtransaktionen für Verbandspolitik auch Richard Lenz' Rolle hat erforschen lassen und nichts zu Lenz' Beteiligung an diesen Geschäften bemerkt hat, werden sich keine Belege dafür gefunden haben, dass Lenz in damit zu tun hatte. [!] Im Übrigen war Lenz 1941 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Maschinenbau AG, vorm. Beck & Henkel, Kassel, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats des Berliner Kassenverein, Berlin, sowie im Aufsichtsrat der Zeitzer Eisengießerei und Maschinenbau AG."
Der Rezensent, ein Wirtschafts- und Bankenhistoriker, ist daher etwas verwundert und fragt sich, ob im Fach der Jurisprudenz andere Bewertungskriterien herrschen als in der von ihm betriebenen Disziplin. Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät an der Universität Regensburg immerhin mit "summa cum laude" bewertet.
Harald Wixforth